Ob Papst Franziskus auch auf Vorwürfe eingehen wird, die ihn selbst betreffen? Man wird sehen.

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Der Zeitpunkt war wohl nicht ganz zufällig gewählt: Am Samstag, wenige Tage vor der Eröffnung der Antimissbrauchskonferenz in Rom, hat der Vatikan bekanntgegeben, dass der ehemalige Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick, aus dem Klerikerstand entlassen worden sei. Er ist der bisher höchste kirchliche Würdenträger, dem diese kanonische Höchststrafe auferlegt worden ist. Bereits im vergangenen Herbst hatte der US-Prälat auf seine Kardinalswürde verzichten müssen. Der heute 88-jährige McCarrick ist von der Glaubenskongregation schuldig befunden worden, sich zwischen 1970 und 1990 mehrfach an jungen Männern – meistens Seminaristen – sexuell vergangen zu haben. In mindestens zwei Fällen waren die Opfer minderjährig.

Mit dem Exempel, das am US-Kirchenmann statuiert wurde, wollte der Vatikan vor dem Antimissbrauchsgipfel demonstrieren, dass die Zeit des Versteckens, des Verschleierns und des Vertuschens endlich vorbei sei. Die Entlassung von Kardinal McCarrick aus dem Klerikerstand sei "ein sehr wichtiges Zeichen", betonte der maltesische Erzbischof Charles Scicluna, der in der vatikanischen Glaubenskongregation für die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen zuständig ist und bei der Vorbereitung der dreitägigen Konferenz maßgeblich mitgewirkt hat. Die Entlassung McCarricks zeige, dass auch Bischöfe "nicht über dem Gesetz stehen".

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Missbrauch als "offenes Geheimnis"

Der Fall McCarrick zeigt freilich auch all die Versäumnisse, das lange Zeit totale Versagen der katholischen Kirche im Umgang mit sexuellem Missbrauch durch Kleriker. Die Neigungen und Verfehlungen des US-Kardinals waren nämlich seit Jahren "ein offenes Geheimnis", wie Scicluna einräumte – und trotzdem dauerte es Jahre, bis er aus dem Verkehr gezogen wurde. McCarrick war bestens vernetzt im Vatikan, sammelte Millionen an Spendengeldern für die Kirche ein – und galt sogar, was für ein Hohn für die Opfer, als engagierter Kämpfer für die von Papst Benedikt XVI. verordnete "Null Toleranz" gegen übergriffige Priester.

Der Schaden, den sich die Kirche mit dem langen Verdrängen der Missbrauchsskandale selbst zugefügt hat, ist immens. Die Antimissbrauchskonferenz, die heute, Donnerstag, beginnt und bis Sonntag dauert, soll zu einer Art Befreiungsschlag werden. Sie wird nicht nur für die Glaubwürdigkeit der Kirche, sondern auch für das Pontifikat von Franziskus von entscheidender Bedeutung sein.

Keine Beschlüsse vorgesehen

Die Konferenz wird bereits heute als "historisch" bezeichnet – obwohl keine Abstimmungen oder Beschlüsse vorgesehen sind, wie der Moderator des Treffens und frühere Papstsprecher Federico Lombardi betonte. Die Teilnehmer, erklärte der Papst im Hinblick auf das Treffen, sollen nach ihrer Rückkehr "die anzuwendenden Gesetze kennen sowie die notwendigen Schritte unternehmen, um Missbrauch zu verhindern, sich um die Opfer kümmern und sicherstellen, dass kein Fall vertuscht oder begraben wird".

Zu dem Treffen hat Papst Franziskus die Vorsitzenden der weltweit 114 Bischofskonferenzen, weibliche und männliche Ordensobere, Vertreter katholischer Ostkirchen sowie die Spitzen der Römischen Kurie und Experten eingeladen. Zu Beginn des Treffens und bei den täglichen Abendgebeten werden auch Missbrauchsopfer anwesend sein. Hans Zollner, Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission, formulierte es in der deutschen Zeit folgendermaßen: "Nun muss es endlich eine vollständige Aufarbeitung des Unrechts und eine Wiedergutmachung für die Betroffenen geben."

Das ist ein hehres, aber auch ein sehr ehrgeiziges Ziel. Denn Missbrauch wird in der Kirche zum Teil nach wie vor tabuisiert. Und es gibt erhebliche geografische und kulturelle Unterschiede: Während in den meisten angelsächsischen Ländern – allen voran die USA, Irland und Australien – sowie in Mittel- und Nordeuropa die Aufarbeitung der Missbrauchsskandale relativ weit fortgeschritten ist, hat sie in Afrika, in Asien, aber beispielsweise auch in Italien oder Polen noch kaum begonnen.

Transparenz soll gefördert werden

Nach den vielen Fällen, die bisher bekannt geworden sind, dürften unzählige weitere erst noch ans Tageslicht kommen. Mit Blick auf die Zukunft sollen bei dem Treffen in Rom deshalb auch einheitliche Standards zur Förderung der Transparenz der Verfahren sowie die allgemeine Rechenschaftspflicht für Bischöfe diskutiert werden.

Bei dem Treffen in Rom geht es aber nicht nur um die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche, sondern auch um die ihres Oberhaupts. Vergangenen Sommer hatte der ehemalige Botschafter des Vatikans in den USA, der italienische Erzbischof Carlo Maria Vigano, gegen den Papst schwerwiegende Vorwürfe erhoben: Auch Franziskus habe von den Missbrauchsvorwürfen gegen Theodore McCarrick gewusst und diese gedeckt.

Er, Vigano, habe Franziskus schon im Juni 2013, also kurz nach dessen Wahl zum Papst, in einer Privataudienz über die Vorwürfe gegen McCarrick in Kenntnis gesetzt. Doch der neue Pontifex habe nicht nur nichts unternommen, sondern sogar die bereits von seinem Vorgänger gegen McCarrick verhängten Sanktionen wieder aufgehoben.

Ist also Franziskus, der gleich nach seinem Amtsantritt die Null-Toleranz-Politik seines Vorgängers bestätigt hat, selbst ein Vertuscher? Franziskus mochte die Vorwürfe Viganos nicht kommentieren. "Ich denke, das Schreiben spricht für sich", erklärte der Papst im vergangenen Sommer. Die Behauptungen Viganos sind in der Tat mit Vorsicht zu genießen: Der Ex-Nuntius ist ein Vertrauter eines Kreises erzkonservativer US-Kleriker, die den Papst aus Argentinien wegen dessen vergleichsweise liberaler Ansichten in Sachen Homosexualität und wiederverheiratete Geschiedene sowie wegen seines Einsatzes für die Armen und für Migranten am liebsten stürzen sehen würden.

Vorwürfe aus Franziskus' Heimat

Bloß: Der Vorwurf gegen Franziskus, bei Missbrauchsvorwürfen weggeschaut zu haben, kommt nicht nur von den Traditionalisten. Dunkle Wolken brauen sich über dem Papst auch in seiner Heimat Argentinien zusammen. Missbrauchsopfer in seiner ehemaligen Erzdiözese Buenos Aires werfen dem heutigen Papst vor, ihre Klagen nicht ernst genommen und sie auch nie empfangen zu haben. Im Fall des später wegen sexuellen Missbrauchs zu 15 Jahren Gefängnis verurteilten argentinischen Priesters Julio César Grassi wird dem damaligen Erzbischof Jorge Maria Bergoglio sogar vorgeworfen, eine 2.600 Seiten umfassende Studie zur Entlastung des pädophilen Paters in Auftrag gegeben zu haben.

Laut Moderator Lombardi wird der Papst erst am Ende der Konferenz das Wort ergreifen. Ob er bei dieser Gelegenheit auch auf die ihn selbst betreffenden Vorwürfe eingehen wird, bleibt abzuwarten. Ein klärendes Wort zu seinem Handeln in den Fällen McCarrick und Grassi könnte jedoch viel zum Gelingen und zur Glaubwürdigkeit der Antimissbrauchskonferenz beitragen. (Dominik Straub aus Rom, 21.2.2019)