Sylven Landesberg (re.) wurde NBA-Potenzial bescheinigt. Dass er nun für Österreichs Basketball-Nationalteam spielt, gleicht einem Wunder.

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Österreichs Teamspieler Marvin Ogunsipe, Moritz Lanegger und Kapitän Thomas Schreiner haben eine Aufgabe: Sylven Landesberg mit Bällen zu füttern.

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Der Dreipunktewurf geht auch vom Parkplatz.

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Wien/Ankara – Vielleicht ist es ein Wunder. Oder auch nur Zufall. Im österreichischen Basketball herrscht jedenfalls Wallfahrtsstimmung. Grund dafür ist Sylven Landesberg. Der 28-Jährige möchte sich aber nicht als Basketball-Messias bezeichnen lassen. "Das bin ich natürlich nicht. Das würde mir ja einen Riesendruck machen", sagt er dem STANDARD.

Sylven Landesberg ist aber auch nicht weniger als die größte Hoffnung für Österreich, sich erstmals seit 41 Jahren für eine Europameisterschaft zu qualifizieren. Rückblick: 29. November 2018, die magische Nacht von Manchester. Landesberg warf Österreich bei seinem Debüt im Nationalteam gegen Großbritannien in der Vorqualifikation zur Europameisterschaft 2021 mit 49 Punkten im Alleingang zum Sieg. Ein Teamrekord. Seine Mitspieler fütterten ihn mit Bällen "und ich traf und traf einfach". Aus dem Dribbling, von der Dreierlinie, unter dem Korb, mit Foul. Die britische Verteidigung tat einem schon fast leid, niemand konnte den 1,98 Meter großen Flügelspieler stoppen.

Mit einem Sieg im Rückspiel gegen Großbritannien am Sonntag in Schwechat (17 Uhr, live ORF Sport+) kann Österreich in die Hauptrunde der Qualifikation für die EM 2021 aufsteigen. Es werden mit Sicherheit mehr Fans in die Wiener Peripherie pilgern als üblich, um Landesberg erstmals in einem Heimspiel zu bestaunen.

Schnelle Verbandsreaktion

"Ich habe davor noch nie etwas gehört von Basketball in Österreich", sagt Landesberg. Dass er überhaupt für das Nationalteam entdeckt wurde, liegt auch an Raoul Korner. 2017 coachte der Wiener Basketballtrainer den deutschen Bundesligisten Bayreuth im Europacupspiel gegen Estudiantes Madrid, wo ihm Landesberg in Reihen der Spanier auffiel. Korner meldete seine Entdeckung dem Verband (ÖBV), der sich um den 1,98 Meter-Mann zu bemühen begann. Landesberg ist amerikanischer, israelischer und österreichischer Staatsbürger.

Sein Vater stammt aus einer jüdisch-österreichischen Familie, sein Großvater war vor dem Holocaust nach New York geflohen. Seine Mutter kommt aus Trinidad und Tobago. Vor seiner Zeit in Madrid spielte Landesberg bereits sieben Jahre in Israel. Warum er niemals fürs israelische Nationalteam auflief? "Weil mich niemand gefragt hat", sagt Landesberg. Erst als er in Spanien aufgeigte, meldete sich Israel. "Zu spät. Der ÖBV hat mich zuerst gefragt, ich habe zugesagt. Die schnelle Reaktion zeigte mir, dass sich Österreich wirklich für mich interessiert."

Die Lebensschule, der Fehler

Die Geschichte von Sylven Landesberg ist aber auch die von einem Traum, der nicht hätte platzen müssen. Aufgewachsen im New Yorker Stadtteil Queens, ging Sylven schon als Kind rund um die Uhr in den Park Körbe werfen. Vater Steven war sein härtester Trainer, "er hat mir diese Mentalität vermittelt. Wenn du ganz nach oben willst, darfst du nicht besser als dein nächster Konkurrent sein, du musst zehnmal besser sein. Das hat er mir jeden Tag gesagt. Wir haben auch im Winter draußen gespielt, nachdem wir den Schnee weggeräumt haben".

Dass Landesberg NBA-Potenzial hatte, kristallisierte sich schon an der High School heraus. Als 18-Jähriger wurde er mit Auszeichnungen überhäuft: Mister New York Basketball, Mc Donalds All-American, Freshman of the Year am College. Landesberg war landesweit bekannt, das Ende seiner Zeit an der Universität von Virginia verlief weniger glücklich. In seinem zweiten Jahr wurde Landesberg vom Trainer wegen versäumter Unikurse suspendiert. "Nach den Regeln der Uni habe ich mich richtig verhalten, nach den Regeln des Coaches nicht. Es war ein Lernprozess."

Sein Name stand infolgedessen im NBA Draft nicht mehr so hoch im Kurs, schlussendlich wählte ihn kein Klub aus. Für die Sacramento Kings spielt Landesberg im Vorhof der NBA, in der Summer League, bekam aber keinen Vertrag. Der damalige Kings-Coach Paul Westphal setzte auf die Guards Tyreke Evans und Francisco Garcia. "Als Kind hab ich in der Nacht im Park die 24-Sekunden-Uhr heruntergezählt, ich wollte wie Michael Jordan den letzten Wurf treffen. Der Traum war immer die NBA. Das hab ich nicht geschafft."

Soldat in Israel

Seine Profikarriere begann er in Israel bei Maccabi Haifa. Die Umstellung auf das europäische Spiel war schrecklich. "Ich bekam sechsmal pro Spiel Schrittfehler gepfiffen, der Trainer schrie mich ständig an. Wäre ich Legionär gewesen und hätte keinen israelischen Pass gehabt, man hätte mich rausgeschmissen." Landesberg wurde als israelischer Staatsbürger in die Armee eingezogen. Als Sportler musste er zwar nur eineinhalb Jahre dienen statt der üblichen drei, aber auch Überlebenstraining absolvieren. "Einmal wurde ich für vier Tage allein in den Wald geschickt, nur mit einer Waffe und einem Schlafsack. In Israel ist der Grundwehrdienst kein Spaß. Gefahr ist dort ein allgegenwärtiger Begleiter. Gottseidank musste ich nie auf jemanden schießen."

Landesberg ist kein strenggläubiger Jude. "Ich glaube nur daran, dass es gute und schlechte Menschen gibt. In der Familie haben wir sowohl christliche als auch jüdische Feiertage zelebriert." Seinen österreichischen Pass bekam er als 20-Jähriger zeitgleich mit seinem israelischen auf Wunsch seines Vaters, "er meinte, dass ich ihn eines Tages noch brauchen könnte."

Abenteuer Türkei

Nach sieben Jahren in Israel, davon fünf bei Maccabi Tel Aviv und einem Titel in der Königsklasse des Basketballs (2014 unter Coach David Blatt, der Landesberg im Euro League Finale gegen den hohen Favoriten ZSKA Moskau aber nicht einsetzte), zog Landesberg weiter und spielte eine Saison in Spanien. Kritiker meinen, er hätte einen zu schwachen Wurf für einen Shooting Guard und ein zu schwaches Ballhandling für einen Point Guard. "Solche Aussagen motivieren mich bis heute". Für Estudiantes Madrid warf er in der spanischen Liga einmal 50 Punkte gegen den FC Barcelona. Diese Saison heuerte er bei Türk Telekom Ankara an, mit 20.6 Punkten ist er zweitbester Scorer in der Basketbol Süper Ligi. Die türkische Liga ist mittlerweile eine der Top-Ligen Europas, schwimmt seit Jahren im Geld, die Istanbuler Topklubs holen sich alles, was es gerade nicht in die NBA schafft.

Dass sich Österreichs Basketball seit Jahrzehnten durch schlechte Strukturen selbst schwächt, davon weiß Sylven Landesberg natürlich nichts. Von Jakob Pöltl hat er vor kurzem erstmals gehört. Landesberg: "Es macht Spaß, in diesem Team zu spielen. Ich will mithelfen, dass wir endlich auf die große Bühne kommen." (Florian Vetter, 21.2.2019)