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Mindestens 45.000 Menschen demonstrierten am Sonntag in Madrid für die Einheit Spaniens und gegen die Regierung von Pedro Sánchez.

Foto: Reuters/Sergio Perez

Seit mehr als einem Jahr sitzen sie bereits in Untersuchungshaft, kommende Woche ist es so weit: Spaniens Justiz verhandelt ab Dienstag über die Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Insgesamt müssen sich zwölf Beschuldigte vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid wegen des Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017 verantworten.

Neben dem ehemaligen Vizechef der katalanischen Regierung, Oriol Junqueras, der im November 2017 am Rande einer Verhandlung festgenommen wurde, sitzen acht Ex-Minister und Ex-Ministerinnen, die frühere Präsidentin des katalanische Parlaments, Carme Forcadell, sowie die Vorsitzenden der Katalanischen Nationalversammlung (ANC), Jordi Sànchez und Jordi Cuixart vom Kulturverein Òmnium Cultural, auf der Anklagebank. Neun der zwölf befinden sich in Untersuchungshaft. Der ehemalige katalanische Regierungschef Carles Puigdemont und sechs weitere Politiker haben sich rechtzeitig ins Ausland abgesetzt. In Abwesenheit darf in Spanien niemand verurteilt werden.

Neun der zwölf Angeklagten werden der "Rebellion" beschuldigt. Der Rest des "Aufstandes" oder des "schweren Ungehorsams". Hinzu kommt bei einigen der Vorwurf der "Veruntreuung öffentlicher Gelder". Sie alle hätten "eine Strategie verfolgt", um zwischen Regierung, Parlament und den beiden Unabhängigkeitsorganisationen "das Vorgehen abzustimmen" und so "die verfassungsmäßige Ordnung mit dem Ziel der Unabhängigkeit Kataloniens zu brechen", heißt es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. "Sie dachten über den Einsatz aller Mittel nach, die erforderlich sind (...) einschließlich (...) notwendiger Gewalt (...) zum einen mithilfe der einschüchternden Wirkung, die von tumultartigen Handlungen der großen Mobilisierungen, zu denen sie gerufen hatten, ausgeht, und zum anderen mit dem Einsatz der bewaffneten Polizei Mossos d'Esquadra, (...) die, wenn nötig, die kriminellen Ziele mit Zwang schützen könnte", heißt es weiter.

Vorwürfe reichen

Das wird durch die Tatsachen nicht unbedingt gestützt. Denn die Großdemonstrationen verliefen völlig friedlich. Und natürlich kam es auch zu keinem bewaffneten Aufstand der Autonomiepolizei Mossos d'Esquadra. Doch der Staatsanwaltschaft reicht offenkundig die Unterstellung, Gewalt in Erwägung gezogen zu haben, um den Vorwurf der Rebellion aufrechtzuerhalten. Sie fordert zwischen 17 und 25 Jahre Haft. Die Anwälte des Staates, die direkt die Interessen der spanischen Regierung vertreten, verlangen acht bis zwölf Jahre Haft.

Die rechtsradikale Partei Vox, die das Verfahren als Bühne entdeckt hat und als öffentliche Nebenklägerin auftritt, will gar bis zu 74 Jahre Haft. 500 Zeugen sind geladen, unter ihnen der Ex-Premier Mariano Rajoy. Die Hauptverhandlung, die live im Fernsehen übertragen wird, soll drei bis vier Monate dauern.

Jus-Professoren-Protest

"Es war notwendig einen Tathergang auf Grundlage von Erfindungen zu konstruieren, indem sie die Gewalt in den Vordergrund stellen – auch wenn das Unsinn ist", beschwert sich Andreu Van den Eynde, Verteidiger des ehemaligen Vizeregierungschefs Junqueras. Die Unabhängigkeitsbewegung sei in den letzten Jahren immer stärker geworden. "Der Vorwurf der Rebellion (...) soll dieses Wachstum bremsen", sagt er.

Auch für 120 spanische Jus-Professoren sind die Anklagen wegen "Rebellion" und "Aufstand" völlig überzogen. Dies "öffnet die Tür zur Banalisierung" von Straftatbeständen, "die in einer Demokratie praktisch nicht vorkommen", heißt es in ihrem Manifest. Professor Diego López Garrido, der die entsprechenden Paragrafen bei einer Strafrechtsreform in den 1990er-Jahren ausarbeitete, erklärt, diese seien ausschließlich für militärische Putschversuche gedacht gewesen. Die belgische, schottische und deutsche Justiz können ebenfalls keine Rebellion ausmachen. Sie lehnten eine Auslieferung der im Ausland lebenden katalanischen Politiker ab.

Die Gerichtsverhandlung droht die spanische Regierung des Sozialisten Pedro Sánchez in den Abgrund zu reißen. Er braucht die Stimmen der katalanischen Parteien im spanischen Parlament, um das Budget zu verabschieden und so bis Ende der Legislaturperiode 2020 zu regieren. Angesichts des Verfahrens drohen die Unabhängigkeitsbefürworter aber nun, den Haushalt platzen zu lassen.

Zehntausende bei Demos

Um die Lage zu beruhigen, bot Sánchez der katalanischen Regierung jüngst wieder einen Dialog an. Erstmals sollte ein unabhängiger "Berichterstatter" mit am Tisch sitzen und genau aufzeichnen, worüber geredet wird und worauf sich beide Seiten einigen – so lautet zumindest der Wunsch.

Sánchez zog das Angebot am Freitag wieder zurück. Dennoch wirft ihm die Rechte "Ausverkauf der spanischen Einheit", ja "Verrat" und "Treuebruch" vor. Der konservative Partido Popular und die rechtsliberalen Cuidadanos mobilisierten am Sonntag mit der rechtsextremen Vox und neofaschistischen Gruppen mindestens 45.000 Menschen zu einer Großkundgebung für die Einheit Spaniens und für den Sturz der Regierung Sánchez in Madrid. (Reiner Wandler aus Madrid, 11.2.2019)