Wien – Wie sehr ein Forschungsgebiet gerade boomt, lässt sich in der kapitalistischen Welt am besten am Geld ablesen. Zum Beispiel an den Gehältern, die für Absolventen einer Fachrichtung geboten werden. Da rangiert im Moment der Bereich künstliche Intelligenz (KI) weit vorn. So war in der New York Times 2017 zu lesen, dass die Einstiegsgehälter für junge KI-Experten in den USA bei 300.000 Dollar (etwa 265.000 Euro) beginnen. Das ist in etwa das Doppelte des Gehalts von gut bezahlten Uni-Professoren hierzulande.

Boomendes Feld in Wissenschaft und Wirtschaft: künstliche Intelligenz.
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Und wenn es um KI-Führungskräfte geht, kommt man bei der Entlohnung im internationalen Umfeld den besten Profifußballern schon ziemlich nahe: Kürzlich verpflichtete die Computer- und Softwarefirma Oracle eine Gruppenleiterin für nicht weniger als sechs Millionen Dollar Jahresgehalt. Aber auch Praktikanten werden schon sehr gut bezahlt, wie Sepp Hochreiter erzählt: Einer seiner Studenten erhielt für ein Google-Praktikum gut 7.000 Euro, selbstverständlich monatlich.

Hochreiter ist Vorstand des Instituts für Bioinformatik und Leiter des Labors für Artificial Intelligence an der Universität Linz (JKU) und einer der gefragtesten KI-Experten weltweit. Der aus Bayern stammende Pionier des maschinellen Lernens hat bereits in den 1990er-Jahren mit der Methode des Long Short-Time Memory (LSTM) das Training künstlicher neuronaler Systeme revolutioniert. Sein 1997 publizierter Aufsatz zum Thema gehört zu den öftestzitierten der KI-Forschung, und LSTM kommt heute in jedem Smartphone zur Anwendung.

Spektakuläre Institutsgründung

Der gebürtige Bayer wird aufgrund der enormen Nachfrage ab dem Wintersemester 2019/20 erstmals in Österreich eine eigene Studienrichtung "Künstliche Intelligenz" an seinem Institut anbieten. Doch auch in Sachen KI-Forschung kann er gemeinsam mit Kollegen eine ‑ zumindest für heimische Verhältnisse ‑ spektakuläre Gründung vermelden: Gerade wurde in Wien das Institute of Advanced Research in Artificial Intelligence (IARAI) aus der Taufe gehoben, das mit immerhin mehr als 25 Millionen für fünf Jahre dotiert sein wird.

Hochreiter wird das Institut gemeinsam mit dem Physiker David Kreil (Boku Wien) und dem Mathematiker Michael Kopp von Here Technologies in Zürich leiten. Here finanziert das Institut und ist vor allem für sein gleichnamiges Navigationsprogramm bekannt, einen Konkurrenten von Google Maps, und war ursprünglich eine Tochter von Nokia. 2015 wurde Here um 2,8 Milliarden Euro von den Autoherstellern Audi, BMW und Daimler übernommen, mittlerweile sind auch noch Intel, Bosch und Continental an Bord.

Dennoch soll am IARAI vor allem KI-Grundlagenforschung betrieben werden, wie Kreil erklärt, "und zwar mit einem kleinen Team von 30 hochqualifizierten Leuten". Beteiligt sind neben den drei Direktoren jetzt schon Forscher der ETH Zürich.

Zusammenhänge erschließen

Der momentan vielversprechendste Ansatz der KI sind Algorithmen, die als einzige aus großen Datenmengen selbst Zusammenhänge erschließen können und so eine Grundlage für selbstlernende Systeme bilden – sei es für selbstfahrende Autos oder eine Stadtinfrastruktur, die auf komplexe Situationen effizient reagieren und Probleme selbst heilen kann. Theoretische Grundlagenforschung, die den Entwurf solcher KI-Algorithmen beschleunigen kann, ist in ihren Anfängen.

Weltweit wird inzwischen erkannt, dass man Forschern dazu die ungewöhnlich großen Datenmengen aus Gesellschaft und Industrie zur Verfügung stellen muss, welche die modernen KI-Algorithmen benötigen – wobei gleichzeitig die Privatsphäre Einzelner und die Interessen der Gesellschaft zu schützen sind. Mit der Zusammenarbeit von Here und IARAI übernimmt Österreich eine Pionierrolle, sich genau dieser Herausforderung zu stellen.

Europäisches Forschungsnetzwerk

Über Hochreiter ist das IARAI zudem einer der Hauptproponenten eines neuen europäischen Forschungsnetzwerks namens Ellis (European Laboratory for Learning and Intelligent Systems). Diese europaweite Exzellenzinitiative plant unter anderem ein akademisches Netzwerk zur Durchführung wegweisender Grundlagenforschung im Bereich künstliche Intelligenz.

Das neue Institut in Österreich und Ellis sind zwei von mehreren Maßnahmen, um die KI-Forschung in Europa und seinen Universitäten zu stärken. Das ist auch hoch an der Zeit: Denn obwohl etwa mit Hochreiters LSTM wichtige Grundlagenarbeit für selbstlernende Systeme an Europas Unis geleistet wurde, sind die Silicon-Valley-Giganten Google (beziehungsweise eigentlich Alphabet) mit seinem KI-Flaggschiff Deepmind, Facebook, Microsoft und Co in den letzten Jahren bei dieser "modernen" KI davongezogen.

Von China einmal ganz zu schweigen. Dort verwenden laut der jüngsten Statistik mittlerweile bereits 85 Prozent der Unternehmen einschlägige KI-Methoden. Zum Vergleich: In den USA sind es 51 Prozent, in Österreich gerade einmal 13 Prozent. (Klaus Taschwer, 14.2.2019)