Wien – Üble Gerüche können tatsächlich eine derart körperhafte Vehemenz entwickeln, dass man den Eindruck bekommt, gegen eine Wand aus Gestank zu prallen. Eine Erfahrung, wie sie auch das Team eines Rettungswagens machte, als es am 23. November 2016 in die kleine Wohnung eines Wiener Pensionistenpaares kam.

Am ersten Tag des Prozesses gegen deren Heimhelferin Garbiele K. und den Krankenpfleger Wolfgang F. wurde bereits berichtet, dass die Einsatzkräfte protokollierten, danach die Kleidung gewechselt zu haben, auch beim zweiten Verhandlungstag hört Richter Stefan Erdei deutliche Beschreibungen.

"Es war die komplette Mischung. Fäkalien und Urin", erinnert sich ein Zeuge an den olfaktorischen Eindruck. "Die Kollegen haben mich von oben gewarnt, da habe ich mir gleich Teebaumöl unter die Nase gerieben", rekapituliert der Fahrer.

Zehn Zentimeter lange Fingernägel

Quelle der Geruchsmoleküle war Herr M., der Wohnungsbesitzer, der auch einen schockierenden Anblick bot. Der Pflegefall hatte zehn Zentimeter lange Fingernägel, lag in den eigenen Exkrementen im Bett und "war schon ziemlich verwachsen mit dem Ganzen", schildert ein Helfer. Wegen teils offener Rückenwunden wurde der Patient, so gut es ging, von der Bettwäsche gelöst und ins Spital gebracht. Mittlerweile lebt der schwerst Demente in einem Heim und kann nichts mehr zur Aufklärung beitragen.

Die Angeklagten bleiben auch diesmal bei ihrer Version: Die Heimhilfe sagt, sie sei primär für Frau M. zuständig gewesen, habe Einkäufe erledigt und den Haushalt in Ordnung gehalten. Herrn M. habe sie fast nie zu Gesicht bekommen – der Richter weist sie allerdings darauf hin, dass sie am ersten Prozesstag noch gesagt habe, dessen Tür sei immer offen gewesen und sie habe Getränke und frisches Obst neben seinem Bett wahrnehmen können.

Pfleger vertraute der Gattin

Krankenpfleger F. wiederum beteuert, er sei zur Erhebung des Pflegebedarfs zweimal in der Substandardwohnung mit WC am Gang gewesen. Herr M. habe noch einen durchaus rüstigen Eindruck gemacht, die Gattin habe auch versichert, sich selbst um seine Körperpflege zu kümmern.

Beim zweiten Besuch im Frühjahr 2016 habe er den Patienten zwar nicht mehr selbst gesehen, aber gehört, dass er im Nebenraum die Harnflasche benutze. Da Frau M. versichert habe, die Situation sei unverändert, habe er das so protokolliert. Dass Herr M. bereits im Jahr 2014 verwahrlost ins Krankenhaus gekommen war, habe ihm niemand gesagt. Dass die Frau selbst schwer übergewichtig war und 60 Zigaretten am Tag rauchte, kümmerte ihn nicht sehr.

Nicht lege artis vorgegangen

Die Sachverständige für Krankenpflege kann dieser Darstellung nicht viel abgewinnen. Für sie ist klar, dass F. nicht lege artis gehandelt habe. Er hätte den Patienten genau begutachten müssen und sich nicht alleine auf die Aussagen der Gattin verlassen dürfen.

Überraschenderweise spricht Erdei F. trotz der klaren Worte der Expertin von der Anklage der Vernachlässigung Wehrloser aber frei. Er sieht die juristisch erforderliche "grobe Fahrlässigkeit" nicht. Heimhelferin K. wird dagegen zu sechs Monaten bedingt verurteilt. "Sie waren fast jeden Tag dort, Ihnen hätten hunderttausend kleine Sachen auffallen müssen, die die Sanitäter in ein paar Sekunden mitbekommen haben", begründet der Richter die, wie der Freispruch nicht rechtskräftige, Entscheidung. (Michael Möseneder, 11.2.2019)