Es hängt ein Grauton über Brexit-England: The Specials in der aktuellen Comeback-Besetzung mit (v. li.) Sänger Terry Hall, Bassist Horace Panter und Gitarrist Lynval Golding.

Foto: thespecials.com

Für eine britische Band, die vor rund vier Dekaden nach gerade einmal zwei Jahren – und zwei Alben – die Segel strich, haben sich The Specials als äußerst zählebig erwiesen. Will man dieser Tage auf Vertreter der rechten English Defence League Eindruck machen, zieht man sich nicht nur aus modischen Erwägungen ein The-Specials-Shirt über. So geschehen 2017 in Birmingham, wo die Aktivistin Saffiyah Khan sich bezaubernd lächelnd im 2-Tone-Würfelmuster vor einer Gruppe von finsteren Hooligans aufpflanzte.

Grinst sie nieder, schien Khan damals anzeigen zu wollen. Und dürfte wohl schon geahnt haben, dass der unendlich entspannte Groove der Specials das schwer an seinen Widersprüchen würgende Land neuerlich – und triumphal untriumphal – befrieden würde.

Mit Gast am Mikrofon

Auf dem neuen Album der teilreformierten 2-Tone-Band legt die Dame als Gast am Mikro, in Beantwortung eines sexistischen Rülpsers von Prince Buster aus dem Jahr 1967, ein klares Bekenntnis ab: "You may call me a femi-nazi, a femoid and see if I give a stinking shit." Tut Frau Kahn natürlich nicht. Ganz grundsätzlich könnten "Pseudointellektuelle im Internet" sie im Mondschein besuchen.

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Doch der Tendenz nach regiert ein weises, resigniertes Lächeln die neue Musik der Specials. Als die Ska-Musik in den späten 1970ern in England völlig unerwartete Blüten trieb, schienen afrokaribische Einwanderer und britische Mods endlich ein gemeinsames Medium gefunden zu haben. Der Stop-and-go-Sound mit den unwiderstehlichen Schlägen auf die Zwei und die Vier riss Legionen von Vorstadtjugendlichen aus der Agonie.

Bands wie Madness, Bad Manners, The Selecter, The Beat und vor allem The Specials bildeten bis etwa 1981 ein einheitliches popkulturelles Milieu. Die Gruppe um Terry Hall und Mastermind Jerry Dammers war am linken Flügel der kurzlebigen Bewegung beheimatet. Während einige andere Bands sogar für Skinheads aufspielten, schufen die Specials mit Titeln wie Ghost Town Bewusstsein für Toleranz.

Auf nach Großbritannien

Jetzt, 40 Jahre später, ruckelt und schnurrt der Sound der Veteranen womöglich noch verführerischer aus den Boxen. Encore nennt sich die neue, überraschend das Schweigen brechende Platte einer Institution. Und zum Club-Funk von B.L.M. erzählt der Gitarrist Lynval Golding von seinem Vater, einem Schneider, der Winston Churchill unvorsichtigerweise beim Wort genommen hatte. "Kommt, helft uns beim Wiederaufbau Großbritanniens", hatte der Zigarrenraucher in die Karibik hinübergerufen. Voller Hoffnung auf der verregneten Insel angekommen, bekam Papa Golding in allen Fenstern ungefähr dasselbe Schild zu lesen: "Willkommen in England! Nicht erwünscht sind: Hunde, Iren, Schwarze."

Aber schlafende Hunde soll man ruhig wecken. Vor allem die Wiedereingliederung von Sänger Terry Hall in das neue Layout der Band – man spielte seit den Nullerjahren immer wieder live – gleicht einer veritablen Sensation. Der Mann mit dem lässigsten Gesang der Britischen Inseln galt einst als Vorbild von Damon Albarn, einem anderen überzeugten Multikulturalisten. Die beiden Alben, die Hall mit zwei Specials-Kumpels als Fun Boy Three eingespielt hat, gehören zum kostbarsten Pop-Erbe der soundtechnisch überwiegend problematischen Achtzigerjahre.

Folgen der Errkankung

Heute kann Hall sogar über die Folgen seiner depressiven Erkrankung singen. Zu den herrlichsten Bassläufen östlich von Jamaika wird auch der Umwertung aller Werte gedacht: "White is black / Black is white / Right is wrong / Wrong is right."

Dazu passt, dass die Rumpf-Specials – neben Hall noch Golding und der Bassist Horace Panter – das bissige The Lunatics (Have Taken Over the Asylum) wiederaufgenommen haben. Die Urfassung stammte von den Fun Boy Three, die Neuausgabe erfreut mit einem fast schon tragisch zu nennenden, aber nicht ernst zu nehmenden lateinamerikanischen Tanz: "I see a clinic full of cynics." Willkommen hinter den Klassenschranken von Brexit-England.

Und wem diese unhysterische, sensationell gute Platte zu schunkelig ist, der kauft sich die Doppelausgabe mit einem Livealbum als Zuwaage. Da sind sie dann wieder da, die "Gangsters", der Affenmann, die Geisterstadt. Und alle sind sie zugleich schwarz und weiß. (Ronald Pohl, 17.2.2019)