Leser David Bernard: Wählerstimmen sind kein Parteieigentum, es gibt keinen Anspruch darauf.

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Und: Vielfalt im Angebot belebt die Demokratie und ist zu begrüßen.

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Wie schon bei der Nationalratswahl die Liste Pilz, nunmehr Jetzt, so sieht sich aktuell auch die "Initiative 1 Europa" um Johannes Voggenhuber dem Vorwurf ausgesetzt, am Untergang der Grünen schuld zu sein. Das ist natürlich Unsinn. Dazu zwei Punkte.

Erstens: Demokratie ist eine Debatte über Ideen und Visionen mittels Argumenten. Man kandidiert nicht gegen eine andere Partei, sondern für Inhalte. Jeder Mensch hat, unter gewissen Voraussetzungen, das Recht, für politische Ämter zu kandidieren. Wird ein Politiker innerhalb seiner Partei von seiner Funktion abgewählt oder kann sich wegen Differenzen einen Verbleib nicht mehr vorstellen, ist es völlig legitim, ein eigenes Projekt aufzustellen. Das ist keine Gotteslästerung. Vielfalt im Angebot belebt die Demokratie und ist zu begrüßen. Wahlentscheidungen sollten auf Kompetenz, Erfahrung und Authentizität basieren. Alter oder Geschlecht sind keine tauglichen Kategorien.

"Geklaute" Stimmen?

Zweitens: Wählerstimmen sind kein Parteieigentum, es gibt keinen Anspruch darauf. Es sind die Wahlberechtigten, die entscheiden, wem sie ihre Stimme geben. Ein politischer Bewerber, der abgewählt wird, wird eben vom Wähler abgewählt. Der Gedankengang, eine andere Partei habe die Stimmen "geklaut", ist an Absurdität nicht zu überbieten – sie hatte einfach das bessere Angebot.

Dazu ein paar Zahlen von der Nationalratswahl 2017. Die Sora-Wählerstromanalyse zeigt: Die Grünen haben 28 Prozent ihrer Stimmen (von 2013) an die SPÖ verloren, 14 Prozent an die ÖVP, elf Prozent an die Liste Pilz, zehn Prozent an die Neos. Wer sich im Schuldzuweisungsdenken eingesperrt hat, müsste demnach zuallererst SPÖ und ÖVP des "Stimmenraubs" bezichtigen. Darüber hinaus waren 69 Prozent der Liste-Pilz-Wähler keine ehemaligen Grünen-Wähler. Die elf Prozent der ehemaligen Grünen-Wähler von 2013 machten demnach im Ergebnis der Liste Pilz 31 Prozent aus.

Egal wie man zu Peter Pilz oder Johannes Voggenhuber steht: Deren Engagement auf Rachegelüste herunterzubrechen ist kindisch und kontraproduktiv. Es ist ein Akt der Verzweiflung. Wer also denkt, die beiden "Silberrücken" – Alternativbezeichnung im grünen Sprachrepertoire: "Uga-Uga-Mann" – wären "schuld" an der misslichen Lage der Grünen, der irrt, schafft es nicht, über den Tellerrand zu blicken, hat Politik und Demokratie nicht verstanden. Relevante Fragen wären da eher: Warum hat Eva Glawischnig das sinkende Schiff verlassen und ist mit ihrem Faible für die Glücksspielindustrie ihrer Bewegung schamlos in den Rücken gefallen? Und was kann man daraus für die Zukunft lernen? Ist es eine Ironie der grünen Geschichte, dass nun – mit Werner Kogler – ein "Silberrücken" den Karren wieder aus dem Dreck ziehen muss?

Die Metaebene des Problems

Was wir aus dem rechten Spektrum nur allzu gut kennen, ist auch bei Akteuren, die vorgeben, für linke Politik einzutreten, immer öfter festzustellen: die Unfähigkeit zu reflektieren und vernunftbezogen sachlich zu argumentieren. Wer auch nur einen Millimeter von der Linie abweicht, wird umgehend ins rechte Eck gestellt. Das ist absurd. Die Metaebene des Problems: das Blockdenken links/rechts, gut/böse, für/gegen uns. Derart verwirrte Zeitgenossen sind gefangen in einer Blase, deren Identität sich aus einem klar definierten Feindbild speist. Man betet die vorgegebenen Standardsätze herunter wie das Amen im Gebet und klopft sich dann gegenseitig auf die Schultern. Das hat auch mit Gruppendynamik zu tun und dem Wunsch, wo "dazuzugehören". Es entsteht die Angst, dass man, wenn man nicht sagt, was erwartet wird, eben nicht mehr dazugehört. Diese Menschen können einem leidtun. Mögen sie aufwachen und sich ändern.

Deshalb zusammenfassend ein Appell an beide Seiten, sich gegenseitig nicht mehr im Wege zu stehen. Diese aufgebauschte Diskussion schadet beiden Bewegungen. Wer das nicht erkennt, lebt in einer Parallelwelt. (David Bernard, 19.2.2019)