Neulich schrieb ein Bekannter auf Facebook: "Mein Leben ist ein permanenter Ignore-Button." Er brachte ein Gefühl auf den Punkt, das viele Menschen heute kennen: Man muss permanent ausblenden, verdrängen, stummschalten, um an der Realität nicht zu verzweifeln. Klimakatastrophe, Ertrinkende im Mittelmeer, der Hass auf Frauen, Cyberwar und Weltenbrand: Oft reichen wenige Schlagzeilen – und man ist bedient, angespeist und abgefüllt. Je mehr man weiß über den Zustand der Welt, desto schlechter für die Nerven. Dass aus dieser Gegenwart eine glorreiche Zukunft entstehen könnte – für viele unvorstellbar.

Kippeffekte

"Optimismus ist nur ein Mangel an Information", hat der deutsche Dramatiker Heiner Müller einmal gesagt. Aber könnte es nicht auch anders sein – dass wir heute trotz ständigen Nachrichtenstroms im Grunde zu wenig wissen? Nämlich darüber, was gut ist und ziemlich sicher gut wird? Weil Aufmerksamkeitsökonomie und Nachrichtenlogik sich eben lieber auf das Negative richten? Könnten wir mit einem leicht verschobenen Blickwinkel auf die Welt nicht eine durchaus positive Zukunft imaginieren? Ohne dabei naiv, blauäugig, ignorant oder unkritisch zu sein?

Doch bei vielen Menschen evoziert der Gedanke an die Zukunft eher Sorge als Hoffnung. Man ertappt sich dabei, manche Themen lieber gar nicht mehr anzusprechen. Das Wetter hat als Eröffnung für harmlosen Smalltalk ohnehin ausgedient – kein Thema versetzt uns heute effizienter in Endzeitstimmung.

Digitalisierung, Automatisierung, Optimierung

Ein Grund für Pessimismus und Sorge ist wohl, dass wir vieles, was täglich um uns herum passiert, nicht mehr verstehen. Wir wissen und erleben zwar, dass Technologie und Ökonomie unser Leben prägen und ihm seinen Takt geben. Wie eine unsichtbare Macht, die die Fäden unseres Lebens zieht. Wir fühlen uns ausgeliefert und sitzen in der Falle, weil es kein vorstellbares Außen zu dieser Logik mehr gibt. Digitalisierung, Automatisierung, Optimierung – wir spüren, dass Großes im Gange ist, ohne es selbstbestimmt in unseren Alltag integrieren zu können. Das erzeugt Ohnmacht und das Gefühl, nur noch zu reagieren anstatt zu agieren. Wir haben immer seltener das Gefühl, Einfluss nehmen zu können.

Doch es geht nicht nur um uns selbst, wir bangen längst um die Menschheit an sich. Ein kippendes Klima; entfesselte Migrationsströme, eine vielleicht feindliche künstliche Intelligenz, Überwachungsdiktaturen; Bots und Fake-News, die global den Hass schüren: Manchmal wissen wir nicht mehr, wo die Realität endet und wo die Dystopie beginnt.

Was wir wissen und spüren: Es ist vieles kompliziert und unübersichtlich geworden. Auch mit fünf Selbstorganisations-Apps am Smartphone. Wir umgeben uns mit technischen Apparaten, die uns in einen permanenten Arbeitsmodus versetzen. Die uns bespaßen, ablenken, einsaugen. Die Möglichkeit der endlosen Kommunikation fühlt sich nicht selten wie Zwang an. Sie ist es wohl auch.

Raus aus der Schockstarre

Klimaforscher treibt derweil die Frage um, wie sie uns unbequeme Wahrheiten präsentieren müssen, um etwas zu bewirken. Aktivieren uns alarmierende Prognosen über die Folgen des Klimakollapses? Oder lähmen sie uns? Weil wir angesichts von Polschmelze und Kippeffekten schockstarr denken: Dieser Zug ist abgefahren? Weil wir hoffen, dass es vielleicht doch nicht so schlimm wird, und unseren Ressourcenverbrauch kein Jota ändern?

2016 fanden Forscher heraus, dass sich auch das Verbreiten von Hoffnung in Sachen Klima negativ auswirken kann. Denn ein isoliertes Herausgreifen positiver Entwicklungen und Botschaften nimmt Druck aus dem Thema, entlastet die Menschen – und nährt die trügerische Annahme, wir könnten weitermachen wie bisher.

Doch weder Schockstarre noch naiver Glaube an den Automatismus des Happy Ends bringen uns weiter. Zukunft zu gestalten heißt zunächst, die Entwicklungen zu verstehen, die sie prägen. Wir brauchen Begriffe für das, was uns Angst macht und das wir nicht kontrollieren können. Das ist der erste Schritt hin zu einem Gespräch über die Zukunft, das alle Menschen einschließen muss.

Keine Utopien

Doch die Politik schafft es kaum, überzeugende Utopien zu entwerfen. Die Rechte lenkt Ängste und Verunsicherung auf Feindbilder, will zurück zum Vertrauten oder sehnt sich in ihrer extremen Variante gleich nach der Endschlacht – als Tabula rasa für den neuen, den reinen Menschen. Die Linke hat den Fortschrittsbegriff irgendwann dem Markt überlassen und bleibt Antworten auf die großen Unbekannten in der Rechnung namens Zukunft bis auf weiteres schuldig. Klimakollaps und Automatisierung warten aber nicht auf das Ergebnis dieser Selbstfindung.

Derweil retten uns keine kritikbefreiten Zukunftsjubler und keine Realitätsverweigerer, die sich ins Gestern sehnen. Es braucht heute politische Steuerung und Gesetze für das, was unser Leben morgen bestimmt. Diese Rahmenbedingungen fallen nicht vom Himmel; sie müssen ausgehandelt und durchgesetzt werden – basierend auf Wissen, Vernunft und auf Werten. Der Markt regelt keine Ethik. Dafür braucht es eine politische Klasse, die Innovation versteht und ihre gesellschaftlichen Folgen abschätzen kann. Informiert, verantwortungsvoll und mutig. (Lisa Mayr, 14.2.2019)


Was auf uns zukommt – und was wir tun können

Foto: APA/BARBARA GINDL

Klimakkollaps: Handeln statt resignieren

Der Wetterbericht – ein Dauerloop an Negativrekorden: Dürren, Sturmfluten, Hitzesommer, Megawinter. Vom Himmel fällt all das mitnichten. Dass die Klimakrise auf die Kappe der Menschheit geht und massive Folgen für uns alle hat, bezweifelt heute niemand mehr – zumindest im vernunftbegabten und den Fakten zugetanen Teil der Menschheit. Gleichzeitig fuhrwerken an neuralgischen Stellen des Globus Klimawandelleugner und Destruktivisten. Bleibt die Frage der Fragen: Was tun?

Angesichts von Hiobsbotschaften und Horrorprognosen den Kopf in den heißen Sand zu stecken ist jedenfalls keine Option. Denn wer davon ausgeht, dass ohnehin schon alles egal ist, bringt sich um seine Handlungsfähigkeit und drückt sich vor der Verantwortung. Selbst wenn es nicht einmal eine Marginalie im großen Ganzen sein mag, sollten wir jetzt tun, was wir können: Zug statt Flugzeug, Fahrrad statt Auto, Plastikverzicht, Fleischreduktion, keine auf Verfall programmierten Konsumgüter mehr. Generell weg von der Wachstumsdoktrin. Druck auf Firmen aufbauen, die nachweislich aufs Klima pfeifen. Die Zeit wird knapp. Und das sind die ersten Stellschrauben, an denen wir drehen können. (Lisa Mayr)


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Gen-Schere und Co: Ethik bitte!

Der letzte Schrei aus der Biotechszene klingt wie ein Knäckebrot-Start-up: CRISPR/Cas9. Die Abkürzung steht für bestimmte sich wiederholende Abschnitte einer DNA und ein Enzym, das die DNA schneiden kann. Mithilfe dieser "Gen-Schere" lässt sich das Erbgut von Lebewesen im Handumdrehen verändern. In zehn, 20 Jahren könnten HIV und Krebs verschwunden sein.

Auch an der DNA von Föten und Embryonen kann geschnipselt werden, womit manche Erbkrankheiten verhindert würden. Hält man das Werkzeug einmal in Händen, ist der Weg zum Designerbaby nicht weit. Könnte man, wenn man schon dabei ist, nicht auch gleich Papas Segelohren wegeditieren? Muskeln draufpacken? Den IQ raufschrauben?

Paare werden irgendwann vielleicht als schlechte Eltern gelten, wenn sie Kinder trotz Krankheit auf die Welt kommen lassen. Noch ist es nicht so weit. Ein chinesischer Biophysiker wollte Embryos HIV-resistent machen. Er wird von der wissenschaftlichen Community geächtet. Denn die ist noch vorsichtig. (Philip Pramer)


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KI: (Besser) leben mit Maschinen?

Elon Musk hat Angst. Davor, dass superintelligente Maschinen die Menschheit auslöschen könnten. Eine Angst, die selbst seriöse Forscher wie der Philosoph Nick Bostrom von der Universität Oxford teilen. Auf dessen Liste der für Menschen existenziellen Risiken steht künstliche Intelligenz (KI) ganz oben. Und bis es so weit ist, so die Sorge, werden Roboter uns die Jobs stehlen.

Doch sehen Sie es einmal so: Wir können die KI-Revolution auch nützen, um unser Leben zu verbessern. KI diagnostiziert Krankheiten früher und exakter. Übersetzt Fremdsprachen. Autonome Autos sorgen für sicherere Straßen. Und Roboter übernehmen zwar Tätigkeiten, die reproduzierbar sind. Dadurch befreien sie uns aber auch von Arbeiten, die uns selbst zu Maschinen machen, wie es Autor John Hagel zuspitzt.

Das ist zweifellos eine Vision, die unser Gesellschaftssystem auf den Kopf stellt. Uns fordert, neue, erfüllendere Aufgaben zu finden und die Neugier und Kreativität von Kindern zu stärken – und jene Jobs mehr wertzuschätzen, die Empathie erfordern.

So kann KI bei aller Vorsicht eine Chance sein herauszufinden, wie man das Menschsein noch lebenswerter macht. (Zsolt Wilhelm)


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Cyberkrieg: Still und leise

Der Cyberkrieg wird schon heute permanent geführt. Allerdings so, dass die Bürgerinnen und Bürger davon kaum Notiz nehmen. Brigadier Walter Feichtinger von der Landesverteidigungsakademie spricht beispielsweise von "Nadelstichen" verfeindeter Staaten. Wir merken selten etwas davon. Bei großangelegten Hackerangriffen und der Meinungsbeeinflussung von Wahlen zeigen die Cybersoldaten von heute, was in ihnen steckt. Diese Angriffe enden aber fast nie tödlich.

Das Gefährliche an diesen cybermilitärischen Muskelspielen: Jeder Staat definiert für sich selbst, wann diese Angriffe eine strategische Hemmschwelle überschreiten. Daran entscheidet sich, wann eine konventionelle militärische Antwort gefragt ist.

Alle industrialisierten Staaten und deren Bürgerinnen und Bürger werden sich in Zukunft auf Cyberattacken vorbereiten müssen – auch psychisch. Ein lahmgelegtes Stromnetz und ein dysfunktionales Bankenwesen können innerhalb von Stunden für Chaos sorgen und zu Plünderungen führen. Die Staaten werden sich noch intensiver davor schützen müssen und versuchen, Cyberterroristen und böswilligen Hackern stets einen Schritt voraus zu sein. (Fabian Sommavilla)


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Flucht und Migration: Gestalten, nicht verdrängen

68 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Das sind etwas mehr, als Frankreich Einwohner hat. Knapp ein Prozent der Weltbevölkerung kann also schon heute nicht mehr in seiner Heimat leben – die Menschen fliehen vor Krieg, Gewalt, politischer Verfolgung und Hunger. Flucht ist auf unserem Planeten längst zur Normalität geworden. Sie wird es bleiben. Auch, weil im Jahr 2050 rund zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben werden – viele davon in von Krisen und Klimawandel besonders betroffenen Gebieten.

Durchschnittlich werden die Menschen auf der ganzen Welt reicher sein. Das macht sie resistenter und ermöglicht Flucht oft erst. Vor allem aber werden global extreme Wetterlagen Menschen von Inseln, Küsten und aus Wüsten vertreiben. Das Hochziehen von Mauern und Zäunen an den Grenzen steht dem buchstäblich im Wege. Schon heute gibt es weltweit rund 40 Millionen Binnenvertriebene. Es werden mehr werden, Flucht bleibt Normalität. Eine entscheidende Frage wird sein, ob sich auch unser Umgang mit jenen normalisiert, deren Flucht unser Reichtum angetrieben hat. (Fabian Sommavilla)

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