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Oppositionschef Jeremy Corbyn hat die Initiative ergriffen: Er zeigt sich kompromissbereit.

Foto: AP/Joe Giddens

Am Ende einer frustrierenden Arbeitswoche, in der sie viel Zeit außerhalb Londons verbrachte, liegt die Lösung des Brexit-Problems für Premierministerin Theresa May in weiter Ferne. Am Freitag wollte die britische Regierungschefin in der irischen Hauptstadt Dublin mit ihrem Amtskollegen Leo Varadkar zu Abend essen, um Veränderungen am umstrittenen EU-Austrittsvertrag zu erreichen.

Unterdessen hat in London Oppositionschef Jeremy Corbyn die Initiative ergriffen: Falls May sich Labours Wunsch nach dem dauerhaften Verbleib Großbritanniens in einer Zollunion mit Brüssel zu eigen mache, werde seine Partei dem Vertrag zustimmen. Die Zollunion ist bereits seit vergangenem Februar Teil von Labours-Brexit-Politik. Hingegen hat die Opposition ihre ohnehin stets unrealistische Forderung aufgegeben, May müsse nach dem Austritt aus dem Binnenmarkt die "exakt gleichen Vorteile" für die britische Wirtschaft erreichen, wie es sie derzeit gibt. Die Rede ist nun von "enger Anbindung", auch an Regeln zum Arbeits- und Umweltschutz.

Ein vom Unterhaus zu verabschiedendes Gesetz soll die Grundlage dafür schaffen, dass die Insel auch in Zukunft mit den EU-Regularien Schritt hält. Juristen weisen allerdings darauf hin, dass das jetzige Parlament die Abgeordneten zukünftiger Legislaturperioden ohne feste völkerrechtliche Verpflichtung nicht binden könne. Aus der Londoner Downing Street hieß es bis Freitagnachmittag lediglich, man habe Corbyns Vorschlag "mit Interesse" zur Kenntnis genommen. "Nach wie vor glaubt die Premierministerin, dass eine unabhängige Handelspolitik zu den wichtigsten Vorteilen des Brexits gehört."

Die 62-jährige Konservative hat ihren politischen Weggefährten Liam Fox mit dem Ministerium für internationalen Handel betraut; eine Zollunion würde das Ministerium überflüssig machen und May wohl Fox' innerparteilich wichtige Unterstützung kosten.

Alarmglocken schrillen

Allerdings dürfte Corbyns Angebot bei den konservativen Brexit-Ultras die Alarmglocken schrillen lassen – das kann May nur recht sein. Sollte sich nämlich im Unterhaus eine Mehrheit für den weichen Brexit à la Labour finden, wären die Träume von einer harten Trennung oder gar dem Chaos-Brexit ohne jede Austrittsvereinbarung passé.

Bei Labour geriet Corbyns Brief an May in die innerparteiliche Kritik, weil der Partei-Linke und langjährige Skeptiker der europäischen Einigung darin die Möglichkeit eines zweiten Referendums mit keinem Wort erwähnte. Dies gilt einer großen Gruppe von Unterhausabgeordneten der Arbeiterpartei als Ausweg aus der Brexit-Krise. Offen drohen Partei-Rechte mit dem Austritt. Er selbst und viele andere Kollegen müssten "über die Zukunft in der Partei nachdenken", teilte der walisische Abgeordnete Owen Smith mit, der 2016 Corbyn im Rennen um den Labour-Vorsitz unterlegen war. Seine Geduld sei "stark strapaziert", sekundierte Chris Leslie aus Nottingham.

Hingegen mahnte der enge Corbyn-Verbündete John McDonnell zur Besonnenheit. Zur Debatte stehe "ein typisch britischer Kompromiss", sagte Labours Finanzsprecher und zitierte listig den Partei-Rechten Hilary Benn: "Es können nicht alle alles erreichen, was ihnen vorschwebt." Ausdrücklich betonte McDonnell aber, die Möglichkeit eines zweiten Referendums sei weiterhin gegeben. Als viel wahrscheinlicher gilt aber in London, dass die Regierung über kurz oder lang eine Verlängerung der Verhandlungsperiode mit Brüssel beantragt.

Sondierung in Dublin

Bei ihrem Besuch in Dublin wollte May wie zuvor in Belfast und in Brüssel ausloten, ob die Auffanglösung für Irland verändert werden kann. Dies hatte Varadkar ebenso kategorisch ausgeschlossen wie die EU-Präsidenten Jean-Claude Juncker (Kommission) und Donald Tusk (Rat). "Die Instabilität der britischen Politik in den vergangenen Wochen demonstriert doch genau, warum wir eine rechtlich bindende Garantie brauchen", glaubt der konservative Premier. (Sebastian Borger aus London, 8.2.2019)