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Irischer Stimmzettel. Statt einem Kreuz tragen Wähler eine Zahl ein: Sie können Kandidaten nach ihrer Präferenz reihen – auch, um jene zu verhindern, die sie gar nicht wollen.

Foto: Reuters / Clodagh Kilcoyne

1. Das Mehrheits-Murmeltier der Politik

Immer wieder Mehrheitswahlrechtsdebatte

Wer nach immer wiederkehrenden Kontroversen in der österreichischen Innenpolitik sucht, wird beim Thema Wahlsystem schnell fündig. Fast schon mit der Regelmäßigkeit eines Metronoms schwappt die Debatte um ein Mehrheitswahlrecht durch die innenpolitische Landschaft, zuletzt hat sie vergangene Woche das Burgenland erfasst. Das Thema hat immer wieder Diskussionen über Sinn und Machbarkeit ausgelöst, Fürsprecher und Gegner fanden sich: Wirklich ernst genommen wurde die Idee, Österreichs Verhältniswahlrecht könne durch die Persönlichkeitswahl von Abgeordneten in Wahlbezirken ersetzt werden, aber nie. Zu groß wäre vielen der politische Kulturwandel, würden Abgeordnete plötzlich in "Swing-Wahlkreisen" von Floridsdorf bis Bludenz um die relative Mehrheit rittern.

Dabei geht es längst nicht immer um ein klassisches Westminster-System, in dem die stimmenstärkste Partei eines Wahlkreises dessen Mandat gewinnt – und kleinere Gruppen kaum Chancen auf Parlamentssitze haben. So auch 2017, als der damalige Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern in seinem "Plan A" eigentlich ein ganz anderes System vorschlug: Die stimmenstärkste Partei solle automatisch den Kanzler stellen, das Wahlrecht möge mehrheitsfördernd sein, hatte er gefordert. Die Folge waren mediale Debatten über ein Mehrheitswahlrecht, nicht unbedingt aber über ein mehrheitsförderndes, wie es Kern eigentlich vorgeschlagen hatte. Dabei gäbe es für ein solches viele Vorbilder, auch in Staaten mit Verhältniswahlrecht. In Griechenland etwa, in dessen 300-Sitze-Parlament die stimmenstärkste Partei 50 Bonusmandate bekommt. Oder in Italien und Deutschland, wo Mehrheits- und Verhältniswahl gemischt sind.


2. Quadratisch. Aber praktisch?

Wer seine Stimme teilt, stimmt öfter ab

Haben Sie schon einmal für eine Partei gestimmt, von der Sie sonst wenig überzeugt waren, nur weil sie eine einzige Position vertreten hat, die Ihnen wichtig war? Würden Sie gerne öfter an Volksabstimmungen teilnehmen, fürchten aber, dass diese zu einer "Tyrannei der Mehrheit" verkommen könnten, wenn alle Staatsbürger über das Schicksal einer Minderheit entscheiden? Möchten Sie statt einer Partei eine Koalition wählen – und sich gleich auch aussuchen, welcher Koalitionspartner der stärkere sein soll? Dann kann es sein, dass ein obskures System zweier Wissenschafter aus den USA für Sie das Richtige wäre: "Quadratic Voting" soll es laut den US-Ökonomen Steven P. Lalley und Glen Weyl Wählerinnen und Wählern erlauben, Parteien und Themen, die ihnen wichtig sind, besonders intensiv zu unterstützen – und jene Wahlen, die ihnen egal sind, zu ignorieren.

Möglich wird das, indem Abstimmende nicht nur über eine einzige Stimme verfügen, sondern über ein Stimmenkonto, das jedes Jahr aufgefüllt wird – zum Beispiel auf 25 Punkte. Diese Punkte können bei allen möglichen Entscheidungen eingesetzt werden: bei Parlamentswahlen, bei Volksentscheiden von Steuerquote bis Migrationspakt oder bei lokalen Abstimmungen über das nächste Hochhausprojekt oder die Frequenz der Müllabfuhr. Der Clou dabei: Es können mehrere Stimmen pro Wahl abgegeben werden, ihr Preis in Punkten quadriert sich dann aber. Eine Stimme kostet also einen Punkt, zwei Stimmen vier, drei Stimmen neun etc.

Wählerinnen und Wähler könnten theoretisch also an 25 Abstimmungen im Jahr teilnehmen – oder bei einer, die ihnen wichtig ist, fünf Stimmen zum Preis aller 25 jährlich verfügbaren Punkte abgeben. So könnte in der Theorie sichergestellt werden, dass etwa Mitglieder von Minderheiten bei Fragen, die sie besonders betreffen, stark mitsprechen können – und dass es Kompromisse gibt. Immerhin bekäme jeder das, was ihm oder ihr besonders wichtig ist.

Fraglich ist freilich, wie das System praktisch umsetzbar wäre. Und ob es geheime Wahlen erlaubt. Denn schließlich wäre etwa nachvollziehbar, wann wie viele Punkte vom Konto behoben wurden.


3. Das kleinste Übel siegt

Rang-Wahl gegen radikale Minderheiten

Das beste Argument, das Unterstützer der Rang-Wahl derzeit haben, sitzt im Weißen Haus. US-Präsident Donald Trump wurde nicht von einer Mehrheit der US-amerikanischen Wählerinnen und Wähler gewählt. Und dass eine Mehrheit in den wahlentscheidenden Bundesstaaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania ihn seiner Konkurrentin Hillary Clinton vorgezogen hätte, ist unsicher. Denn in allen drei Bundesstaaten reichen Trump relative Mehrheiten zwischen 47 und 48 Prozent der abgegebenen Stimmen zum Sieg. Rund fünf Prozent der Wählerinnen und Wähler hatten ihre Stimme der Grünen Jill Stein, dem Libertären Gary Johnson oder anderen Kleinstpartei-Kandidaten gegeben.

Das Phänomen ist aber nicht auf die USA beschränkt. Auch in Österreich fürchten Wähler kleiner Parteien, ihre Stimme zu "verschenken", weil die Wunschpartei die Vier-Prozent-Grenze nicht erreichen könnte. Die Grünen verweisen bei der Analyse ihres Parlaments-Aus von 2017 auf den polarisierten Wahlkampf an der Spitze, der viele Unterstützerinnen und Unterstützer die SPÖ habe wählen lassen. Umgekehrt kann die KPÖ bei den Gründen ihres anhaltenden Scheiterns auf Grüne und SPÖ verweisen, christliche Parteien auf die ÖVP.

Die Idee der Rang-Wahl will dem ein Ende bereiten, indem Wählerinnen und Wähler nicht eine Stimme abgeben, sondern eine Liste ihrer Wahlpräferenz. Besonders intuitiv ist dieses System für Systeme mit Mehrheitswahlrecht: Gewinnt keiner der Kandidaten in der ersten Auszählung 50 Prozent der Stimmen, fällt jener mit der geringsten Zustimmung aus dem Rennen – dann wird neu ausgezählt.

Das System ist aber auch in Demokratien mit Listenwahl einsetzbar: so etwa in Irland, Australien, Malta. Dort wird pro Wahlkreis zusätzlich eine Mindestzahl an Stimmen ermittelt, die ein Kandidat überwinden muss, um gewählt zu werden. Ist diese bei Auszählung eines Wahlzettels schon erreicht, geht die Stimme an die zweitplatzierte Person. (Manuel Escher, 9.2.2019)