Zu sehen in der Wiener Galerie Meyer Kainer: Gelatins Annäherung an die gute alte Kunstgeschichte: doppelte Hinterkopfbüsten, gegossen aus Gips.

Foto: Marcel Koehler

Keine Angst vor allem Körperlichen. Dazu eine Portion Aktionismus, obszöner Witz und kindliche Anarchie, so kennt man Gelatin: Man steckt sich brennende Kerzen in den Hintern, baut einen Exkremente-Parcours oder popelt Skulpturen aus einem riesigen Styroporblock. Loch hieß 2013 das Happening im 21er-Haus, wo man mehrere Tage lang zig unförmige Gipsobjekte "abbaute": Löcher wurden in einen Styroporblock gebohrt, danach mit Gips ausgegossen und mit einem Sockel versehen. Sobald der Gips getrocknet war, konnte man die Skulpturen direkt aus dem Styropor herausziehen.

Ganz so effizient ist man dieses Mal nicht vorgegangen. Die Arbeiten in der Ausstellung Beyond hard in der Galerie Meyer Kainer gehen aber auf dieses Verfahren zurück: Das Unförmige, das bei Gelatin immer wieder auftaucht, ist dieses Mal einer klassischen Form, der Porträtbüste, gewichen.

Zumindest zur Hälfte: Was zunächst wie eine klassische Büste aussieht, entpuppt sich von der Seite als Doppelhinterkopf. Das heißt: Wie bei anderen Abgussverfahren gab es zunächst zwei Abgusshälften. In diesen wurden Negativformen von ein und demselben Hinterkopf angefertigt, mit Gips abgegossen und zusammengefügt. In der Auswahl der Porträtierten war man um einen zeitgemäßen gesellschaftlichen Querschnitt bemüht: So lässt ein Pferdeschwanz ein junges Mädchen erahnen, während ein dicker Hals mit Speckfalte auf einen älteren Herrn schließen lässt.

Bruchstellen und Fehlerhaftes

In der Ausstellung steht die kleine Heerschar von insgesamt acht Doppelkopfbüsten auf weißen Styroporsockeln, die Bruchstellen mit dreckig-gelbem, Fäden ziehendem Kleber aufweisen. Ums Ausbessern oder gar Glätten ging es Gelatin aber nie. Man arbeitet mit ungewöhnlichem Material, mit Zufälligkeiten oder auch Fehlerhaftem. Die dünnen Gipswände, die zwischen den Kopfhälften stehen blieben, waren von Anfang an einkalkuliert.

Beim Rundgang erweisen sich die zerbrechlich wirkenden Wände als sehr effektvoll: Zum einen fühlt man sich an industrielle Produktionsprozesse – etwa die Ästhetik des 3D-Drucks – erinnert. Zum anderen wird durch die Trennwand die Psychologisierung der Figurengruppe verstärkt: Von der Seite betrachtet sind es Kipp- und Vexierbilder, die man assoziiert. In der Vorderansicht tauchen die Köpfe scheinbar tief in ihr eigenes Spiegelbild ein.

Hat die Künstlergruppe ihr körperbetontes Stadium etwa überwunden? Ihr Blick hinter den Spiegel ist jedenfalls überraschend: reduziert, zurückhaltend, aufs Bildnerische fokussiert, ruhig, fast kontemplativ und gar nicht selbstverliebt. (Christa Benzer, 18.2.2019)