Teilnehmerin einer Demonstration gegen Gewalt an Frauen. São Paulo, Jänner 2019.

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"Was werden die Leute sagen?!" Jedem und vor allem jeder, die in einer patriarchalen, vielleicht sogar ländlichen Umgebung groß geworden ist, jagt dieser Satz einen leichten Schauer über den Rücken. Egal wie selbstbewusst und selbstbestimmt man vielleicht inzwischen durchs Leben geht, die Erinnerung an das imaginäre Damoklesschwert der Ächtung und der schlechten Nachrede brennt sich tief ins Bewusstsein.

Importware

"Was werden die Leute sagen?!" An diesen Spruch und an das Mindset dahinter musste ich in den letzten Wochen sehr oft denken, als über die Frauenmorde in Österreich debattiert wurde. Die Debatte strotzt vor Scheinheiligkeit und populistischen Ansagen. Es ging um die Täter mit Migrationshintergrund, um das Patriarchat, das in Österreich angeblich nicht mehr existiert und nur mehr "Importware" ist. Worum es aber nie ging, waren die Opfer, die Frauen. Es ging kein einziges Mal um jene Frauen mit Migrationsgeschichte, die ermordet wurden. Und schon gar nicht um jene, die es vor männlicher Gewalt und einem ähnlichen Schicksal zu schützen gilt.

Vielleicht sind diese Frauen mitgemeint, wenn es um die Opferschutzmaßnahmen geht. Die Mittel für diese Maßnahmen hat die aktuelle Regierung gekürzt, daran kann man nicht oft genug erinnern. "Mitgemeint" reicht nie. Und noch weniger reicht es, wenn es um Migrantinnen und Gewalt geht.

Keine Netzwerke

Diese Frauen haben mit jenen ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte eines gemeinsam: Sie erleiden Gewalt ihrer Ehemänner, Partner oder Ex-Partner. Doch im Unterschied zu Frauen, die in Österreich über ein dichtes soziales Netz verfügen und die Sprache ausreichend beherrschen, wissen Migrantinnen oft gar nicht, wo und wie sie Hilfe bekommen können.

Selbst wenn sie ihre Rechte kennen und wissen, wer ihnen helfen kann, fürchten sie oft um das Aufenthaltsrecht – das eigene und jenes des Gewalttäters. Oft ist dieser Mann oder die angeheiratete Familie die einzige feste Bindung im Leben der Frauen.

Und dann bleibt natürlich noch das Stigma der Frau, die aufbegehrt hat, die sich getrennt oder gar hat scheiden lassen. "Was werden die Leute sagen?!" steht nicht bloß für verächtliches Tuscheln: Für viele Migrantinnen bedeutet der Gang ins Frauenhaus oder gar eine Trennung den Ausschluss aus der Gemeinschaft, die sie bisher in allen Lebenslagen unterstützt hat. Solange sie nicht aus der Reihe tanzt.

Kein Wissen

Diese Frauen und Mädchen empathisch anzusprechen und zu unterstützen, ihnen zu signalisieren, dass wir sie gegebenenfalls auffangen werden, das wäre doch ein lohnenswertes Ziel. Doch über Maßnahmen, die das zum Ziel haben, war bisher nichts zu hören.

Über die Lebensrealitäten der Migrantinnen verliert kaum eine Politikerin ein Wort. Wie denn auch: Diese Realität ist den meisten politischen Akteuren sehr fern.

Sie wissen nichts über die prekär arbeitenden Mütter, deren Kinder im Ausland ohne sie heranwachsen. Sie wissen nichts über die bildungshungrigen Mädchen, die an "Problemschulen" gegen Vorurteile der Lehrerinnen und gegen den sozialen Druck der Mitschüler kämpfen. Sie wissen nichts über die putzende Gastarbeiterin, die ihre Mindestpension aufbessern muss.

Seit rund zehn Jahren verfolge ich die politische und die mediale Debatte über Migration und Integration in Österreich. Was mir dabei immer wieder auffällt: Selten und immer seltener geht es um die Frauen. Sie kommen nur dann vor, wenn man – als populistische Ansage an die eigene Klientel – die Kopftücher verbieten will. In letzter Zeit macht man sich nicht einmal mehr die Mühe, die Rufe nach dem Verbot scheinheilig damit zu begründen, man wolle die Frauen eh nur befreien. (Olivera Stajić, 12.2.2019)