Siemens muss aus dem TGV von Alstom wieder aussteigen.

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Das Tauziehen um den EU-Eisenbahnchampion von Siemens und Alstom ist beendet: Aus ICE und TGV wird doch kein deutsch-französischer Einheitszug. Denn die EU-Wettbewerbskommission rund um Margrethe Vestager widersetzte sich dem massiven Druck aus Berlin und Paris und untersagte die Zusammenlegung der Eisenbahnteile von Siemens und Alstom. Die beiden waren nicht bereit, ausreichend Zugeständnisse zu machen und die Bedenken der Kommission auszuräumen.

Die Bedenken drehten sich um den Wettbewerb, der durch das fusionierte Schwergewicht eingeschränkt, in Signaltechnik und bei Hochgeschwindigkeitszügen de facto ausgeschaltet worden wäre. In letzterem Segment wäre als ernsthafter Konkurrent lediglich Erzrivale Bombardier aus Kanada übriggeblieben, mit dem Siemens bis September 2017 Fusionsgespräche im Bahnsektor geführt hatte.

Höhere Preise

Bezahlt hätte für dieses drohende Preisdiktat letztlich die öffentliche Hand, denn Bahngesellschaften sind weltweit überwiegend in Staatsbesitz, der öffentliche Personenverkehr wird von den Steuerzahlern finanziert. "Ohne ausreichende Abhilfemaßnahmen hätte der Zusammenschluss zu höheren Preisen für Signalanlagen, die die Sicherheit der Fahrgäste gewährleisten, und für die nächsten Generationen von Höchstgeschwindigkeitszügen geführt", rechtfertigte Vestager das harte Vorgehen der Kommission. Doch dazu seien Siemens und Alstom nicht bereit gewesen.

Die Zugeständnisse der EU hätten den Zusammenschluss unrentabel gemacht, konterten Siemens und Alstom. Siemens-Chef Joe Kaeser hielt mit seinem Frust nicht hinterm Berg, sprach vom "Schlusspunkt hinter ein europäisches Leuchtturmprojekt". Gepriesen hatten die Konkurrenten das Fusionsprojekt mit dem "Airbus auf Schienen", der entstehe, um gegen die anrollende staatliche Konkurrenz aus China in Gestalt des Bahnriesen von CRRC mit 30 Milliarden Euro Umsatz Meter zu machen.

"Es ist okay, groß zu sein. Aber das ist nicht das Problem hier", hielt Vestager dagegen. "Der Konkurrenz wäre es nicht gelungen, den deutlichen Verlust an Wettbewerb durch die Fusion gutzumachen." Die von Siemens vorgeschlagene Vergabe einer Lizenz für die neue Generation der ICE-Plattform Velaro über zehn Jahre hätte deren Käufer nicht dazu bewogen, einen Konkurrenzzug zu entwickeln. Siemens betonte, "eine Reihe renommierter und etablierter europäischer Anbieter" hätten Interesse gezeigt.

Keine Angst vor Konkurrenz aus China

Auch dass die Chinesen in Europa bald ernsthafte Konkurrenz sein würden, bezweifelte Vestager: "In Bezug auf Höchstgeschwindigkeitszüge hält die Kommission es für höchst unwahrscheinlich, dass neue Wettbewerber aus China in absehbarer Zukunft Wettbewerbsdruck auf die beteiligten Unternehmen ausüben werden." Bei Signaltechnik seien die Chinesen noch nicht einmal aufgetreten.

Einen neuen Anlauf hatte Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge bereits am Dienstag ausgeschlossen: "Es wird keine zweite Chance geben." Womit klar ist: Gegen den Kommissionsentscheid wird beim Gerichtshof der EU in Luxemburg nicht geklagt.

Der größte Konkurrent des geplatzten Deals, Bombardier, begrüßte die Brüsseler Entscheidung. Nicht ausgeschlossen, dass die Kanadier, denen Siemens 2017 nach monatelangen Verhandlungen von einem Tag auf den anderen die Tür zugeschlagen hatten, nun wieder ins Spiel kommen. Die wichtigsten Vorarbeiten hat der Münchner Elektromulti erledigt: Die Verkehrstechnik wurde aus allen Landesgesellschaften weltweit herausgelöst und Mitte 2018 in Siemens Mobility mit 8,8 Milliarden Euro Umsatz und 28.400 Beschäftigten transferiert.

Mehr Personal

In Österreich führte das übrigens zur Personalvermehrung: Waren bei Siemens SGP in Wien 2017 noch 1200 Mitarbeiter beschäftigt und im Drehgestellwerk in Graz rund 980, weist Mobility jetzt 2800 Beschäftigte aus. Mit rund 620 Mitarbeitern sind Zentralstellen wie Geschäftsführung, Recht, Vertrieb, Forschung/Entwicklung recht üppig ausgestattet. Eine Reintegration in den Siemens-Konzern wird in Siemens-Kreisen ausgeschlossen. Man prüfe alle Optionen für Mobility – in Finanzkreisen gilt ein Börsengang wie in der Medizin-Sparte als Option, um das margenschwache Geschäft nicht konsolidieren zu müssen.

Die Wirtschaftsminister von Deutschland und Frankreich, Peter Altmaier und Bruno Le Maire, reagierten harsch: Le Maire nannte das EU-Kartellrecht "überholt", es nutze nur globalen Konkurrenten. Altmaier bereitet eine Initiative "zu einer zeitgemäßen Anpassung des europäischen Wettbewerbsrechts" vor. Zusammenschlüsse, die für Europas Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten notwendig sind, müssten künftig möglich sein. Siemens-Chef Kaeser regt gar eine "Ministererlaubnis" gegen EU-Kartellentscheidungen an.(7.2.2019)