Kanzler Sebastian kurz informierte sich im Friedensmuseum von Hiroshima über den Atombombenabwurf 1945.

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Kurz mit dem Atombombenüberlebenden Sadao Yamamoto (li.) und Hiroshimas Bürgermeister Kazumi Matsui (re.).

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Kazumi Matsui gibt sich nachdenklich. "Wir müssen vorsichtig über die Beziehung zwischen lokaler und zentraler Regierung nachdenken", sagt er dann verklausuliert. Erst nach längeren Ausschweifungen kommt der Bürgermeister von Hiroshima auf den Punkt der österreichischen Journalistenfragen. Ja, natürlich sei er dafür, dass Premierminister Shinzo Abe den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen und ratifizieren lasse, sagt Matsui, der mithilfe von Abes NDP gewählt wurde. Genau das hat Japans Regierung bisher aber nicht getan – vermutlich aus Rücksicht auf die Interessen des wichtigsten japanischen Verbündeten, jenes Staates, der 1945 Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abwerfen ließ: auf die USA.

Die Vereinigten Staaten, die Nato-Länder, Japan, Korea und Australien – das sind die auffälligsten Industrieländer aus der Reihe jener, die den Vertrag bisher nicht mittragen. Österreich hingegen hat ihn mitinitiiert. Und ein österreichischer Besuch ist es auch, in dessen Rahmen Matsui über den Vertrag spricht: Kanzler Sebastian Kurz, Bildungsminister Heinz Faßmann und Infrastrukturminister Norbert Hofer haben Hiroshima als Schwerpunkt für den letzten Tag ihrer Ostasien-Reise gewählt. Sie legen an der Gedenkstätte einen Kranz nieder und lassen sich später durch das Friedensmuseum führen.

Blitz gesehen, "dann war ich verbrannt"

In Kurz‘ Zeit als Außenminister hatte er das Vertragswerk vorangetrieben. Nun sitzt er mit Matsui am Tisch und lauscht Sadao Yamamotos Ausführungen. Yamamoto, heute 88, war damals 14, als die Atombombe am 6. August 1945 auf Hiroshima fallen gelassen wurde. "Ich habe einen Blitz gesehen und kurz darauf war ich auf der linken Seite meines Körpers verbrannt. Die Druckwelle hat mich umgeworfen", beschreibt er jenes Ereignis, an dessen direkten und verzögerten Folgen bis zum Jahresende 1945 etwa 140.000 Menschen starben.

Dass es sich um eine Atombombe handelte, habe er erst später erfahren und noch später begriffen, sagt Yamamoto. Berichte damals wurden zurückgehalten: Zunächst durch die schwer getroffene Militärregierung, die nur von einer "Bombe neuen Typs" sprach. Dann von den USA, deren örtliche Besatzungszensur möglichst wenige Informationen greifbar machen wollte, die sie den Japanern in ungünstigem Licht erscheinen ließ.

Vorurteile gegen "Bombardierte"

Und noch später von den Menschen in Japan selbst: Beide seiner Großmütter hätten den Atombombenabwurf miterlebt, erzählt Bürgermeister Matsui, seine Mutter sei mit 48 an Spätfolgen gestorben. "Aber erst als ich im Alter von 58 Jahren 2010 Bürgermeister wurde, habe ich angefangen, darüber zu sprechen". Die sogenannten "Hibakusha" (was in etwa "bombardierte Menschen" heißt) wurden über Jahrzehnte diskriminiert. Auch ihre Kinder hatten oft noch Schwierigkeiten, einen Job zu finden oder zu heiraten. Viele Japaner hielten sich von ihnen im Irrglauben fern, dass Schäden durch die Atombombe übertrag- oder vererbbar seien.

Überhaupt ist der japanische Blick auf Hiroshima ein zwiespältiger. Einerseits wird die Erinnerung an die Grausamkeit der Atombomben und die Verstrahlung wachgehalten, und es wird zu Frieden aufgerufen. Andererseits bietet die Sache den nicht unerwünschten Nebeneffekt, dass der Angreifer im Weltkrieg in diesem Fall das Opfer ist. Auch die Gedenkstätte wurde mehrfach überarbeitet, und musste sich immer wieder der Vorwürfe erwehren, koloniale und kriegerische Grausamkeiten nicht ausreichend aufzuarbeiten. Im Vergleich zu anderen Museen in Japan wird die Kriegsbegeisterung der Militärregierung dort nun aber kritisch erwähnt.

Yamamoto findet noch klarere Worte, jedenfalls jetzt: "Was mich damals am meisten erschüttert hat, war nicht die Atombombe, sondern, dass Japan den Krieg verloren hat. Heute weiß ich, dass es in Wahrheit ein sinnloser, nicht zu gewinnender Krieg war. Es war Gehirnwäsche."

Nukleare Habenichtse und Trump

Japans aktuelle Regierung verfolgt im eigenen Land die "drei nichtnuklearen Prinzipien": Das Land verzichtet auf die Produktion, den Besitz und die Stationierung von Atomwaffen. Tokio hat den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und engagiert sich bei dessen Nachfolgekonferenzen für eine nukleare Abrüstung. Doch der Eifer wird dadurch gebremst, dass Tokio auf den Atomschutzschirm der USA vertraut, um die Bedrohung durch Atomraketen aus Nordkorea und China abzuschrecken. Genau das ist wohl auch der Hauptgrund für die Weigerung, sich am Verbotsvertrag zu beteiligen – auch wenn Tokio offiziell argumentiert, das Verbot benachteilige "nukleare Habenichtse" im Vergleich zu den Nuklearmächten noch mehr als dies bisher der Fall ist.

Ohnehin sorgt derzeit ein anderer Vertrag in Hiroshima für Aufregung: Jener zum Verbot nuklearer Mittelstreckensysteme (INF), aus dem die USA und Russland jüngst ausgestiegen sind. Matsui erwähnt ihn im Gespräch, der Gouverneur Hiroshimas, Hidehiko Yuzaki, sagt später, er sei Österreich "auch angesichts der INF-Krise für seine klare Haltung besonders dankbar". Kurz verspricht in Hiroshima, Wien werde sich weiter "für eine atomwaffenfreie Welt und gegen Aufrüstung einsetzen". Die nächste Gelegenheit, über den INF-Vertrag zu sprechen wird voraussichtlich am Mittwoch sein: Dann trifft Kurz in Washington US-Präsident Donald Trump, der diesen gekündigt hat. (Manuel Escher aus Hiroshima, Martin Fritz aus Tokio, 16.2.2019)