Fast die Hälfte aller Insekten weltweit ist vom Aussterben bedroht: eine kürzlich in der Fachzeitschrift "Biological Conservation" veröffentlichte Studie mit dieser Schlussfolgerung erregte weltweites Aufsehen. Die Autoren der Studie, Francisco Sanchez-Bayo und Kris Wyckhuys von den australischen Universitäten Sydney und Queensland, sehen die Insekten "auf dem Weg der Auslöschung". Die Tiere seien "von lebenswichtiger Bedeutung für die globalen Ökosysteme", heißt es in dem Paper. Die seit sechs Jahrzehnten praktizierte intensive Landwirtschaft, der Einsatz von Pestiziden führe aber zur Zerstörung des Lebensraums von Bienen, Fliegen, Tagfaltern, Käfern oder Ameisen. Wir stellten Experten fünf Fragen zum Thema Insektensterben.

Warum haben ausgerechnet Insekten eine so enorme Bedeutung?

Wir Menschen sind eindeutig in der Minderheit. Die Mehrheit der Lebewesen sind Insekten. Etwa eine Million Arten sind beschrieben. Das wäre ein Legobaustein-Turm von etwa zehn Kilometer Höhe. Zu den Insekten zählen Tiere, die für Menschen nützlich sind und wie die Bienen, Schmetterlinge oder Marienkäfer, aber auch Tiere, die nicht so positiv besetztes Bild haben: Ameisen, die wir allefalls für ihre strukturierte Futterbeschaffung brauchen, aber natürlich nicht in der Küche haben wollen, Fliegen, Stechmücken, Schaben, Wespen und vor allem Käfer, von allen 350.000 Arten. Sie sind auch innerhalb der Insekten eine spezielle Macht.

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Größere und kleinere Insekten: vielen setzt die Zerstörung ihrer Lebensräume stark zu
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Ob die Tiere uns Menschen verzücken oder nicht, ist relativ unerheblich, sie spielen im Kreislauf der Natur eine große Rolle. Viele von ihnen bestäuben Blüten: Es gibt etwa 20.000 unterschiedliche Arten von Wildbienen, die diese Arbeit übernehmen, aber auch Fliegen, Tagfalter, Motten, Wespen und Käfer bestäuben. Bestäubt werden auffällige Blüten, die die Insekten anlocken. Sie finden sich auf Obstbäumen (Apfel, Birne, Marille), auf Feldfrüchten wie Raps und Soja, auf Gemüsearten wie Tomaten und auf einigen Wildpflanzen wie Salbei und Margerite. Die Bestäuber sorgen also dafür, dass gedeihen kann, was irgendwann einmal auf unseren Esstisch kommt.

Insekten sind für viele Tiere, zum Beispiel Zugvögel und Fledermäuse, die Hauptnahrungsmittel. Dass Schwalben zum Beispiel im Winter nach Süden ziehen, hängt mit Insekten zusammen: Die Vögel finden ihr wichtigstes Nahrungsmittel hierzulande nicht mehr vor. Im kommenden Sommer sind Insekten und Schwalben wieder da. Die teils winzigen Krabbler haben aber noch eine weitere wichtige Funktion im ökologischen Netzwerk der Natur: Einige von ihnen bauen neben Mikroorganismen totes biologisches Material ab, wodurch wieder Erde mit Nährstoffen für neues Leben entstehen kann. Insekten sind außerdem eine nahezu unerschöpfliche Quelle komplexer Aminosäuren und Proteine. Die Krebsforschung, die gesamte Pharmabranche und Medizin, sie alle profitieren von Inhaltsstoffen, die in den Tieren zu finden sind. In der Technik gibt es zahllose Anwendungen, die Insekten zum Vorbild haben (Insektendrohnen, Regelalgorithmen).

Wie dramatisch ist das Insektensterben wirklich?

Insekten gehen in ihrer Biomasse seit etwa 100 Jahren dramatisch zurück, der aktuell beschriebene Rückgang ist nur für die letzten etwa 30 Jahre nachgewiesen. Davor war der Rückgang auch enorm – vergleicht man die Insektenzahlen nach entsprechenden Schilderungen in der Literatur und alten Abbildungen, kann man davon ausgehen, dass es heute nur noch wenige Prozent der ursprünglichen Insektenfaunen in den industrialisierten Ländern gibt. Kollapsszenarien sind allerdings nicht nötig. Wissenschafter aus Wien sagen dazu: "Unsinn." Selbstverständlich werde es auch in 100 Jahren noch Insekten geben, heißt es am Naturhistorischen Museum – freilich entsprechend weiter geschrumpft und partiell ausgestorben (etwa aufgrund der Rodung des Regenwalds), aber es wird noch eine große Zahl an Arten geben. Ihr Rückgang wird allerdings auch in gemäßigten Breiten anhalten.

Wieso konnte es überhaupt so weit kommen?

Australische Forscher haben zuletzt darauf hingewiesen, dass etwa ein Drittel der Tierarten weltweit vom Aussterben bedroht sei. Der Anteil der Insekten liege dabei mit 41 Prozent zweimal höher als der von Wirbeltieren. Zuletzt soll die Biodiversität der Insekten binnen zehn Jahren um 25 Prozent gesunken sein. Zentraler Verursacher ist nach Ansicht von Experten die industrielle Landwirtschaft: Monokulturen, die durch Pestizide und Insektizide von Schädlingen freigehalten werden sollen.

Wissenschafter aus Österreich betonen, dass sie dieser Befund nicht wundert. Sie sprechen von einem riesigen Verlust im Ökosystem und davon, dass Menschen von diesem direkt abhängig seien, also vom Verschwinden der Insekten betroffen sind. Nicht nur die industrielle Landwirtschaft sei daran schuld. Unsere Art der Flächennutzung gefährde insgesamt den Lebensraum der Tiere. Tümpel werden trockengelegt, Flüsse werden begradigt, Flächen werden bebaut, die davor Raum für das gemeinsame Leben von Tieren und Pflanzen boten (Biozönosen).

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Insekten, die der Mensch kennt, vermisst er auch: hier eine tote Biene
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Letztlich trägt wohl auch die moderne konsumorientierte Gesellschaft einen Teil zur Situation bei: Hinausgehen, in Wiesen spielen, in der Natur Tiere beobachten sei, wie Wissenschafter sagen, für viele gutsituierte Eltern natürlich mühevoller, als den Kindern neueste Devices zu schenken. Es würde also wohl niemandem auffallen, wenn statt 8000 Käferarten in Österreich nur noch 5000 leben. "Und was man nicht kennt, vermisst man natürlich auch nicht", sagt der Botaniker Franz Essl von der Universität Wien.

Zum Rückgang der Insekten trägt der Klimawandel bisher noch nicht bei: Durch die bisherige moderate Erwärmung ergeben sich allenfalls Nord-Süd-Verschiebungen der Verbreitung, mit dem Insektensterben hat dies aber gar nichts zu tun. Ähnlich die Lichtverschmutzung: Lampen schädigen keine Insektenfaunen, die intakt sind, das ist mehrfach nachgewiesen, es zählt dies zu den "urbanen Mythen des Insektensterbens".

Wie könnte man die Situation verbessern?

Die vom STANDARD befragten Wissenschafter schlagen vor, nichts zu tun. Soll heißen: Keine Lebensräume mehr zu gefährden, indem man Tümpel trockenlegt oder Flüsse begradigt. Insektenpopulationen erholen sich sofort wieder, wenn man ihnen die Lebensräume (Sandflächen, Moore, Magerwiesen) zur Verfügung stellt. Dazu ist keinerlei "Hilfe" durch den Menschen erforderlich: Man muss die Landschaft einfach in Ruhe lassen.

Gegenwärtig würden sich Refugialbiotope anbieten. Das sind ungenutzte Flächen wie Feldränder, Brachen, sogenannte Gstätten, Ruderalflächen etc. Diese sollten der völligen Verwilderung preisgegeben werden. Solche Flächen würden zu einem großen Netzwerk an "Nebenbiotopen" zusammenwachsen und insgesamt eine große Fläche ergeben. Darüber hinaus muss die landwirtschaftliche Nutzung auf Äckern und Wiesen insektenfreundlicher werden: weniger Spritzmittel, nur mäßiges Düngen und das Belassen von Blumenwiesen.

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Tagfalter wie dieser tun sich in der ökologischen Krise sehr schwer. Überlebenskünstler wie der Kohlweißling haben dagegen kein Problem.
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Gibt es nur Verlierer oder auch Gewinner unter den Insekten?

Unter den Verlierern gibt es viele Bestäuber, die Vielfalt bunter Tagfalter ist schon seit Jahren zurückgegangen. Überleben wird der anpassungsfähige Kohlweißling, der häufigste Schmetterling Österreichs, er hat im Raupenstadium eine für Gemüsebauern unangenehme Angewohnheit: Er frisst, daher der Name, Kohlpflanzen. Die Gewinner sind oft jene lästigen Tiere, die wir nicht mögen: Schaben, Motten und Gelsen setzen uns zu. Sie sind es aber, die in zerstörten Lebensräumen keinen Schaden erleiden, sondern in Städten und im Kulturbereich besonders dominant zutage treten.

Stechmücken wie diese werden auch in zerstörten Lebensräumen keinen Schaden erleiden.
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Wenn Bauern das Unkraut entfernen, dann zerstören sie die Lebensbasis für jene Insekten, die ihnen nützlich sind. Die uns lästigen Gelsen gibt es dafür aber immer, sie sind nicht betroffen. Gewinner sind auch jene Insekten, die aus fremden Kontinenten eingeschleppt wurden, denn sie haben kaum natürliche Feinde vor Ort. Ein Beispiel ist die mittlerweile recht häufige Amerikanische Kiefernwanze. (Peter Illetschko, 18.2.2019)