Luxusproblem Serienschwemme (von links): "Stranger Things", "Game of Thrones", demnächst "M", "The Walking Dead" und allzu viele mehr: Der Überblick geht verloren – und kehrt so bald nicht wieder.

Montage: Armin Karner

Kostendruck bei Serien steigt, sagt der Betafilm-Produzent und Rechtehändler Jan Mojto.

Foto: ORF/Roman Zach-Kiesling

In den USA ist bald eine natürliche Grenze bei der Serienproduktion erreicht, schätzt Nico Hofmann, Chef der deutschen Ufa-Film.

Das Jahr ist noch jung, aber im Serienregal stapelt sich schon Material, das unbedingt gesichtet werden will: Neue Folgen von True Detective sind eingetroffen, Black Earth Rising soll sensationell sein, die nächste Staffel von Grace and Frankie ist da, nicht zu vergessen Sex Education und Aufräumen mit Marie Kondo. Und es gilt keine Zeit zu verlieren. Premieren von David Schalkos M und Stefan Ruzowitzkys Acht Tage stehen an, bald geht The Walking Dead weiter – und, und, und!

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Nie war die Lust an der Serie so groß wie heute, nie die Auswahl so grenzenlos – und genau deshalb endet der Freizeitspaß immer öfter in blankem Frust. Zu viele Serien, man kommt mit dem Schauen nicht mehr nach, lautet die Beschwerde. Ein Luxusproblem, aber Serienjunkies fühlen sich vom "goldenen Fernsehzeitalter" schon leicht genervt. Wer sich seiner Neigung verpflichtet fühlt, dem drohen dunkle Augenringe vom Bingewatchen. Mindestens.

Schlechte, irgendwie aber doch gute Nachrichten

Die schlechte, irgendwie aber doch gute Nachricht: Die Augenringe bleiben – zumindest vorerst. Die Zahl der Fernsehserien nimmt international eher zu als ab. Allein in den USA entstanden 2018 mehr als 500 Serien, 160 davon steuert Netflix bei. Neue Anbieter wie Disney und AT&T drängen in den Markt, Apple kündigt sein Fernsehen für das erste Halbjahr 2019 in den USA mit Serien im Wert von einer Milliarde Dollar an.

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"Der Markt ist überhitzt", bestätigt Nico Hofmann, Chef der deutschen Ufa-Gruppe und einer der größten Produzenten Europas. Platzt die Blase? Hofmann rechnet damit: "In den USA ist eine natürliche Grenze erreicht, und der Output ist nicht mehr finanzierbar." Eine Konsolidierung des Serienmarktes erwartet auch der slowakische Produzent und Rechtehändler Jan Mojto: "Weil der Kostendruck steigt."

Erste Erschöpfungstendenzen zeichnen sich tatsächlich ab. Der Umsatz von Netflix lag mit 4,19 Milliarden Dollar zuletzt leicht unter den Schätzungen von Analysten. Das Wachstum der Onlineplattform schwächte sich ab auf 27,4 Prozent, womit sich bereits ein Trend fortsetzt. Erstmals seit 2002 sinkt der Anteil der eigenproduzierten Serien bei US-Kabelsendern – und zwar um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Die Preise steigen

Macht Netflix den Markt kaputt? Die Plattformen lechzen im Streamingzeitalter nach Inhalten. Originalinhalte gelten als Ausdruck der Einzigartigkeit, als unerlässliches Marketinginstrument für den Unternehmenserfolg. Acht Milliarden Dollar pumpt Netflix jährlich in sein Programm. Dass die Finanzierung zu wesentlichen Teilen nur über Kredite möglich ist, macht Marktbeobachter allerdings nicht optimistischer.

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Die Konsequenzen aus der hohen Nachfrage folgen den Marktgesetzen und sorgen für zusätzliche Hitze: Die Preise steigen auf allen Ebenen – Gagen, Produktion, Lizenzen. Teurer werden die Serien insgesamt, weil immer aufwendiger produziert wird, um im Werbewettrennen um das tollste Format ganz vorn zu liegen. 13 Millionen Euro soll eine Folge von Game of Thrones kosten. Netflix investiert 110 Millionen Euro in eine Staffel von The Crown.

Spitzengagen steigen, Ressourcenknappheit droht

Das hängt auch damit zusammen, dass die Gagen steigen. Große Konzerne und Plattformen brauchen große Namen als Zugpferde – und sie zahlen das Doppelte bisheriger Gagen. Das trifft mittlerweile durchaus auch auf den deutschsprachigen Raum zu, sagt etwa Sky-Manager Frank Jastfelder und spricht ein sehr praktisches Problem an: Weil so viele Serien produziert werden, droht Ressourcenknappheit.

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Es gibt schlicht zu wenige Schauspieler, Autoren, Showrunner und Regisseure, die sich gleichzeitig auch prominent vermarkten lassen. "Wir merken, dass speziell im deutschsprachigen Raum aufgrund der gestiegenen Produktionen das Talent nicht verfügbar ist und Preissteigerungen vorhanden sind. Wenn man weiß, dass man gefragt ist, kann man seinen Marktpreis entsprechend anpassen", sagt Jastfelder. "Die Verfügbarkeit der kreativen Ressourcen ist nicht unbegrenzt", sagt auch Mojto.

Wesentlich mehr Drehs

Für Hofmann ist "spürbar, dass wesentlich mehr gedreht wird. Dadurch ist es schwieriger geworden, ein Produktionsteam aufzustellen". Langfristig könnte dadurch "eine Art Flaschenhals" entstehen, sagt Hofmann im STANDARD-Gespräch: "Es wird dann eine Riege an Kreativen geben, mit denen alle zusammenarbeiten möchten.

Und das passiert: Bekam ein Regisseur in einer hoch gehandelten Serie früher für eine Serienstunde in Deutschland 30.000 Euro, darf er inzwischen nach STANDARD-Infos aus Branchenkreisen mit gut 60.000 rechnen. Verschärft wird die Situation zusätzlich durch Exklusivverträge, mit denen große Produktionshäuser kreative Talente an sich binden.

Nicht sicher, welche Serie Sie als nächstes schauen sollten? Die STANDARD-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten hier ein paar Empfehlungen für Sie:

Große räumen ab

Der große Geldregen für Cast und Crew trifft freilich nur einige wenige. Vor der ersten Deutschland-Serie soll Netflix eine Liste mit Namen der höchstdotierten Filmleute erstellen haben lassen – an der arbeitet man sich bis heute ab.

Teurer wird die Sache auch, weil die Plattformen für Einfluss und exklusiven Zugriff immer häufiger auf Koproduktionen verzichten. "Diese Art des Produzierens ist an starke inhaltliche Mitsprache gebunden. Das ist ein Modell der Vergangenheit", sagt Mojto. Weil es um Rechte geht: Teilten Sender und Produzenten – abzüglich diverser Förderungen – früher die Herstellungskosten im Verhältnis 90:10, übernehmen Produzenten inzwischen rund 30 Prozent. "Langfristig muss es natürlich unser Ziel sein, sämtliche Rechte an einer Produktion zu besitzen", erklärt Hofmann.

Denn unterm Strich rechnet sich der Hype natürlich doch. Weil so viele Anbieter Inhalte für ihre Plattformen brauchen, steigen auch die Verkaufspreise. Für die Rechte an einer deutschen Kaufserie in der Kategorie von Das Boot waren vor dem Serienhype höchstens 70.000 Euro zu bezahlen – je nachdem, wie viele sogenannte Spielungen der Vertrag vorsah und aus welchem Land der Käufer kam. Aufgrund der hohen Nachfrage und der Möglichkeit, die Serie auf verschiedenen digitalen Plattformen abzuspielen, kostet die Oberliga inzwischen bis zum Zehnfachen.

Starke europäische Serien

"Es wird schwieriger für kleine Produzenten, die ein bis zwei Filme pro Jahr machen", schätzt Mojto. Diese Mechanismen würden größere Einheiten begünstigen.

Mojto sieht insbesondere Europa groß im Kommen: Spanien erlebe einen beispiellosen Boom an Kreativität – "als ob das Land explodiert", sagt Mojto.

Netflix América Latina

Aus allen Ecken komme Serienware, die noch bis vor kurzem als international nicht vermarktbar galt und um die sich plötzlich alle reißen. Vor allem deutschsprachigen Serien sagt Hofmann naturgemäß eine große Zukunft voraus – und schließt explizit österreichische Kreativkraft wie Andreas Prochaska (Das Boot) und David Schalko (M) ein: "Der Markt radikalisiert sich qualitativ", sagt Hofmann. Zudem verfüge der Raum über ein stabiles und "extrem erfolgreiches" öffentlich-rechtliches und privates Fernsehen. Hofmann: "Ich bin zutiefst überzeugt, dass Serien qualitativ immer besser werden, weil der Konkurrenzdruck wächst."

"Ich verstehe, dass der Zuschauer sich überfordert fühlt, aber eigentlich sollte er sich freuen", rät Mojto dem Publikum: "Wenn ich Serien als die Fortsetzungsromane der Gegenwart und Zukunft betrachte, befriedigen sie ein Bedürfnis nach großen Geschichten." Und davon könne man nicht genug haben. (Doris Priesching, 9.2.2019)

Mehr über Serien gibt es im STANDARD-Podcast Serienreif. In der neuen Folge schwärmt die "Vorstadtweiber"-Regisseurin Sabine Derflinger über die Netflix-Serie "Ozark":