Es ist Ende September 2018. Vor dem Wiener Wuk steht, eingerahmt von hünenhaften Kollegen, eine Frau und tastet Rucksäcke ab. Lena – halblange Haare, Jeans, schwarzes T-Shirt – ist entspannt. Obwohl hier vieles neu für sie ist. Nicht nur, weil sie noch nicht lange als Securitykraft arbeitet. Sondern auch, weil sie bis vor kurzem noch Bernhard hieß.

Lena ist Securitykraft, Lehrerin, Transfrau und Autistin. Sie hat eine Ehefrau und Kinder. Ihre Geschichte ist außergewöhnlich und damit irgendwie auch wieder ganz normal. Denn die Entscheidung, nicht mehr mit dem Geschlecht leben zu wollen, mit dem man geboren wurde, ist nie typisch.

Lena wird 1980 in Klosterneuburg als Bernhard geboren. Der Vater ist Angestellter bei der Wirtschaftskammer, die Mutter Lehrerin. Bernhard geht in eine katholische Klosterschule, ist später in der Punkszene aktiv. Irgendwann trifft er auf Liz, es ist die ganz große Liebe.

Die beiden sind zusammen, seit sie 19 Jahre alt sind – und sind es auch heute noch, auch nach allen tief greifenden Veränderungen. "Liz war nicht überrascht von meiner Entscheidung, mein biologisches Geschlecht zu ändern", sagt Lena. "Sie weiß, dass ich eine Frau bin, seitdem wir uns kennen."

Aus Bernhard wurde binnen drei Jahren Lena. Sie hat sich verändert, ihr Hobby Klettern ist geblieben.
Foto: Alexander Gotter

Liz und Bernhard bauen ein gemeinsames Leben auf, bekommen zwei Buben, heute sechs und zehn Jahre alt. Sie arbeitet als Allgemeinmedizinerin, er als Lehrer. Auf alten Fotos ist Bernhard eine beeindruckende Erscheinung: 1,90 Meter groß, er liebt Extremsport, vor allem Mountainbiken. Immer wieder beweist er sich seine Männlichkeit mit einem waghalsigen Stunt, an dem er vorher tagelang tüftelt.

Die Familie ist glücklich. Und doch ist es nicht einfach, auch psychisch. Vor dem Coming-out schwingt immer etwas mit, das nicht ausgelebt werden kann; danach ist die Diskriminierung enorm. Knapp 40 Prozent aller Transgenderpersonen unternehmen einen Suizidversuch. Auch Bernhard begleiten solche Themen. Liz fängt ihn auf, wenn es notwendig ist.

Es geht nicht mehr

Um Ostern 2017 sitzt Bernhard mit Liz am Küchentisch. Sie besprechen, wie es weitergehen soll. Die Frau in ihm ist in der letzten Zeit stärker geworden. Die Jahre zuvor hat er geglaubt, "die Sache" anders in den Griff zu bekommen.

Doch jetzt klappt das nicht mehr. Während Bernhard erzählt, tippt Liz auf der Tastatur. Sie dreht wortlos den Laptop um. Die Website von Trans X, einem Wiener Verein für Transpersonen, ist geöffnet. "Vielleicht solltest du da mal vorbeischauen." Eine Woche später sitzt Bernhard bei seinem ersten Vereinstreffen.

Foto: Alexander Gotter

"Alle sagen dir: Mach langsam, drück nicht so aufs Gas", sagt Lena. "Alle", das sind die anderen Transpersonen, die sie im Verein und im Internet kennenlernt. Der Weg zum eigenen Geschlecht ist lang, im Schnitt vergehen mindestens zwei Jahre, bis die finale Entscheidung getroffen wird.

Aber Lena kann nicht mehr warten. Es ist, als wäre ein Ventil aufgedreht, und alles, was sich in den Jahrzehnten davor aufgestaut hat, muss raus. An Pfingsten beschließt sie, künftig als Lena leben zu wollen. Schon Mitte Juli ist sie privat nurmehr als Frau unterwegs. "Für mich war es in der Situation nicht anders möglich", sagt Lena. "Dass es so schnell gelaufen ist, hat es aber für mich sicher nicht vereinfacht."

Jede Transition besteht aus einer Reihe heikler Momente. Im Privatleben, in der Öffentlichkeit, im Job. Lena bringt sie im Schnelldurchlauf hinter sich. Die Anrufe bei den männlichen Freunden, die Mitteilungen an die Familie. Als Lena das erste Mal Frauenkleider kauft, muss Liz sie vorher zehn Minuten lang auf dem Parkplatz beruhigen.

Sie glaubt bereits in der Nähe der Frauenabteilung zu spüren, wie sich alle Blicke auf sie richten. Danach sitzt sie im Auto, mit ein paar Kleidern in ihrer Größe, die sie schnell eingepackt hat. Es ist eine Mutprobe, das Gewand ist vorerst gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

"Ich saß dann da mit einer Tafel Schokolade, die ich mir vorher schon zur Beruhigung gekauft habe", erinnert sich Lena. "Und hab mir gedacht: Warum hab ich mir deswegen jetzt so einen Stress gemacht?"

Sie besorgt mehr Frauenkleider, dann ihre erste Perücke. Und sie wagt sich zum ersten Mal als Frau vor die Tür, auch wenn sie in der ersten Zeit als Mann aus der Siedlung mit Einfamilienhäusern, wo sie mit ihrer Familie wohnt, fährt und sich in einem Industriegebiet umzieht.

Und schließlich das Outing an ihrem Arbeitsplatz, der Schule. Es müssen Welten zusammenführt werden: alte mit neuen, innere mit äußeren.

Rückschläge

Nicht alles läuft glatt. Im Juni 2017 entschließt sich Lena, mit der Hormontherapie zu beginnen. In der Transgenderambulanz im Wiener AKH bietet man ihr einen Ersttermin Ende Oktober an. Lena schluckt. Am Anfang hat sie selbst aufs Tempo gedrückt, jetzt bremsen sie die Umstände.

Das Warten fühlt sich falsch an. Lena war schon ihr ganzes Leben lang da, musste vor allen geheim gehalten werden. Jetzt soll sie endlich raus. Wenn man irgendwo angekommen ist, möchte man von dort nicht mehr weg. Lena fühlt sich jetzt schnell komisch, wenn sie als Bernhard auf der Straße ist. Als würden sie alle anstarren.

Über Umwege bekommt sie doch schneller einen Termin. Sie bringt die drei psychologischen und psychiatrischen Stellungnahmen, die vor dem Therapiestart notwendig sind – und beginnt mit den langwierigen und tiefgreifenden Behandlungen. Der Hormontherapie, um das Testosteron runter- und das Östrogen raufzufahren. Dem Lasern, um den Bartwuchs zu stoppen. Einer Haartransplantation, um gegen die Geheimratsecken vorzugehen und längeres Haar tragen zu können.

In Österreich leben geschätzt 900 Personen, die sich nicht dem Geschlecht identifizieren, mit dem sie geboren wurde. Keine Transition ist gleich. Die Patienten müssen sehr persönliche Entscheidungen treffen. Geht es um einen temporären oder einen dauerhaften Wechsel des Geschlechts?

Möchte ich mich künftig überhaupt binär als Mann oder Frau definieren? Will ich eine Schönheitsoperation, um etwa den Kiefer femininer wirken zu lassen? Und eine heikle Frage: Mache ich eine Genital-OP? Für manche Transpersonen ist das ex trem wichtig, für andere ist die Frage, was physisch zwischen den Beinen ist, eher sekundär. Auch wenn sich von außen immer sehr viel um diese Frage dreht.

Nicht zuletzt ist es auch eine juristische Frage. Seit 1983 ist in Österreich die Personenstandsänderung, also die Änderung des Geschlechtseintrags im Zentralen Personenregister, möglich. Für viele Transgenderpersonen ist das sehr wichtig.

Auch wenn es letztlich nur eine kleine Formalie sei. "Du bist ja vorher und nachher dieselbe Person, es verschiebt sich nur minimal der Blickwinkel", sagt Lena. Aber auch eine kleine Verschiebung des Blickwinkels kann große Auswirkungen haben. Seit September 2017 ist Lena auch offiziell Lena.

Ein Abend in der Arena

Es ist ein Abend im Frühjahr 2018. Lena ist zu diesem Zeitpunkt schon eine Zeitlang als Frau unterwegs, seit Februar trägt sie dabei auch keine Perücke mehr, ihr Haar ist nun zu einem lockigen Pagenkopf geschnitten. Sie ist auf dem Weg zu einer Party in der Arena Wien, einer alternativen Location im dritten Bezirk.

Sie trägt einen Rock, eine Handtasche, bleibt vor dem Eingang kurz stehen. Ordnet sie sich jetzt bei den weiblichen oder den männlichen Securitys ein? Für Transpersonen können schon die Sekunden vor dem Bodycheck auf einer Party puren Stress bedeuten.

Als Lena vor einem Club nicht von den weiblichem Securitypersonal abgetastet wurde, schrieb sie eine Beschwerde-E-Mail an das Sicherheitsunternehmen.
Foto: Alexander Gotter

Lena zeigt einer weiblichen Security ihre Handtasche, die schiebt sie zu ihrem männlichen Kollegen weiter. Der tastet sie ab. Lena sagt vorerst nichts, sie will feiern. Doch je länger sie darüber nachdenkt, desto mehr ärgert sie sich: "Ich war durchaus als Frau erkennbar."

Sie sei nicht auf die Securitymitarbeiter böse gewesen, auch die arbeiten in Stresssituationen, dafür hat sie Verständnis. "Aber ich habe mir halt gedacht, gerade in der Arena sollte es halbwegs funktionieren." Als der Ärger am nächsten Tag noch nicht verraucht ist, setzt sich Lena vor den Laptop und verfasst auf Facebook eine Nachricht an die Arena.

Einige Zeit später erreicht diese E-Mail Roland Lehner. Lehner ist seit 2012 Chef der von ihm gegründeten Securityfirma Event-Safety, im Sicherheitsgewerbe ist er schon seit 20 Jahren tätig. Das schwarze T-Shirt spannt sich über den Muskeln des 44-Jährigen. Die Narbe, die sich quer über seine Nase zieht, hat er sich nicht bei einer Prügelei, sondern bei einem Unfall zuge zogen. "Lässt mich härter ausschauen", grinst Lehner.

Er ist nicht das, was man sich gemeinhin unter dem Chef einer Sicherheitsfirma vorstellt. Er kommt aus der Hippieszene, ist sehr spirituell veranlagt. In seinem Team arbeiten Frauen, Studenten, Familienväter, syrische Flüchtlinge. "Mir ist Inklusion wichtig", sagt Lehner. "Ich will weg vom Bild der feindseligen, grimmigen Security."

Es sind seine Mitarbeiter, die an jenem Abend in der Arena an der Tür stehen und Lena kontrollieren. Ihre Nachricht bringt ihn zum Grübeln. "Ich hab es extrem respektiert, dass sie keine von denen ist, die ihren Frust betrunken beim Nach-Hause-Gehen mal schnell mit einem Posting ab lassen", sagt Lehner. Sondern sich die Mühe gemacht hat, ihre Kritik konstruktiv und respektvoll abzugeben. Lehner anwortet Lena auf Facebook: Ob sie nicht Lust habe, mal vor seinen Mitarbeitern über den Umgang mit Transgenderpersonen zu reden. Das funktioniert. Und es wird schnell auch mehr daraus: Lena bekommt das Angebot, nebenberuflich als Security für die Sicherheitsfirma zu arbeiten.

Der erste Einsatz

Lena überlegt länger, ob sie das Angebot annehmen will. Sie hat keine Lust auf Aktivismus, will nirgendwo das LGBT -Aushängeschild sein. "Aber bei Roland hatte ich keine Sekunde das Gefühl, er fragt mich aus PR-Gründen", sagt Lena. Und eine Freundin empfiehlt ihr: Wenn du einfach das machst, was dir Spaß macht, ist es doch die beste Form von Aktivismus.

Nun arbeitet sie selbst dafür, ist abends Tür steherin bei Events. Obwohl sie seit über einem Jahr offiziell eine Frau ist, wollen manche Frauen lieber nicht von ihr gecheckt werden.
Foto: Alexander Gotter

Der wichtige Schlüssel für Akzeptanz von Transgenderpersonen sei Sichtbarkeit, meint Lena. Das helfe sehr, um das Thema zu enttabuisieren. Sie vergleicht das mit dem Schwulsein in den 90ern: Damals sei ein Outing eine Sensation gewesen. Mittlerweile hätten viele Homosexuelle im Bekanntenkreis. Dazu sei Transgender in anderen Ländern schon viel verbreiteter. Als Freunde aus San Francisco zu Besuch kommen, will sie diese über ihre Veränderung warnen. "Aber die meinten nur: Wieso vorwarnen? Das haben bei mir in der Abteilung gerade auch zwei Leute gemacht."

Ihren ersten Securityeinsatz hat Lena Ende Juli beim Popfest Wien. Einige Tage später sitzt sie glücklich und gelöst in einem chinesischen Restaurant an der Wienzeile und erzählt davon. Vor ihrer Premiere war Lena extrem nervös, weil sie sich als Autistin mit neuen Situationen generell nicht leichttut.

Es hat aber alles gepasst, mehr noch: "Es war saucool." Ihre Aufgabe: Sie beaufsichtigt den ganzen Abend das Geschehen um den Brunnen am Karlsplatz, hilft Leuten und macht sie freundlich darauf aufmerksam, was geht und was nicht. "Es ist eh ein bisschen wie in der Schule: Mit den Betrunkenen musst du umgehen wie mit kleinen Kindern, mit den Freunden des Amphetaminkonsums wie mit ADHS-Kindern." Alles geht gut an dem Abend, auch ihr Chef Roland ist begeistert.

Viele Veränderungen

Für Lena hat sich in den letzten eineinhalb Jahren viel verändert. Sie hat neue Erfahrungen gemacht. Als Security, in ihrem Beruf als Lehrerin, den sie weiterhin ausführt, in ihrem neuen Leben als Frau. Von angenehmen Erlebnissen wie einer spontanen "Lena-Willkommensparty" bis zu den unangenehmen wie mit jenem Taxifahrer, der sie bei einer nächtlichen Fahrt fragt, ob sie nicht mit ihm heimgehen will. Und gelegentlich haben sich Kreise geschlossen: Als Lena im Herbst vor dem Nachtclub Grelle Forelle bei einer LGBT-Party das erste Mal als Security Bodychecks macht, lehnen es manche Frauen ab, von ihr durchsucht zu werden.

Sie nimmt das nicht persönlich. "Es ist halt so", sagt Lena. "Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass mehr Leute was sagen." Lena wird noch heute manchmal als Mann, manchmal als Frau wahrgenommen. Alles braucht seine Zeit, und manchmal ist man selbst halt schon ein Stück weiter als die Welt um einen herum.

Es ist vieles gutgegangen in diesem Jahr für Lena, für ihre Familie, für ihre Freunde. Die Söhne nennen Lena weiterhin Papa. Die Eltern bereden das Thema mit ihnen, wenn sie Fragen haben. Lena drängt ihre Kinder nicht, lässt sie die Geschwindigkeit, mit der sie die Veränderungen annehmen wollen, selbst wählen.

Einschneidende Entscheidungen verändern einen selbst, aber auch das Umfeld. Dynamiken verschieben sich. Es sind neue Menschen in Lenas Leben hinzugekommen, wenige gegangen, viele Beziehungen haben sich verändert. Lena ist zufrieden. Sie fühlt sich heute sicherer als früher, angekommen in ihrer wahren Identität. Natürlich denkt sie manchmal über ihre Entscheidung nach. "Es fühlt sich immer richtig und gut an." Sagt die Person, die früher einmal Bernhard war, aber mit Sicherheit irgendwie immer auch schon Lena. (Catherine Hazotte, Jonas Vogt, 16.2.2019)