Er habe immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, ein wenig später aufzustehen, sagt Matt Chorley und seufzt. "Aber es bleibt bei 5 Uhr." Die Arbeitstage des "Times"-Parlamentskorrespondenten beginnen zu einer Stunde, die viele seiner Journalistenkollegen schaudern lässt. Zusätzlich hat der 36-Jährige noch eine besonders schwierige Aufgabe: Er muss den politischen Ereignissen Großbritanniens eine lustige Seite abgewinnen.

Dies aber gelingt Chorley seit drei Jahren so glänzend, dass die "rote Kiste" (Red Box) von praktisch allen politisch Interessierten auf der Insel gelesen wird. Ehe die "Times" die gegen 8.15 Uhr morgens per E-Mail verschickte Melange aus Analyse, Vorschau und persönlichem Klatsch im vergangenen Herbst hinter ihrer Bezahlschranke verschwinden ließ, konnten sich Chorley und sein Team von Zuträgern der Aufmerksamkeit von 50.000 Lesern gewiss sein. Nun sind es noch rund die Hälfte, darunter ganz gewiss jene Entscheidungsträger, die dem kurzgewachsenen Mann mit den rundlichen Wangen gern einmal Informationen zustecken – und die er sich freundlich, oft ziemlich rüde, stets aber elegant zur Brust nimmt.

"Alle Parteien haben furchtbare Vorsitzende"

Die ironische, manchmal sarkastische Herangehensweise an schwierigste nationale Probleme gehört für die Briten zum guten Ton. Kaum jemand beherrscht diesen so gut wie der Mann, der nach der Schule ohne Umweg über die Universität bei seiner Lokalzeitung in der westenglischen Grafschaft Somerset anheuerte und seit 2005 für unterschiedliche Medien im Unterhaus arbeitet. Aber Chorley kann auch sehr ernst reden.

Im Gespräch mit ausländischen Korrespondenten macht er keinen Hehl aus seiner Verzweiflung über die politische Elite – und das ausgerechnet zur Zeit, wo der Brexit die siebtgrößte Industrienation der Welt in die schwerste innenpolitische Krise seit Jahrzehnten stürzt. "Alle Parteien haben furchtbare Vorsitzende", findet der "Times"-Mann. "Sie taugen allesamt zu kaum mehr als zur Pointe eines Witzes."

May "unfähig, eine Konversation aufrechtzuerhalten"

Wirklich, so schlimm? Animiert erzählt Chorley von der alljährlichen Einladung zu Drinks in der Downing Street, dem Amtssitz der Premierministerin. Bei deren Vorgängern Tony Blair (1997–2007) und David Cameron (2010–2016) hätten sich stets Trauben von Reportern um die Amtsinhaber gebildet, man habe sich auf witzige und lehrreiche Unterhaltungen freuen können. Vor Theresa May hingegen würden alle davonlaufen: "Sie ist unfähig, eine Konversation aufrechtzuerhalten." Das habe Auswirkungen, glaubt der Reporter: Zum einen müsse ein Premierminister, zumal die Chefin einer Minderheitsregierung, im Unterhaus für Unterhaltungen, für kleine Aufmerksamkeiten und Geschäfte zur Verfügung stehen. Aber er frage sich zum anderen auch: "Wie verhandelt die eigentlich mit den Leuten in Brüssel?"

Nicht dass er die Gegenseite höher einschätzt. Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn sei nicht nur ungeschickt, er habe zum wichtigsten Problem des Landes auch keine eigene Meinung: "Er versteht den Brexit nicht." Kopfschüttelnd registriert der erfahrene Parlamentsreporter, wie es der Labour-Chef immer wieder versteht, im Vergleich zur unfähigen Tory-Regierung noch schlechter auszusehen. "This. Is. Not. Normal." – dieses ungläubige Statement ist zu Chorleys Markenzeichen geworden. Und alles sieht danach aus, als würde der Satz mit den vielen Punkten noch geraume Zeit die britische Politik beschreiben. (Sebastian Borger aus London, 12.2.2019)