Seltsame Gänge im Sedimentgestein: Stammen sie von einem frühen Vielzeller?
Foto: APA/AFP/Abderrazak El Albani / CNRS/Université de Poitiers

Sie sehen aus wie Kriechgänge, die auch von herkömmlichen Regenwürmern im Erdreich hinterlassen worden sein könnten – tatsächlich aber stammen die mehrere Millimeter durchmessenden Tunnel aus einer Zeit, da auf der Erde von Würmern noch weit und breit keine Spur zu sehen war: Die merkwürdigen Strukturen wurden in 2,1 Milliarden Jahre altem Felsen im zentralafrikanischen Gabun entdeckt und stellen damit womöglich den bislang ältesten Beweis für eine mobile Lebensform dar. Das zumindest behauptet ein Team um Abderrazak El Albani von der französischen Universität Poitiers.

Zu groß für Bakterien

Welche Kreaturen diese Spurenfossilien beim Graben durch nährstoffreichen Schlamm eines flachen Küstenmeeres hinterlassen haben, ist freilich ein Rätsel, denn biologische Überreste konnten die Forscher keine ausmachen. Für Bakterien sind sie jedenfalls viel zu groß und komplexe Mehrzeller lagen zur Entstehungszeit der bis zu 17 Zentimeter langen und sechs Millimeter breiten Gänge noch Hunderte Millionen Jahre in der Zukunft.

Das Gestein aus dem Süden Gabuns hat die Strukturen besonders detailreich konserviert.
Foto: APA/AFP/Abderrazak El Albani / CNRS/Université de Poitiers

Mobile Amöbenkolonie

El Albani und seine Kollegen vermuten allerdings eine primitive Form von Vielzellern hinter den mysteriösen Bohrern: Möglicherweise handelt es sich um eine Art Amöbenkolonie, zu der sich – so ähnlich wie moderne Schleimpilze – zahllose Einzelindividuen zusammengefunden haben, um gemeinsam neue Ressourcen zu erschließen. Die Wissenschafter sehen diese Hypothese von einem weiteren Fund untermauert: Rund um die Kriechgänge befinden sich mehrere Schichten von Mikrobenmatten, die den Uramöben als Nahrung gedient haben könnten.

Video: Blick ins Innere zeigt Verlauf der Gänge.
A. El Albani & A. Mazurier / IC2MP / CNRS - Université de Poitiers

Bisher galt als frühester Beleg für Bewegungsfähigkeit im Tierreich ein Spurenfossil in über 500 Millionen Jahre altem Sedimentgestein aus Brasilien. Die winzigen Bohrlöcher und Abdrücke wurden vor zwei Jahren entdeckt und stammen von vermutlich bereits recht komplexen Vielzellern; die Paläontologen tippen auf eine Art Fadenwurm. Als Schöpfer der neuen im Fachjournal "Pnas" vorgestellten Kriechgänge im Tonschiefer und feinem Sandstein des Franceville-Beckens in Gabun kommen solche hochentwickelten Wesen jedenfalls nicht in Frage.

Aber auch El Albanis Interpretation ist umstritten, denn dass vor 2,1 Milliarden Jahren bereits eukaryotische Amöben existierten, gilt als unwahrscheinlich. Die bislang ältesten bekannten Einzeller mit Zellkern wurden in 1,7 Milliarden Jahre altem Gestein ausgemacht.

Links der Gesteinsblock mit den charakteristischen Spurenfossilien, rechts eine 3D-Rekonstruktion. Die parallelen Flächen sind Überreste von mikrobiellen Matten.
Fotos: A. El Albani & A. Mazurier / IC2MP / CNRS - Université de Poitiers

Frühere Hinweise auf uralte Mehrzeller

Sollte also die These der Forscher um El Albani doch zutreffen, müssten einige Annahmen zur frühen Evolution des Lebens revidiert werden. Tatsächlich scheint es aber auch dafür überzeugende Hinweise zu geben: 2010 entdeckten El Albani und sein Team in der selben Sedimentformation im Süden von Gabun fossile Überreste von eukaryotischen multizellulären Organismen. Die sogenannten Gabonionta waren nicht nur hochkomplex sondern konnten bis 17 Zentimeter groß werden. (tberg, 12.2.2019)