Sex vor der Ehe? Für den Verein Teenstar eine Gefahr.

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Homosexualität ist therapierbar, Selbstbefriedigung ein Ausdruck von Ichbezogenheit, "Sex vor der Ehe" eine Gefahr – diese Inhalte aus den Schulungsunterlagen des Pseudoaufklärungsvereins Teenstar sind seit November nicht nur ein Thema in den Schulen, sondern auch in den Medien. Das Bildungsministerium versprach Aufklärung, will die "inkriminierten Stellen" in den Unterlagen, die dank einer anonymen Whistleblowerin verfügbar sind, seither nicht gefunden haben. "Man kann ja gescheiter werden", kommentiert dies Generalsekretär Martin Netzer lapidar.

Was denn nun? Wurden die Stellen nicht gefunden, oder hofft man darauf, dass Teenstar in Zukunft "gescheiter" wird? Beides ist fragwürdig. Die Unterlagen liegen jedenfalls seit sechseinhalb Monaten im Bildungsministerium. Gescheiter wird der Verein wohl auch nicht so schnell. Denn eine religiös-fundamentalistische Ideologie lässt sich nicht von heute auf morgen ändern.

Übergriffige Einzelgespräche

Teenstar propagiert Inhalte, die beim besten Willen nicht dem Grundsatzerlass Sexualpädagogik entsprechen. Auch mit dem Grundsatzerlass "Geschlechterreflexive Pädagogik und Gleichstellung", den Minister Heinz Faßmann im Oktober 2018 selbst erlassen hat, und dem Indoktrinationsverbot an Schulen können die Methoden und Inhalte wohl schwer in Einklang gebracht werden. Umso erstaunlicher ist nun die Meldung, dass Teenstar weitermachen darf.

Nicht nur die Inhalte, die Teenstar propagiert, sind höchst zweifelhaft, sondern auch die Rahmenbedingungen, die der Verein für seine vermeintlich sexualpädagogische Arbeit schafft. So beinhalten die internen Schulungsunterlagen für Kursleiterinnen und Kursleiter, die dem Bildungsministerium vorliegen, einen Leitfaden für Gespräche mit Jugendlichen. Im Rahmen dieser Kurse sollen zwei bis drei Einzelgespräche pro Teenager stattfinden. "Termin fixieren (15 Minuten), vorgegebene Zeit nicht verlängern, sondern bei Bedarf stattdessen eventuell einen gemeinsamen Spaziergang/Essen vorschlagen", wird die Vorgehensweise in einem Leitfaden beschrieben. Dass der sexualpädagogische Boden hier verlassen wird, sollte Eltern und Bildungsminister gleichermaßen beunruhigen. Denn was passiert in diesen Einzelgesprächen?

Im Leitfaden werden angehende Kursleiterinnen und Kursleiter angehalten, den Minderjährigen höchst intime Fragen zu stellen. "Wie hast du deine erste Blutung (deinen ersten Samenerguss) erlebt?" Beim Thema Geschlechtsverkehr könne, laut den Leitlinien, über Zeitpunkt und Häufigkeit der Sexualkontakte nachgefragt werden.

Bei "vermuteter Schwangerschaft" soll ein "Schwangerschaftstest zum Beispiel aus der Apotheke" für Klarheit sorgen. Bei "tatsächlicher Schwangerschaft" startet die Teenstar-Beratungsmaschinerie, die mit Methoden arbeitet, die man von klerikalen Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern kennt. Äußert ein Jugendlicher oder eine Jugendliche "homosexuelle Empfindung" soll an "gutes Fachpersonal" verwiesen werden, das nicht näher benannt wird. Im Kapitel über Homosexualität wird allerdings auf Vereine verwiesen, die sogenannte Konversionstherapien ("Homo-Heilungen") bewerben.

Teenstar-Hausbesuche

Der Rahmen und die Art der Einzelgespräche sind aus Sicht der Prävention von sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen höchst problematisch – und vor allem: Sie haben nichts mit professioneller Sexualpädagogik zu tun. Was lernen Minderjährige über Grenzen, wenn sie mit Erwachsenen bei einem "Dinner for Two" über zutiefst intime Details ihres Körpers und ihrer Sexualität ausgefragt werden?

Mittlerweile mache Teenstar sogar Hausbesuche, wie eine wachsame Sexualpädagogin schilderte. Das ist besorgniserregend, wenn auch außerhalb des Einflussbereichs des Bildungsministeriums. Der Fundi-Verein lässt offenbar keine Gelegenheit aus, um Kindern und Jugendlichen seine verstörende Ideologie aufzuzwingen. Diese "Sexualpädagogik im Kinderzimmer" lässt Grenzen verschwimmen und wirft Fragen in Bezug auf Intimität, Privatsphäre und Selbstbestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen auf.

In der Debatte um Teenstar geht es nicht um progressive versus kirchliche Sexualpädagogik. Es geht darum, dass sich ultrakonservative religiöse Hardliner in die schulische und außerschulische Sexualpädagogik eingeschlichen haben und dort seit mehr als zehn Jahren tätig sind. Anstatt sich um das Problem zu kümmern, startet das Bildungsministerium einen Frontalanfgriff auf die Sexualpädagogik – wohl zur Freude von klerikalen Hardlinern, die seit Jahrzehnten gegen professionelle und evidenzbasierte Sexualpädagogik Sturm laufen.

Minister Faßmann selbst ist weder radikal noch ein religiöser Fundamentalist. Der Universitätsprofessor legt Wert auf Fakten. Nun, die Faktenlage ist erdrückend. Mehr als 1000 Seiten Schulungsunterlagen geben Zeugnis über die haarsträubende Ideologie, die hinter dem Pseudoaufklärungsverein steckt. Seit Anfang August 2018 hat das Bildungsministerium diese Unterlagen. Von Oktober 2018 bis Jänner 2019 wurden sie geprüft, heißt es in der Beantwortung mehrerer parlamentarischer Anfragen. Warum nicht früher, könnte man fragen. Oder: Warum so lange?

Aufklärung und Transparenz

Was ist das Ergebnis, fragen vier Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die Licht in die Causa Teenstar bringen wollen. Stephanie Cox (Jetzt), Ewa Dziedzic (Grüne) Douglas Hoyos (Neos) und Mario Lindner (SPÖ) – sie alle wollen das Prüfungsergebnis erfahren und fordern Transparenz vom Bildungsminister. Denn es ist ja nicht so, dass der Bildungsminister – im Gegensatz zum einen oder anderen Amtskollegen – das demokratische Kontrollmittel der parlamentarischen Anfrage nicht ernst nehmen würde. Im Gegenteil: Seitenweise beantwortet er Anfragen rund um die Causa Teenstar, die sich in seinem Ministerium schon stapeln müssen. Und dennoch: Die Prüfungsergebnisse werden weiterhin unter Verschluss gehalten. Cui bono? (Paul Haller, Kathleen Schröder, 21.2.2019)