Aura Xilonen (24) schrieb ihren Debütroman "Gringo Champ" als Teenager.

Wenn die Emotionen hochkochen, kann man noch so gebildet tun, es hilft nichts: Schimpfen, fluchen, maulen, sudern und fäulen wird man immer in jener Sprache, die man aus der Sandkiste kennt. Von Liborio, einem jungen Mexikaner, der als "unbegleiteter Jugendlicher" illegal über den Rio Grande in die USA gekommen ist, um dort zu versuchen, sich so etwas wie ein Leben aufzubauen, erfahren wir in diesem vollgefluchten Roman zum Beispiel nicht nur die mannigfaltigen Bedeutungen des spanischen Wortes "Puta".

Das Wort steht ja nicht nur für Hure oder Scheiße, im Zusammenspiel mit dem spanischen Wort für Mutter kann das noch dazu so etwas Ähnliches wie "oberaffentittenhammergeil" bedeuten. Kommt ganz darauf an, wie der deutsche Übersetzer disponiert ist. Im Fall von Aura Xilonens jetzt auf Deutsch vorliegenden Debütroman aus dem Jahr 2015 hatte Übersetzerin Susanne Lange eine weiß Gott schwere Partie. Immerhin wurde Gringo Champ (Hanser-Verlag) von einem mexikanischen Teenager mit der Neigung zu Tourette verfasst. Junge Leute versteht man oft schon schwer genug, wenn sie dieselbe Sprache wie man selbst sprechen.

Aura Xilonen mischt den derben spanischen Slang drüben im gelobten Land der USA auch noch mit auch nicht gerade wie der vornehme Lateiner gesinnter Gossensprache, die man sich als "Drecksmex" von unterkomplex veranlagten Menschen, die an der Grenze nicht willkommengeklatscht haben, halt so im täglichen Überleben anhören muss.

Boxen, lesen, überleben

Die Welt ist voll von "Mackerfackern" und "Mickerfickern", und der "fokkin" amerikanische Traum wohnt sicher nicht subStandard und working poor zwischen Kleinkriminellen im Rotlichtmilieu. Liborio schlägt sich im wahrsten Wortsinn als Sparring-Boxer durch, sprich: Er wird dafür bezahlt, dass er auf die Schnauze kriegt; beziehungsweise jobbt er nebenher auch noch in einer Buchhandlung.

In der lernen wir neben den abscheulicheren Charakterzügen der weißen Herrenrasse namens Gringos auch die Liebe im Sinne einer unschuldigen hohen Minne kennen – und damit gleichzeitig die Welt der sogenannten Weltliteratur. Liborio frisst sich nicht nur durch diese, um neben der englischen Sprache auch die schöneren, oft nur zwischen Buchdeckeln existierenden Seiten des Lebens kennenzulernen. Er verspeist in aller sprachkannibalistischen Naivität auch tatsächlich ein Lexikon, um sich die fremde Sprache einzuverleiben.

Dante, Vergil, Rocky

Das führt im Sinne eines Entwicklungsromans zu einer zunehmend abgehobenen, pathetisch aus dem Dichterhain hallenden altertümlichen Sprache des guten alten Bildungsbürgertums. Ja, richtig, das kann natürlich wegen seiner gespreizten Text-Text-Schere zwischendurch auch ordentlich nerven. Allerdings gilt es zu bedenken, dass hier die Lese- und Schreibarbeit einer jungen Frau an der Schwelle zur Matura parallel einhergingen und auf jeden Dante oder Vergil manchmal auch ein Rocky-Film zwischendurch sein musste.

Außerdem beklagt sich Allesleser Liborio einmal im Buch, dass gerade die scheinbar perfekten Werke der Weltliteratur die ödesten und seelenlosesten seien, weil streng nach kanonistischer Vorschrift zusammengefügt und von Bücherwürmern langsam, aber sicher zerfressen

Liborio schlägt in diesem wüsten und gleichzeitig zarten und feinfühligen Roman namens Gringo Champ jedenfalls zurück. Knock-out in der ersten Runde. Technisch noch verbesserungswürdig, aber die Energie und Wucht sind da. De puta madre! (Christian Schachinger, 13. 2. 2019)