Die Versuchung ist nur ein paar Klicks entfernt. Wer "Viagra rezeptfrei kaufen" googelt, dem offenbart das Suchergebnis zahlreiche Angebote. Allerdings wohl kaum legale, denn das Potenzmittel ist in Österreich rezeptpflichtig. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich dabei um eine Fälschung. In der Praxis bedeutet das, der Käufer wird zumeist ein Luftpolsterkuvert mit einem Blister erhalten, Verpackung und Beipackzettel fehlen in der Regel ebenso wie die Gewissheit, dass es sich um Präparate mit erwünschtem Wirkstoff in korrekter Dosierung handelt.

Original oder Fälschung? Es handelt sich um illegale Plagiate eines rezeptpflichtigen Potenzmittels, die im Internet auch ohne ärztliche Verschreibung leicht erhältlich sind. Über Risiken und Nebenwirkungen informieren weder Arzt noch Apotheker.
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Neben möglichen Gesundheitsrisiken durch illegale Medikamenteneinfuhren entsteht dadurch auch ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden. Zumal das Problem größer wird. Während im Jahr 2005 gerade ein Fall von Medikamentenfälschung dem Zoll in die Fänge ging, waren es 2017 bereits 1.018 Aufgriffe. Den dadurch für die Pharmabranche in Österreich entstandenen Schaden beziffert das Finanzministerium auf 109 Millionen Euro – Tendenz steigend. Im Jahr 2018 beschlagnahmte der Zoll allein bis Ende Oktober in Österreich 2.261-mal illegale Medikamenteneinfuhren, entweder Plagiate oder geschmuggelte Präparate.

Wachsendes Problem

Diesen starken Anstieg der Fälle relativiert Gerhard Marosi, Experte für Produktpiraterie im Finanzministerium: Bei einem einzelnen Schmuggelaufgriff am Flughafen würden zumeist große Mengen an Medikamenten sichergestellt, bei einem Privatkauf von illegalen Onlineapotheken meist nur sehr geringe. Unterm Strich erwartet Marosi aber auch für das Vorjahr eine mengenmäßige Steigerung gegenüber 2017 – mit ein Grund, warum beim nächsten, jährlichen Produktpirateriebericht des Finanzministeriums der Schwerpunkt auf Arzneien gelegt wird. "Das Problem wird größer und größer", sagt der Experte.

Bei rund einem Drittel der beschlagnahmten Medikamente handelte es sich um Potenzmittel und fruchtbarkeitsfördernde Produkte. Aber auch Schlaf- und Beruhigungsmittel sowie schmerz- und entzündungshemmende Präparate sind begehrt – und werden entsprechend oft abgefangen. Die Post ist verpflichtet, verdächtige Sendungen dem Zoll zu melden. Und der Verdacht entsteht bei illegalen Medikamenten aus Internet-Shops rasch. "Wenn man ein Luftpolsterkuvert mit Tabletten schüttelt, hört man gleich, was drinnen ist", erklärt Marosi.

Bußgeld statt Potenz

Personen, deren Onlinekäufe von Plagiaten durch den Zoll abgefangen werden, müssen Marosi zufolge mit einem Bußgeldbescheid rechnen. Gewerbsmäßige Fälle seien jedoch ein Fall für den Staatsanwalt. Erlaubt ist hingegen der Onlineverkauf von nicht rezeptpflichtigen Arzneien – wobei sich qualifizierte und zertifizierte Onlineapotheken durch ein Gütesiegel auszeichnen.

Fehlende ärztliche Verschreibungen oder Schamgefühl gelten als Ursachen für Bestellungen von wahrscheinlich gefälschten rezeptpflichtigen Medikamenten im Internet.
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Was Leute dazu veranlasst, trotz der Risiken aus dubiosen Quellen wahrscheinlich gefälschte Medikamente zu beziehen, wobei diese mitunter sogar teurer sind als Originalware? Marosi mutmaßt, dass viele Betroffene etwa Schmerz- oder Schlafmittel nicht vom Arzt verschrieben bekommen würden. Bei Potenzmitteln sei aber auch Schamgefühl, speziell in ländlichen Regionen, ein denkbarer Grund. Daten über ein mögliches Stadt-Land-Gefälle bei Aufgriffen von online bestellten Potenzmitteln liegen dem Zoll allerdings nicht vor.

Sehr wohl aber über den Ursprung der Medikamentenplagiate, die stammen nämlich fast ausnahmslos aus Indien. Im Jahr 2017 lag der Anteil an den Aufgriffen bei 99,5 Prozent. Für Schmuggler und Produzenten eine profitträchtige Angelegenheit, zumal auch Hygienevorschriften, ebenfalls ein Kostenfaktor, dort kaum ernst genommen werden. Marosi berichtet etwa von einem sichergestellten Luftpolsterkuvert mit verschimmeltem Inhalt.

Großer Markt

"Der Markt mit gefälschten Medikamenten ist bedauerlicherweise ein sehr großer", sagt Jan Oliver Huber, bis Mitte 2018 Generalsekretär des Pharmaverbands Pharmig. Das Geschäft laufe illegalen Drogen bereits den Rang ab. Dabei stellt Europa bloß die Spitze des Eisbergs dar. Während es sich am alten Kontinent bei Plagiaten meist um Präparate zur Steigerung von Wohlbefinden oder Leistungsfähigkeit handelt, ist in armen Staaten Afrikas ein riesiger Schwarzmarkt für Medikamente gegen wirkliche Erkrankungen entstanden. Weite Teile der Bevölkerung können sich legale Arzneien einfach nicht leisten. Mit erheblich größeren Gesundheitsrisiken für betroffene Patienten.

QR-Code und individuelle Seriennummer: So wie dieser Dummy sollen alle seit 9. Februar neu in Umlauf gebrachten, Originalverpackungen von rezeptpflichtigen Medikamenten in Österreich aussehen.
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In Europa reagierten die EU und die Pharmaindustrie mit der Arzneifälschungsrichtlinie. Sicherheitsmerkmale wie individuelle QR-Codes für jede einzelne Packung eines rezeptpflichtigen Medikaments sollen das Eindringen von gefälschten Arzneien in die legale Lieferkette unterbinden, was in seltenen Fällen bereits vorgekommen ist. In Österreich ist die Austrian Medicines Verification Organisation (AMVO), deren Leitung Huber nun innehat, mit der Umsetzung betreut. Seit Samstag dürfen nur noch Medikamente mit den Sicherheitsmerkmalen neu in Umlauf gebracht werden, für ältere Chargen gilt eine Übergangsfrist bis 2024.

Mehr Arzneimittelsicherheit

Für Gerhard Kobinger, Präsidiumsmitglied der Apothekerkammer, führen diese Vorschriften "zu noch mehr Arzneimittelsicherheit" im legalen Vertrieb. Allerdings igelt sich die Industrie gewissermaßen auf den Daten des AMVO-Systems ein. Ein Verbraucher kann also weder selbst noch über eine Apotheke ermitteln, ob ein original aussehendes Produkt auch tatsächlich ein solches ist.

Genaue Zahlen über die Größe des Markts für Medikamentenplagiate in Österreich lassen sich Huber zufolge kaum abschätzen. "Ich gehe davon aus, dass nur ein Bruchteil abgefangen wird." Er empfiehlt, mit verstärkter Aufklärung ein Problembewusstsein zu schaffen. Ob sich alleine dadurch die Versuchung aus dem Internet beseitigen lässt, darf aber bezweifelt werden. (Alexander Hahn, Bernadette Redl, 11.2.2019)