Ob es in Zukunft bei den Festwochen wieder Oper geben wird? Das lässt Christophe Slagmuylder offen.

Foto: Karl Schöndorfer TOPPRESS

Noch nie verloren die Festwochen so viele Besucher wie während des gerade einmal zwei Jahre dauernden Intendanz von Tomas Zierhofer-Kin. Kein leichter Ausgangspunkt für den belgischen Festivalmacher Christophe Slagmuylder, der am Donnerstag sein erstes Programm präsentierte. Wir trafen ihn zum Gespräch.

STANDARD: Sie haben mit wenigen Monaten Vorbereitungszeit ein Festival mit 45 Produktionen programmiert. Sind Sie der Superhero unter den Festivalmachern?

Slagmuylder: Es war klar, dass ich jetzt erst einmal zeigen muss, was ich kann. Ich habe ein dickes Adressbuch mit Künstlern, die ich aus der Zusammenarbeit kenne. Also habe ich einige davon angerufen. Nichtsdestoweniger ist das heurige Programm erst ein erster Entwurf des Festivals.

STANDARD: Ist es ein Kompromiss?

Slagmuylder: Ja und nein. Ich bin selbst überrascht, was ich in der kurzen Vorbereitungszeit alles unter einen Hut gebracht habe.

STANDARD: Neben der Programmfülle erstaunt die Anzahl der Festivalorte: 27. Hat Ihnen das die Politik nahegelegt? Derzeit wird Kunst an der Peripherie stark forciert.

Slagmuylder: Wien steht damit nicht allein da. Aber nein, ich diskutiere nicht mit der Kulturstadträtin das Programm. Und ja, ein Festival sollte mehr Orte als das Theater an der Wien und die Hallen im Museumsquartier bespielen. Ich habe die ersten sechs Wochen in Wien damit verbracht, Kulturleute und Orte kennenzulernen. Als ich das Theater Hamakom gesehen habe, wusste ich zum Beispiel, da will ich hin.

STANDARD: Einen Teil der Eröffnung verlegen Sie in die Donaustadt. Warum?

Slagmuylder: Wir werden die Eröffnung für die Zukunft überdenken müssen. Ich wollte die Festwochen nicht nur auf dem Rathausplatz beginnen lassen. Es ist einerseits wichtig, die Sichtbarkeit, die wir durch die Eröffnung bekommen, zu nutzen. Andererseits wollte ich unbedingt aus dem Zentrum raus.

STANDARD: Warum in den 22.?

Slagmuylder: In Brüssel wohne ich in Molenbeek, ein sehr multikulturelles Viertel. Die Donaustadt kann man nicht damit vergleichen, aber dadurch, dass sie jenseits der Donau liegt, hat sie eine besondere Bedeutung.

STANDARD: Sie bespielen in der Donaustadt die Erste-Bank-Arena. Die Erste Bank ist einer der Hauptsponsoren der Festwochen ...

Slagmuylder: ... Halt! Damit hat meine Entscheidung nichts zu tun. Ich wollte mit Diamante von Mariano Pensotti eröffnen, die Arena mit ihren Hallen eignet sich dafür perfekt. Eine Eissporthalle, ein riesiges Einkaufszentrum: ein eindrucksvoller urbaner Ort.

STANDARD: Gibt es einen roten Faden in Ihrem Programm?

Slagmuylder: Nein, das interessiert mich nicht. Ich fange nicht mit einer Idee an, sondern mit künstlerischen Vorschlägen. Der rote Faden ist die Zeitgenossenschaft, die sich durchs Programm zieht.

STANDARD: Wo ist in Wien mehr Zeitgenossenschaft gefragt?

Slagmuylder: In Wien gibt es, was Theater, Performances oder Tanz anbelangt, tolle, renommierte Institutionen mit herausragenden Schauspielern und Autoren. Aber wenn man sieht, wie lebendig die Szene im Bereich der bildenden Kunst ist, dann fehlen mir in Wien gewisse Aspekte. Die internationale Ausrichtung fehlt!

STANDARD: Tritt in Wien die darstellende Kunst auf der Stelle?

Slagmuylder: Es gibt wenige Städte, die eine solch lebendige Theaterszene haben. Aber das Spektrum, das geboten wird, könnte größer sein: dass man international koproduziert, dass man Genregrenzen überschreitet.

STANDARD: Das Festival zu öffnen und jüngeres Publikum anzulocken war das Anliegen Ihres Vorgängers, Tomas Zierhofer-Kin. Ihr Programm erinnert stärker an jenes Ihrer Vorvorgänger.

Slagmuylder: Wirklich? Da bin ich jetzt erstaunt. Natürlich geht es auch mir um ein neues Publikum, aber es geht auch darum, das jetzige Publikum zu halten oder es wiederzugewinnen.

STANDARD: Sie haben zwei Produktionen Ihres Vorgängers übernommen. Welche?

Slagmuylder: Den Bob-Wilson-Abend mit Isabelle Huppert und Narziss und Echo von David Marton. Beide Produktionen passen wunderbar in mein Programm. Das ebenfalls angedachte Projekt mit Marina Abramovic ließ sich aus Zeitgründen nicht realisieren.

STANDARD: Ihr Programm unterstreicht, dass Theater bei den Festwochen eine zentrale Position einnimmt. Zuletzt standen Performances, Tanz und die Clubschiene im Vordergrund.

Slagmuylder: Das hat viel mit den Orten zu tun, die ich bespielen will. Die Tanzszene wird von Impulstanz wunderbar abgedeckt, da sehe ich keine Notwendigkeit, etwas zu ändern.

STANDARD: Was ist mit Opern? Musik spielt in Ihrem Programm eine untergeordnete Rolle.

Slagmuylder: Livemusik gibt es bei Anne Teresa De Keersmaeker, Christian Fennesz stellt sein neues Album vor, die Performer von Marlene Monteiro Freitas werden von Musikern begleitet. Mich interessiert die Frage, wie man Musik auf die Bühne bringt und verschiedene Genres zusammendenkt. Es muss nicht immer Oper sein. Ob es in Zukunft wieder Opern bei den Festwochen gibt, ist noch offen.

STANDARD: Sie hätten zumindest das Geld dafür. Die Festwochen haben ein Budget von zwölf Millionen Euro, beim Kunstenfestivaldesarts hatten Sie gerade einmal drei.

Slagmuylder: In dieser Stadt ist alles relativ. Ich dachte, ich hätte viel mehr Geld zur Verfügung ...

STANDARD: Aber?

Slagmuylder: Hier wird Geld ganz anders verwendet als in Brüssel. Es gibt zwar mehr Geld, aber nicht so viel, wie es den Anschein hat.

STANDARD: Als Schauspielchefin Frie Leysen die Festwochen verließ, hielt sie dem Festival undurchsichtige Strukturen vor. Was sagen Sie?

Slagmuylder: Dafür kenne ich das Festival noch zu wenig. Aber es ist kein Geheimnis, dass in dieser Stadt viele Institutionen schwer zu manövrieren sind. Ich habe immer so gearbeitet, dass das meiste Geld für Kunst ausgegeben wird.

STANDARD: Denken Sie über flexiblere Strukturen nach?

Slagmuylder: Ja, weil es das Programm notwendig macht. Die Kunst verändert sich, also müssen sich die Strukturen verändern.

STANDARD: Wie soll das Festival am Ende Ihrer Intendanz, in fünf Jahren, aussehen?

Slagmuylder: Ein Festival mit vielen Formaten und einem sehr diversen Publikum. Eines, bei dem Künstler neue Sachen ausprobieren können. Vielleicht gewöhnen sich die Leute so sehr daran, dass sie irgendwann sagen: Christophe, dein Programm ist für uns nicht herausfordernd genug. Dann habe ich mein Ziel erreicht. (Margarete Affenzeller, Stephan Hilpold, 14.2.2019)