Erst einmal mit einem Missverständnis aufräumen: Man muss gar nicht immer rühren. Nichtitaliener kaufen Instant-Polenta ja nur, weil sie keine Lust haben, eine Stunde lang am Herd zu stehen. "Falsch", sagt Franz Mulser und rührt nicht, schließlich besagt ein Südtiroler Sprichwort: "Der Faulste rührt den Plent."

So heißt Polenta im lokalen Dialekt, und dass sie gerade ein wenig im Kommen ist, wie man in der großen Stadt zu sagen pflegt, ist auch ihm zu verdanken. Mulser ist einer, der auszog und wiederkam. Er hat im Münchner Tantris gekocht, bei den Gebrüdern Obauer und bei Harald Wohlfahrt. Seit achtzehn Jahren bewirtschaftet er die Gostner Schwaige, eine zur Gemeinde Kastelruth gehörende Hütte auf 1930 Meter Höhe.

Rauf geht es mit dem Lift auf die Seiser Alm, schräg rechts an Kühen und Instagram-tauglichem Bergpanorama vorbei bis zur "zweihundertirgendwas" Jahre alten Almhütte mit Sonnenterrasse. In Sichtweite steht ein autoreifengroßer Kupferkessel.

"Schade, dass du nicht im Sommer gekommen bist", bedauert Mulser, dessen Gesicht trotz seiner 39 Jahre etwas Jungenhaftes hat. Zu Karohemd und Krachlederner trägt er Tirolerhut. Zur wärmeren Jahreszeit bereitet er seine Polenta unter freiem Himmel zu – nicht aus Nostalgie, sondern weil sie so ein rauchiges Aroma bekommt.

Das "Arme-Leute-Essen" Polenta ist auf Franz Mulsers Südtiroler Alm der unangefochtene Star.
Foto: Eva Biringer

Gut kann so einfach sein

Lange Zeit galt der Maisbrei als Arme-Leute-Essen. Insbesondere bei der Weinlese lieferte er dringend benötigte Energie. Drei Tagesrationen waren keine Seltenheit. Morgens als süßes Muaß, mittags und abends herzhaft, mit Wurst, Käse oder Gerstenkaffee. Weil die Zubereitung so einfach war – Wasser kochen, Grieß einrühren, warten -, gab es viele Freiwillige, daher das eingangs erwähnte Sprichwort vom faulen Plent-Rührer.

Zunehmend wichen die Maisfelder jedoch dem lukrativeren Obstanbau. Nach dreihundert Jahren war Schluss mit Polenta, jedenfalls in der Gegend rund um Bozen. Dass diese Tradition jetzt wiederbelebt wird, ist teilweise de Weinwirtschaftsinitiative Wein Kaltern zuzurechnen. In prominenter Seelage wurde 2009 ein Maisfeld angelegt, dessen Pflanzen nicht zu Tierfutter, sondern zu Plent verarbeitet werden.

Das Ziel: zurück damit in die Verkaufsregale. Zweitausend bescheidene Quadratmeter, in guten Jahren liegt der Ertrag bei rund tausend Kilo. Ende Oktober werden die Maiskolben gepflückt und von Hand ausgepackt, man nennt das "tschilln", anschließend die Körner von den Kolben geklopft und gemahlen, gröber als gewohnt.

Eine Schautafel schwärmt vom "Terroir auf dem Teller". Handelt es sich gar um Jahrgangspolenta? Nein, so weit würden die Initiatoren nicht gehen. Eher freuen sie sich, dass der Türk wieder in Kaltern eingezogen ist. Dieser Beiname erklärt sich so: Von Mittelamerika aus gelangte Polenta im 15. Jahrhundert nach Spanien, dann in die Türkei und von dort aus nach Südtirol. Ist dieser Einwanderer gekommen, um zu bleiben? Sinnvoll wäre es schon allein deshalb, weil Kalterns Wappen ein Polentakessel ziert.

Zu Anschauungszwecken rühren lokale Winzer wie einst ihre Vorfahren im Weinberg in jenen Kupferkesseln, in denen sie zuvor Würste gekocht haben, für den Geschmack. Das Ganze über offenem Feuer. Einige wenige Erzeuger gibt es in der Gegend rund um Bozen, Andreas Dichristin vom Tröpfltalhof in Kaltern etwa oder Bernhard Feichter in Toblach. In Tramin hat sich die Familie Giovanett auf ihrem Römerhof einer historischen Sorte verschrieben, dem orangeroten Tirggplent.

Wieder im Angebot

Manche gehobenen Restaurants haben Polenta wieder in ihre Karte aufgenommen. Der in Kaltern ansässige Ritterhof macht ein ganzes Menü daraus, mit "Polentawaffeln mit Südtiroler Speck und Kren-Eis", "Polenta zur im Lagrein geschmorten Ochsenwange" und "Filet vom Alpensaibling mit Zitronenpolenta und sautiertem Chicorée". Vierzig Kilometer entfernt bereitet man im Kastelruther Ritterhof auf Wunsch einen Zwischengang zu, cremig gerührt, mit Röstpilzen, Kapuzinerkresse und einigen Goudastreifen.

Für Franz Mulser ist Polenta weit mehr als eine Verlegenheitslösung. Sie hat ihn ein Leben lang begleitet, wann immer er konnte, bugsierte er sie auf die Karte jener Restaurants, in denen er kochte. Eine regelrechte Polentaodyssee hatte er hinter sich, bis er in Storo, einer Gemeinde im nahe Trient gelegenen Chiese-Tal, das perfekte Ausgangsprodukt fand.

Das rührt er jetzt in seiner Sechs-Quadratmeter-Küche in einen Topf mit glasig gewordenen Zwiebeln. Noch einmal zum Mitschreiben: nur leicht gesalzenes Wasser verwenden, keine Milch, wozu diverse Internethobbyköche raten. Dann hat der 38-Jährige Zeit für andere Bestellungen wie Heublütensuppe und Milchbrot-Tarte mit Brombeer-Rosenkompott. Nach einer Stunde dann ein wenig Butter zur Polenta – und fertig. Davon, sie auf ein Blech zu streichen und nach dem Erkalten anzubraten, wie es vielerorts üblich ist, hält Mulser nicht viel.

Seit 18 Jahren bewirtschaftet Franz Mulser die Gostner Schwaige, eine Alm in Südtirol, und kocht dort Polenta. Wohlgemerkt: kocht – nicht: rührt.
Foto: Gostner Schwaige / Franz Mulser

Bei jedem Wetter

Im Winter passt dazu Bauernbratl vom Milchlamm – natürlich sind die Lämmer vom eigenen Hof – oder Gulaschsuppe mit Zirbelkiefer-Pesto. Für Vegetarier gibt es karamellisierten Kaiserschmarren aus Storo-Polenta und Almricotta mit Glühweinzwetschken. In den wärmeren Monaten, also dann, wenn draußen der Kupferkessel zum Einsatz kommt, kombiniert er die Polenta mit Salsiccia oder hausgemachtem Käse.

Die Dekoration aus essbaren, selbstgesammelten Blüten ist obligatorisch bei einem, der den Beinamen "Blumenkoch" trägt. In lauen Sommernächten gibt es auf der Gostner Schwaige Polenta-Kaiserschmarren mit Muscovado-Zucker und mit Calvados flambierten Gravensteiner-Äpfeln, einer Sorte, die höchstens drei Wochen im Jahr Saison hat – Open-Air-Cooking sozusagen, auf "Omas altem Holzherd". Darüber ein Sternenhimmel, wie ihn Stadtbewohner gar nicht kennen. Gerührt wird Kaiserschmarren von der Polenta natürlich nicht, aber das wussten Sie ja. (Eva Biringer, RONDO, 22.2.2019)


Rezept für Franz Mulsers "Gulasch mit Gemüsepolenta":

Foto: Gostner Schwaige/Franz Mulser

Gulasch vom Simmentaler Alm Rind*
(für 4 Personen)

800 Gramm Schulternatl (Schaufelstück) vom Simmentaler Alm Rind

Ordentlich pariert und in Würfel zu je circa 50 Gramm geschnitten

1 Teelöffel Senf

1 Teelöffel Zucker

1 Esslöffel Tomatenkonzentrat

1 Esslöffel Samenöl

4 Schalotten

1 Knoblauchzehe angedrückt

1 Karotte

1/2 Stange Sellerie

½ Liter Lagrein dunkel (oder einen anderen kräftigen Rotwein)

Und etwas Lorbeer, Rosmarin und Salbei

Salz und Pfeffer

100 Gramm Schwarte vom Bauernspeck oder Reste


"Big Green Egg Kohle Grill" auf 250 Grad Celsius vorheizen. Die Fleischwürfel mit Salz und Pfeffer würzen und mit dem Senf grob bestreichen, dann in einem Schmortopf (am besten aus Gusseisen mit passendem Deckel ) von allen Seiten mit dem Samenöl sehr stark anbraten. Das Fleisch herausnehmen und das in grobe Würfel geschnittene Gemüse (Karotten, Sellerie und Schalotten) sowie Knoblauch in den Topf hinzugeben. Das Gemüse mit den Kräutern gold-gelb anrösten, Schwarte vom Bauernspeck hinzufügen und glasig anschwitzen. Tomatenmark und Zucker langsam einrühren, leicht anrösten lassen und mit Lagrein Dunkel (lokaler Rotwein aus Südtirol) ablöschen.

Fleisch wieder zum Bratenansatz fügen, alles gut umrühren mit Bratenfond aufgießen bis das Fleisch bedeckt ist und auf 120 Grad Celsius regulieren. Big Green Egg ca. 1,5 Stunde mit geschlossenem Deckel schmoren. Die geschmorten Fleischwürfel aus der Sauce nehmen, Sauce durch ein Sieb passieren eventuell etwas einkochen lassen und damit die Fleischwürfel leicht überziehen.


Gemüsepolenta

¾ Liter Gemüsefond

¼ Liter Frischer Rahm

200 g Maisgrieß vom Römerhof Tramin (Polenta Mehl)

1 Schalotte

1 kleine Karotte

1 halbe Sellerieknolle

1 kleine Zucchini

Salz und Pfeffer

1 Esslöffel Samenöl

Etwas frisch gehackte Petersilie sowie ein Teelöffel Butter

In einem Topf das Samenöl erhitzen, fein geschnittene Schalotten und in kleine Würfel geschnittenes Gemüse (außer Zucchini ) hinzufügen, leicht anschwitzen mit Gemüsefond und Rahm aufgießen, mit Salz und Pfeffer würzen, zum Kochen bringen, Maisgrieß mit Schneebesen einrühren und circa 30 Minuten bei leichter Hitze köcheln lassen. Kurz vor Garende die in kleine Würfel geschnittenen Zucchini unterrühren. Etwas frisch gehackte Petersilie und einen Teelöffel Butter einrühren und zum Gulasch reichen.

*Das Rind in Franz Mulsers Gulasch stammt vom Aussergost Hof in Südtirol.

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