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Anhänger der QAnon-Theorie bei einem Auftritt von Donald Trump.

Foto: Reuters

Wussten Sie, dass die Erde eine Scheibe ist? Dass unter der Mitwisserschaft von Hillary Clinton eine Washingtoner Pizzeria als Drehscheibe für organisierten Kindesmissbrauch genutzt wird? Dass Netzwerke aus Satanisten und Kannibalen die Welt steuern? Oder dass wir von Echsenmenschen unterwandert wurden? Diese Theorien sind freilich erfundener Humbug, hatten aber dennoch bereits Konsequenzen der Realität.

Während die "Erdscheibe" nur zu harmlosen Auseinandersetzungen auf Youtube und einem Selbstbau-Raketenprojekt für die Suche nach der Erdkrümmung geführt hat, sieht es bei den anderen beiden Verschwörungen anders aus. Ein Mann zückte in besagter Pizzeria einst eine Waffe, im Glauben, gefangene Kinder befreien zu können. Und erst im Jänner erstach ein 26-Jähriger Amerikaner seinen Bruder, weil er ihn für ein Reptilienwesen hielt.

Nur wenige Klicks entfernt

Das Wiederaufkommen von Verschwörungstheorien, das in den letzten Jahren zu beobachten ist, ist kein Zufall. Dass die Flat Earth-Annahme wieder Zulauf genießt, ist auch Mitschuld von Plattformen wie Youtube, die im Kampf gegen derlei Inhalte säumig seien, heißt es etwa in einer neuen Untersuchung der Texas Tech University.

Wer eine alternative Erklärung für Vorgänge auf der Welt oder die Bestätigung seiner eigenen Ideologie sucht, findet sie auf sozialen Medien mit wenigen Klicks – egal wie verrückt die Theorie sein mag. Oft steckt hinter einer Verschwörungstheorie auch eine politische Agenda. Die österreichische Journalistin Julia Ebner vom Institute for Strategic Dialogue (ISD) fordert daher im "Guardian": "Stoppt die Online-Verschwörungstheoretiker!"

Von den USA über UK nach Europa

Beim ISD sieht man ein Übergreifen des Phänomens auf das europäische Festland. Was sich zuerst in den USA manifestierte, war in weiterer Folge auch in Großbritannien zu sehen. Nun sind die anstehenden EU-Wahlen das neue Spielfeld der Verschwörungstheoretiker. Es grassieren Theorien, die alte antisemitische Muster wieder aufleben lassen und mit neuen Feindbildern verknüpfen – etwa die Behauptung, George Soros sei der Mastermind hinter der Flüchtlingswelle 2015. Auch auf regionaler Ebene ist Einfluss messbar. Das ISD konnte entsprechende Social Media-Kampagne im Zuge der Bayern-Wahl 2018 (PDF) beobachten.

Eine beliebte Verschwörungstheorie ist "QAnon". Entstanden in den Tiefen des berühmt-berüchtigten Forums Imageboards 4chan berichtet hier ein lediglich als "Q" bekannter Insider darüber, wie der sogenannte "Deep State" und andere Akteure in einer Art "Schattenkrieg" versuchten, US-Präsident Donald Trump zu gefährden, der sich heldenhaft dagegen wehrt.

Die Geschichte folgt nicht nur Trumps eigenem Narrativ der ursprünglich versprochenen "Trockenlegung" des Washingtoner "Politsumpfes". Sondern es stilisiert ihn auch zum Opfer einer stets unfair spielenden "anderen Seite". Jener Mann, der seinen Bruder für ein Reptil hielt, war offenbar ebenfalls ein "QAnon" und Anhänger der rechtsradikalen Bewegung "Proud Boys".

Daheim bei Pegida und Gelbwesten

Die QAnon-Community überschneidet sich laut Ebner stark mit den Unterstützungsnetzwerken von Bewegungen wie der Pegida in Deutschland. Sie ist auch im Hardcore-Brexit-Lager und neuerdings auch bei den französischen Gelbwesten zu finden. Wo immer sie auftauchen, bringen sie Verschwörungstheorien ein, die QAnon in lokalen Kontext stellen. Dabei geht man durchaus professionell vor. Man produziert Videos, verewigt Desinformation in Datenbanken und trainiert Mitglieder in der Erstellung einschlägiger Memes.

Eine Folge dieser Kampagnen und der leichten Zugänglichkeit solcher Inhalte: 60 Prozent aller Briten glauben laut einer Umfrage an zumindest eine Verschwörungstheorie. In der Hitliste vorne stehen die Annahmen, dass ein kleiner elitärer Zirkel die Geschicke der Welt lenkt, dass es einen Plan gäbe, autochthone Briten mit muslimischen Migranten zu ersetzen und dass die Behörden die wahren Einwanderungszahlen geheim hielten.

Regulierung notwendig

Die Verbreitung von Verschwörungstheorien könne gesellschaftliche Spaltung herbeiführen und in einer Zeit, in der der Politik ohnehin schon viel Skepsis entgegen schlägt, das Vertrauen in den demokratischen Prozess beschädigen, warnt Ebner. Die Architektur sozialer Netzwerke begünstigt diese Entwicklung.

Langsam geschieht auch etwas dagegen, so hat etwa Youtube kürzlich Änderungen angekündigt, die für weniger Sichtbarkeit für Verschwörungsinhalte sorgen sollen. Die Entfernung problematischer Inhalte allein ist aber laut Ebner keine ausreichende Lösung. Die Techfirmen sollten zu mehr Transparenz hinsichtlich ihrer Algorithmen und zu mehr Verantwortung verpflichtet werden. Eine Regulierung sei Notwendig, da Extremisten als "Early Adopter" neuer Technologien sonst stets neue Innovationen schnell zu ihren Gunsten missbrauchen werden. (gpi, 20.02.2019)