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SPD-Chefin Andrea Nahles setzt auf den Linksruck der Partei – und vielleicht ein Gebet.

Foto: Reuters / Fabrizio Bensch

Andrea Nahles steht an diesem Montag wieder einmal ganz allein auf der Bühne des Willy-Brandt-Hauses in Berlin. Doch diesmal ist etwas anders als in den vergangenen Monaten: Die SPD-Chefin ist gut gelaunt.

Zur Abwechslung hat sie keine Wahlniederlage zu erklären, sondern etwas aus ihrer Sicht Erfreuliches mitgebracht: ein Papier mit dem Titel "Sozialstaat 2025". Der Vorstand hat es bei seiner zweitägigen Klausur beschlossen – einstimmig, wie Nahles stolz betont.

Es ist kein Konzept von vielen, wie sie in Parteien wöchentlich erstellt werden. An diesem Papier hat die SPD-Spitze monatelang gearbeitet – damit will sie endlich aus ihrem Tief heraus. Es soll jene Wählerinnen und Wähler zurückbringen, die wegen Hartz IV in Scharen geflohen sind.

Zur Erinnerung: Hartz IV, korrekt das zweite Buch des Sozialgesetzbuches, ist ein Teil jener Reformen im Sozialbereich, die der frühere SPD-Kanzler Gerhard Schröder (1998 bis 2005) gegen massiven Widerstand seiner Partei durchgeboxt hat.

Diese brachten harte Einschnitte in den Sozialstaat vor allem für Arbeitslose. Nach einem Jahr werden sie seither Sozialhilfeempfängern gleichgestellt und bekommen nur noch Staatshilfe auf dem Niveau der Existenzsicherung.

Und damit soll nun Schluss sein. "Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist vielen Bürgerinnen und Bürgern sehr wichtig und der Auftrag der sozialdemokratischen Partei", sagt Nahles.

Hartz IV soll verschwinden

Der Name "Hartz IV" (nach dem Ideengeber Peter Hartz, ein ehemaliger VW-Manager) soll überhaupt verschwinden. Die SPD möchte die staatliche Leistung "Bürgergeld" nennen. Zwar soll die Höhe (424 Euro im Monat für eine alleinstehende Person) gleich bleiben. Doch die SPD will, dass ältere Arbeitslose erst sehr viel später als jetzt auf das Niveau dieses Bürgergeldes fallen.

58-Jährigen soll erst nach 33 Monaten das sogenannte Arbeitslosengeld I, das aus der beitragsfinanzierten Arbeitslosenversicherung bezahlt wird und 60 Prozent des letzten Gehalts beträgt", gestrichen werden.

Auch jüngeren Beziehern der Grundsicherung will die SPD entgegenkommen. Derzeit kann die Leistung komplett gestrichen werden, wenn jemand zumutbare Arbeit verweigert. Der SPD schweben weniger harte Sanktionen vor.

Zurzeit müssen viele Hartz-IV-Bezieher auch in eine kleinere Wohnung ziehen, zudem sind sie verpflichtet, zunächst ihr eigenes Vermögen aufzubrauchen, bevor sie staatliche Leistungen bekommen. Gemäß SPD-Plan werden die Betroffenen nun zwei Jahre lang nicht gefragt, wie groß ihre Wohnung ist oder wie viel Vermögen sie haben. Nahles: "Wir wollen Partner der Menschen sein, statt ihnen mit Misstrauen und Kontrolle zu begegnen".

Außerdem sollen Arbeitslose ein Recht auf Qualifizierung bekommen. Mit dieser Forderung nach einem sogenannten "Arbeitslosengeld Q" war der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in den Bundestagswahlkampf 2017 gezogen.

Zum neuen Konzept der SPD gehört auch "perspektivisch" die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde. Derzeit beträgt dieser 9,19 Euro. Auch ein Recht auf Arbeiten von zu Hause aus (Homeoffice) ist geplant.

Ergänzt wird das Sozialstaatskonzept durch die Vorschläge von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für eine Grundrente, die vom Parteivorstand unterstützt wird. Die steuerfinanzierte Grundrente sollen Geringverdiener erhalten, die mindestens 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Eine Bedürftigkeitsprüfung ist nicht vorgesehen.

Mehr Arbeitsplätze schaffen

"Wir haben einen Kultur- und Perspektivenwechsel eingeleitet, die SPD lässt Hartz IV hinter sich", meinte Nahles und betonte, dass die Stimmung bei der Klausur positiv war: "Wir hatten gute Laune, so kann es weitergehen." Nahles ist zuversichtlich, dass die Union die Pläne mitträgt. Denn: "Alles, was wir vorschlagen, wird am Ende mehr Arbeit schaffen."

Doch der Koalitionspartner ist von den Plänen wenig begeistert. CDU-Vize Thomas Strobl erinnert die SPD daran, dass der Koalitionsvertrag umgesetzt gehöre: "Da ist wenig Platz für einen gruppentherapeutischen Linksruck der SPD."

Kritik kommt auch vom hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU): "Die SPD kann nicht Verantwortung in der Bundesregierung übernehmen und zugleich täglich Vorschläge machen, die in dieser Koalition nicht zu machen sind. Das ganze Land nimmt Schaden, wenn der eine Regierungspartner sich von der Grundlinie des Koalitionsvertrags absetzt und in eine andere Richtung rennen will."

Mutmaßungen, die SPD wolle im Herbst aus der Koalition aussteigen, weist Nahles zurück: "Ich wüsste nicht, was die Beschlüsse mit der Frage Verbleib oder Nichtverbleib in der Koalition zu tun hätten." (Birgit Baumann aus Berlin, 12.2.2019)