Am 12. Februar brach der Aufstand der Sozialdemokraten gegen das Dollfuß-Regime aus. Im Bild ein Militärposten vor dem Karl-Marx-Hof in Wien-Heiligenstadt nach dem Ende der Kämpfe am 15. Februar.

Foto: Picturedesk/Ullstein

Die Sozialdemokratie befindet sich in der Defensive. Erschöpft taumelt sie dahin, ihre Lebenszeichen werden täglich schwächer. Unter anderen historischen Auspizien war dies bereits während der Ersten Republik der Fall.

Seit ihrem verbalradikalen Linzer Programm von 1926 geriet die Sozialdemokratie unter immer stärkeren politischen Druck durch die Christlichsozialen. Ab dem 15. Juli 1927, dem Tag des Justizpalastbrandes und der schweren Zusammenstöße in Wien mit 89 Toten, manövrierte sie sich zusehends ins Hintertreffen. Dies nicht nur aufgrund des Erstarkens rechter Kräfte, sondern auch aufgrund eigener Passivität, wie etwa des kurzsichtigen parteitaktischen Versäumnisses Karl Renners und Otto Bauers, sich ab 1931 in die Regierungspflicht einspannen zu lassen.

Die verheerende Taktik, am 4. März 1933 gegen die mit knapper Mehrheit regierenden Christlichsozialen einen parlamentarischen Antrag einzubringen und dazu die Stimme Renners im Plenum zu nützen, gipfelte in dessen Niederlegung seines Amtes des ersten Parlamentspräsidenten. Dieser folgten die Amtsniederlegungen des christlichsozialen zweiten und des großdeutschen dritten Parlamentspräsidenten. Anstatt sich zu besinnen und verantwortungsvoll im Sinne der noch jungen Republik zu handeln, schritt Bundeskanzler Dollfuß zum "Shutdown" des demokratisch fundierten Parlamentarismus.

Rotes Phlegma

Die Beseitigung des Parlamentarismus erfolgte gewaltsam, durch Versammlungsverbote und polizeilich verhinderte Nationalratssitzungen. Dementgegen mobilisierte die Sozialdemokratie weder die Straße, noch rief sie zum Generalstreik auf. Sie nahm sogar hin, dass Dollfuß im März 1933 den Republikanischen Schutzbund auflösen ließ. Sie setzte nicht um, was in ihrem Parteiprogramm von 1926 stand: dass radikale Kampfmaßnahmen zu erfolgen hätten, sobald die Bourgeoisie einen Frontalangriff auf den österreichischen Parlamentarismus vornehme. Stattdessen blieb sie bei ihrem defensiven tagespolitischen Taktieren.

Erst die provokanten Durchsuchungen ehemaliger sozialdemokratischer Partei- und Schutz-bundlokale sowie landesweite Verhaftungen von Schutzbundführern entflammten den Widerstand. Die Februarkämpfe des Jahres 1934 führten in zahlreichen Orten zu massiven Polizei- und Heereseinsätzen und hatten als bewaffnete Zusammenstöße durchaus das Potenzial, zum Bürgerkrieg zu eskalieren. Sie endeten mit etwa 375 Toten, weit über 1000 Verletzten, dem Verbot der sozialdemokratischen Partei, der Hinrichtung von neun Schutzbündlern sowie tausenden verhafteten Sozialdemokraten. Die Faschisierung Österreichs wurde auf den Weg gebracht.

Rechte Nachahmungstäter

Für den gegenwärtigen, internationale Ausmaße annehmenden Rechtsruck mit seinen gesellschaftlichen Spaltungen und entsolidarisierenden Folgewirkungen gibt es erneut politisch Schuldige und Mitverantwortliche. Nicht nur der amtierende US-Präsident, sondern vor allem die ihn unterstützenden, moralisch immer gebrechlicher werdenden Republikaner haben historische Schuld auf sich geladen. Sie riskieren aus Eigennutz den Zerfall des nationalen und internationalen politischen Gefüges und setzen damit sogar zerbrechliche geostrategische Konstellationen aufs Spiel, deren Wiederaufbau Jahrzehnte dauern könnte.

Die vielen nationalen Nachahmungstäter haben rasch gelernt, wie unendlich weit sie in ihrer politischen Unverfrorenheit gehen können. Sie schalten den jeweiligen Rechtsstaat nicht aus wie einst Dollfuß, doch sie höhlen diesen sukzessive aus. Sie lassen seine formale Hülle bestehen, hinter der Fassade wird das Gebäude jedoch entkernt und völlig umgebaut. So werden hierzulande durch das weiträumige Außerkraftsetzen des sozialpartnerschaftlichen Diskurses Fakten geschaffen. Erfolgt dann die Eröffnung des Hauses mit politischem Getöse und Freibier, ist am de facto neu Gebauten kaum mehr zu rütteln.

Linke Echokammern

Was tun die erschöpften Sozialdemokraten Europas und die noch existierenden linken Parteien dagegen? Beziehen sie – in Österreich, Deutschland und Dänemark unter weiblicher Führung – als gesellschaftliches Gegengewicht Stellung? Einige ihrer Themensetzungen wirken gegen die semantischen Auf- und Überladungen von rechts wie schwache, selbstreferenzielle Lebenszeichen unterkühlter Organismen, die von einer rechten Lawine überrascht und begraben wurden. Sie agieren wie Verschüttete, die ihre verbliebene Echokammer freudig zum neuen Zuhause erklären. Wie um 1930 lädt die Sozialdemokratie erneut aufgrund ihrer Passivität Mitschuld auf sich, indem sie weder geschlossen agiert noch europaweit mobilisiert oder gar fasziniert. Gesamtgesellschaftliche Gegenhaltung ist gefragter denn je. Diese könnte als zivilgesellschaftliche Ethik aus einem Schulterschluss aller verbliebenen Humanisten erwachsen, damit Egoismus und soziale Kälte nicht zur Normaltemperatur in einer digitalen Welt werden. (Paul Sailer-Wlasits, 11.2.2019)