Luigi Di Maio traf Gelbwesten-Vertreter. Frankreich ist darüber nicht erfreut.

Foto: APA / AFP / Alberto Pizzoli

Bild nicht mehr verfügbar.

Gelbwesten-Führer Christophe Chalencon.

Foto: AP/Bertrand Combaldieu

Auch Diplomaten platzt bisweilen der Kragen – so geschehen am Donnerstag im Quai d'Orsay, dem französischen Außenministerium. Sprecherin Agnès Von Der Mühll erklärte, Paris rufe den Botschafter in Rom zu "Konsultationen" zurück – denn seit Wochen müsse man "wiederholte Anschuldigungen, grundlose Attacken und übertriebene Erklärungen" aus Rom erdulden. Jetzt gebe es "zusätzliche Provokationen". Gemeint ist das Treffen von Vertretern der französischen Protestbewegung Gelbwesten mit dem italienischen Vizepremier Luigi Di Maio in Paris. Darin sehe man eine Einmischung in die französische Innenpolitik.

Diese Aktion ist der etwas theatralisch anmutende Höhepunkt einer diplomatischen Krise, die schon seit längerem schwelt. Nach der Vereidigung der populistischen Regierung in Rom im Juni 2018 verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarstaaten rapide: Für Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung und für den zweiten Vizepremier, Matteo Salvini von der rechten Lega, ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron der Inbegriff einer arroganten und abgewirtschafteten Elite, die laut Salvini "gegen das eigene Volk regiert".

Luigi Di Maio verbreitete dieses Bild, das ihn mit führenden Gelbwesten zeigt.

Schon im Jänner hatte sich Di Maio bei Vertretern der Gelbwesten angebiedert und sie aufgefordert, "standhaft zu bleiben". Schon damals bestellte das französische Außenministerium den italienischen Botschafter ein. Der Abzug des eigenen Botschafters aus Rom ist ein weiterer Schritt in dieser Eskalation unter befreundeten EU-Nachbarn.

"Zynismus"

Doch auch die französische Seite hat bisher nicht mit Nadelstichen gegen Rom gegeizt. Nach der Schließung der italienischen Häfen für private Rettungsschiffe durch Salvini warf Macron im vergangenen Jahr den Italienern "Zynismus" und "Verantwortungslosigkeit" vor. Das entfachte über die italienischen Regierungskreise hinaus Ärger, der sogar dazu führte, dass französische Zollgendarmen und Grenzbeamte aus Italien gekommene Migranten systematisch dorthin zurückwiesen.

Salvini echauffierte sich und warf Frankreich vor, die Grenzen zu Italien abgeriegelt zu haben und sogar schwangere und kranke Migrantinnen zurückzuweisen. Di Maio warf zudem den Franzosen vor, durch ihre "neokoloniale Politik" Afrika auszubluten und die Massenflucht zu begünstigen. "Aus Paris nehmen wir keine Lektionen entgegen", tönte es damals aus Rom.

Macron legte umso beherzter nach: Der französische Präsident verglich die italienischen Populisten mit der "Lepra" und erklärte, dass "das italienische Volk Anführer verdienen würde, die seiner Geschichte würdig sind".

Historische Vergleiche

Beide Seiten bemühten nun im neuesten Durchgang am Donnerstag historische Vergleiche: Seit Mussolinis Kriegserklärung an Frankreich im Jahre 1940 ist es in der Tat das erste Mal, dass Paris den italienischen Botschafter einberuft. Präsident Sergio Mattarella zeigte sich besorgt und forderte Premier Giuseppe Conte auf, sich für eine Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zu Frankreich einzusetzen.

Bei dem ganzen Streit zwischen Rom und Paris ist freilich viel italienisches Wahlkalkül dabei: Die "Cousins jenseits der Alpen", wie die Franzosen in Italien genannt werden, gelten im Belpaese als ein bisschen hochnäsig – und so sind die Breitseiten Di Maios und Salvinis Zuhause bei vielen sehr populär. Allerdings handelte es sich bisher eher um harmlose Neckereien – ähnlich jenen zwischen Österreichern und Deutschen.

Aber natürlich hat auch Frankreichs Regierung dieses Kalkül durchschaut: "Die Wahlkampagne für die Europawahl im Mai kann den mangelnden Respekt gegenüber einem Volk oder seiner Demokratie nicht rechtfertigen", heißt es in dem Kommuniqué des französischen Außenministeriums. Frankreich und Italien seien verbunden durch eine gemeinsame Geschichte; zusammen hätten sie Europa aufgebaut und sich für den Frieden eingesetzt.

"Neues Kapitel"

Vordergründig nahm Salvini diesen versteckten Freundschaftsappell sofort an: "Ich bin bereit, mit Frankreich ein neues Kapitel aufzuschlagen zum Wohle unserer Völker. Und ich wäre glücklich, Macron zu treffen", sagte der Innenminister am Donnerstag. Voraussetzung: Paris solle aufhören, Migranten an der Grenze zurückzuweisen und italienischen Verbrechern Schutz zu gewähren.

Auch Macron befindet sich im Wahlkampf – wohl deswegen nimmt er Di Maios und Salvinis Fehdehandschuh aus taktischen Gründen nur allzu gern auf. Er versucht, sich als Leader des "progressiven" Lagers gegen Populisten wie Marine Le Pen, eben Salvini oder Viktor Orbán zu inszenieren. Man wird sehen, wer sich letzten Endes bei den Europawahlen im Mai durchsetzt. (Dominik Straub aus Rom, Stefan Brändle aus Paris, 8.2.2019)