Nach den Warnstreiks in der Sozialwirtschaft vergangene Woche verhandeln Gewerkschaften und Arbeitgeber ab Montagvormittag wieder um die Eckpunkte des Kollektivvertrags. Mehr dazu finden Sie in dieser Meldung.

Melitta Nicponsky arbeitet mit psychisch Kranken.
Foto: Julian Giera

Melitta Nicponsky hat in der sozialen Arbeit die gesamte Bandbreite an Problemen erlebt. Die Sozialarbeiterin arbeitete beim Frauennotruf, der vom Verein für vergewaltigte Frauen und Mädchen angeboten wird. In ihrer mehr als 30-jährigen beruflichen Laufbahn war sie jedoch unter anderem auch in der Kinder- und Jugendarbeit, im Pflegebereich, in der Beratung von Mädchen und Frauen zum Thema Beruf und schließlich im Wohnbereich tätig.

Der Wohnbereich ist für Nicponsky einer der forderndsten Bereiche der sozialen Arbeit. "So nah am Alltag und Leben der Bewohner zu sein und dabei sensibel für die Grenzen von Interventionen in das Leben der Klienten zu sein, ist sehr herausfordernd", beschreibt die Sozialarbeiterin ihren Berufsalltag.

In ihrer aktuellen Arbeitsstelle kümmert sie sich als psychosoziale Fachkraft um neun psychisch kranke Menschen. Ihre Klienten haben Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis. Dieses Krankheitsbild äußert sich vielfach in Verfolgungsangst, Stimmenhören und visuellen Halluzinationen.

Ruhe bewahren

Teil der täglichen Aufgaben in der Wohngruppe ist das Krisenmanagement. Bewohner können unter psychotischen Wahnvorstellungen leiden und Wahrnehmungs- und Denkstörungen entwickeln. Für Nicponsky heißt das, einfühlsam zu sein und die Ruhe bewahren. "Wir versuchen solange wie möglich in Kontakt mit unseren Klienten zu bleiben", erklärt sie das Vorgehen bei Krisen. Wenn Probleme eskalieren, müsse auch ein Krankenhausaufenthalt in Betracht gezogen werden. Solche Entscheidungen über stationäre Behandlungen seien mit hoher Verantwortung verbunden und bedeuteten tiefe Einschnitte in die Lebensrealität der Klienten.

Diese hohen Anforderungen an Sozialarbeiterinnen seien nur durch gute Arbeitsbedingungen angemessen bewältigbar, sagt Nicponsky. Sie beobachte seit 20 Jahren die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen im Sozialbereich. Immer wieder habe sie sich überlegt, etwas anderes zu machen.

Viel Idealismus

Ihren Idealismus habe sie aber nicht verloren, sagt die Sozialarbeiterin. "Eine Motivation dafür, Sozialarbeiterin zu werden, war die Vorstellung einer Gesellschaft, die allen Menschen, die sie brauchen, Unterstützung zur Verfügung stellt", beschreibt die 56-Jährige ihre Berufsentscheidung.

Dieses Ideal sei jedoch nur erreichbar, wenn sich die Bedingungen für die Bediensteten verbessern. Gemeinsam mit Michael Gehmacher und vielen weiteren Beschäftigen der Sozialwirtschaft engagiert sie sich daher in der Initiative "Sozial, aber nicht blöd".

Michael Gehmacher hilft in der Flüchtlingsbetreuung.
Foto: Julian Giera

Bewohner mit gesundheitlichen Problemen betreuen, Klienten bei wichtigen Anliegen und Problemen helfen, Post bearbeiten, sich um die Einhaltung der Hausordnung kümmern, die Lagerverwaltung organisieren, notwendige Dinge wie Hygienemittel oder Bettwäsche bestellen sowie allerlei Liegengebliebenes aus dem Tagdienst erledigen. Die Liste der Aufgaben für Michael Gehmacher nachts in der Wohneinrichtung für erwachsene Flüchtlinge liest sich wie eine nicht enden wollende To-do-Liste.

Bei knapp 300 Bewohnern, die im Schnitt von drei bis vier Mitarbeitern betreut werden, ist sie das wahrscheinlich auch. Seit mehr als zehn Jahren ist Gehmacher im Sozialbereich tätig. Nach seinem Zivildienst blieb er der sozialen Arbeit treu und war lange in der Behindertenbetreuung tätig. Danach arbeitete er in der Wohnungslosenhilfe und schließlich in der Flüchtlingsbetreuung. Zwei Anläufe unternahm er, neben der Erwerbstätigkeit Jus zu studieren – zuletzt 2009. Beide Male sei er an der Unvereinbarkeit der Arbeit im Sozialbereich und den Anforderungen des Studiums gescheitert, berichtet Gehmacher. Die Familiengründung hat die Bewältigung der täglichen Verpflichtungen nicht einfacher gemacht.

2000 Euro brutto

Mit knapp 2000 Euro brutto bei zehnjähriger Berufserfahrung bleibe einem nichts anderes übrig, als die Familienernährung mit einem Doppelverdienermodell zu stemmen. Ein Elternteil müsse dabei tagsüber arbeiten und der andere Elternteil nachts und am Wochenende. Sonst würden die Kinder untertags keine Betreuung durch die Eltern haben und das Geld nicht reichen. Für den 46-Jährigen heißt das seit langem prekäre Arbeitszeiten, um das Gehalt mit Nacht- und Wochenendzulagen aufzubessern. "Die wenige Zeit bei der Familie gleicht da eher einer Teambesprechung, wie man die Woche organisiert, als schöner Familienzeit", sagt Gehmacher.

Seit 2015 arbeitet er jetzt in der Flüchtlingsbetreuung, mittlerweile die sechsten Dienststelle in vier Jahren in diesem Bereich. Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene würde bei der Betreuung von Flüchtlingen gespart, sagt Gehmacher. Das heißt nicht nur, dass er als Betreuer von einem Dienstverhältnis zum nächsten wechseln muss, sondern auch dass die Bewohner von Einrichtung zu Einrichtung weitergereicht werden.

Ernüchterung

Ursprünglich hätte er eine sinnvolle Tätigkeit mit einem Studium verbinden wollen, beschreibt er seinen Start im Sozialbereich. Als Alleinstehender sei seine Vorstellung von einem guten Auskommen eine andere gewesen. Er sei ernüchtert, dass gerade für die vielen angelernten Kräfte in sozialen Tätigkeiten so wenig zum Leben übrigbleibt.

Vergangene Woche wurde wegen der schlechten Bedingungen in der Sozialwirtschaft protestiert. Mehr Geld und eine 35-Stunden-Woche stehen auf der Wunschliste der Beschäftigten. (Julian Giera, 18.2.2019)