Christiane Druml ist Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt und Leiterin der Organisationseinheit Ethik, Sammlungen und Geschichte der Medizin der MedUni Wien im Josephinum.

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STANDARD: Überrascht Sie das Ausmaß an Studien zu Organtransplantationen, die unter fragwürdigen Bedingungen zustande gekommen sein sollen?

Druml: Es gibt schon seit Jahren immer wieder Kritik an China in Bezug auf Organtransplantationen. Diverse internationale Organisationen wie WHO und UNO haben dazu Stellung genommen, auch der Europarat und das Europäische Parlament. Interessant ist, dass es offensichtlich keine Änderungen gibt. Ich meine damit nicht die Chinesen – dass die eine eigene Meinung dazu haben, ist klar. Überraschend ist eher, dass von den großen Journalen hier offensichtlich keine Konsequenz gezogen wurde – die Liste der Zeitschriften, die da vorkommen, ist schon beeindruckend.

STANDARD: Wie kann es passieren, dass namhafte Journale hunderte Studien veröffentlicht haben, obwohl deren Entstehungsbedingungen intransparent scheinen?

Druml: Theoretisch sind all diese Journale dazu verpflichtet, nur Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, die auch nach ethischen Richtlinien durchgeführt wurden. Das wird normalerweise auch sehr rigide abgefragt, das ist das eine Korrektiv. Zudem hat jedes dieser Journale ein etabliertes Begutachtungssystem, wo andere Wissenschafter die Manuskripte überprüfen und die Verpflichtung haben zu kontrollieren, ob alle Richtlinien erfüllt wurden. Eigentlich ist das ein System, das sehr gut funktionieren sollte. Es würde wohl einer weiteren Studie bedürfen, um herauszufinden, warum und unter welchen Umständen hier in jedem einzelnen Fall das Okay gegeben wurde.

STANDARD: Wie ist international der Status quo, was den Umgang mit Organen in der wissenschaftlichen Forschung angeht?

Druml: Da muss man differenzieren. Das eine ist wissenschaftliche Forschung, die direkt der Lebensrettung bei der Transplantation gewidmet ist. Das ist auch im österreichischen Transplantationsgesetz festgeschrieben, dass nur eine sehr eingeschränkte Art der Forschung betrieben werden kann – und nur, wenn sie sich direkt der Lebensrettung durch dieses Organ widmet. Gesetzlich ist die Verwendung von Organen zu anderen Forschungszwecken, etwa für Kosmetik, explizit ausgeschlossen.

STANDARD: Was ist mit Forschungen an Organen, die von hingerichteten Häftlingen stammen – wie die aktuelle Studie nahelegt?

Druml: Das ist natürlich eine große Problematik. Die Frage hat es immer schon gegeben: Wie gehe ich mit unethisch erworbenen Forschungsergebnissen um? Muss ich sie unterdrücken und darf sie nicht publizieren, oder habe ich die Verpflichtung, diesen Menschen, die an unethischen Forschungen teilnehmen mussten, irgendwie gerecht zu werden. Man denke an die Forschung zur Zeit des Nationalsozialismus. Da gibt es verschiedene Standpunkte, die alle nicht perfekt sind.

STANDARD: Welchen Standpunkt vertreten Sie in dieser Frage?

Druml: Ich glaube, man kann hier nur von Fall zu Fall entscheiden. Oft ist es wahrscheinlich besser, man veröffentlicht Ergebnisse nicht, wenn sie unethisch zustande gekommen sind. Man kann aber in manchen Fällen auch argumentieren, dass das unethische Zustandekommen zu verurteilen ist, das Ergebnis aber aus verschiedenen Gründen dennoch öffentlich zugänglich sein sollte.

STANDARD: Das Forscherteam, das die aktuellen Fälle nun untersucht hat, gibt die Empfehlung ab: Alle betroffenen Studien sollten zurückgezogen und im Detail überprüft werden. Ist das der richtige Schritt?

Druml: Das ist schwierig, eine solche Forderung hat weitgehende Konsequenzen. Die Forscher zeigen ja selbst auch einige Limitationen ihrer Untersuchung auf. Die Zahlen der fragwürdigen Transplantationen können etwa auch deshalb inkonsistent sein, weil es verschiedene Publikationen zu einzelnen Transplantationen gegeben haben könnte, die unterschiedliche Aspekte untersucht haben, sodass die Zahl an Transplantationen höher scheint. Und wir wissen auch nicht genau, ob auch unethische, weil nicht der Lebensrettung gewidmete Forschungsthemen darunter waren. Man müsste vorab jede einzelne Publikation genau überprüfen. Es gibt hier noch viele Dinge zu klären. (David Rennert, 7.2.2019)