Mächtige Herren unter sich: Dick Cheney (Christian Bale) und George W. Bush (Sam Rockwell).

Foto: Constantin

In seinem letzten Film The Big Short ließ Adam McKay die Hintergründe der US-Immobilienkrise aus dem Jahr 2008 von der Schauspielerin Margot Robbie erklären, die nackt in einem Schaumbad saß. Eine Szene, die den alten Werbespruch "sex sells" ins Komische überspitzt, aber zugleich ein abstrakt-komplexes Thema einem breiten Publikum vermittelt.

Die Herausforderung, der sich der Ex-Chefautor Saturday Night Live in seinem neuen Film stellt, ist ähnlich schwierig: Wie überträgt man das Leben einer der farblosesten und geheimniskrämerischsten US-Politiker der letzten Jahrzehnte in eine Komödie mit Mainstreamappeal?

Bösewicht für das liberale Amerika

Es geht um Dick Cheney, Vizepräsident unter George W. Bush, zuvor u. a. Verteidigungsminister zur Amtszeit seines Vaters George Bush sen. und Aufsichtsratsvorsitzender des Ölkonzerns Halliburton. Der Titel Vice lässt sich natürlich in Bezug auf diese Hauptfigur doppeldeutig lesen: Er bezieht sich nicht nur auf das höchste Staatsamt ("Vize") in Cheneys Karriere, sondern auch auf seine Rolle als Bösewicht ("Laster") hinter den Kulissen – zumindest für das liberale Amerika.

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Die Vergehen, mit denen McKay Cheney in Vice wenigstens indirekt in Verbindung bringt, umfassen so ziemlich alle Probleme, mit denen die USA aktuell zu kämpfen haben, von der Opioid-Krise über IS bis hin zu Donald Trump – um nur ein paar zu nennen.

McKay porträtiert ihn dabei aber nicht als konservativen Ideologen. In einer Schlüsselszene fragt der junge Cheney seinen damaligen Chef Donald Rumsfeld: "Woran glauben wir?" Daraufhin bricht der spätere Verteidigungsminister in prustendes Lachen aus und verschwindet in sein Büro.

Macht als Selbstzweck

Woran Cheney in McKays Interpretation glaubt, ist Macht als Selbstzweck – und in George W. Bush findet er den perfekten Strohmann, um seine Gier auszuleben: Als der Texaner in Vice dem damaligen Chef von Halliburton den Posten des Vizes anbietet, taktiert Cheney zunächst: Der Job sei ja hauptsächlich symbolisch und daher für ihn nicht sonderlich interessant. Aber er könne Bush ja die eher "profanen" Aufgaben seines Jobs abnehmen: "die Aufsicht über das Militär, die Bürokratie, den Energiesektor und die Außenpolitik".

Bush scheint kurz überrascht – und willigt ein. Eine Paradeszene für Christian Bale, der sich für die Titelrolle über 20 Kilo angefuttert hat und zusätzlich von Maske und Kostüm ausgepolstert wurde. In seinem "Fettanzug" wirkt er jedoch nie wie eine Witzfigur. Was nicht zuletzt daran liegt, dass er seine Rolle eher unterspielt.

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Wobei McKay bisweilen die Interpretation von Bales Mimik beisteuert: In die Szene mit Bush etwa schneidet er Bilder von Cheney beim Fliegenfischen. Die Bedeutung ist klar: Der Strippenzieher Cheney hat einen Köder ausgelegt, und der ihm intellektuell unterlegene Bush wird ihn schlucken.

Das ist nur ein Beispiel dafür, wie McKay die Handlung immer wieder unterbricht, um ihm wichtige Punkte unmissverständlich zu vermitteln oder um mit teilweise geradezu Brecht’schen Verfremdungseffekten Distanz zu erzeugen. In einer Szene etwa spricht Cheney mit seiner Frau plötzlich in Shakespeare’schen Versen, als seien sie Figuren aus Macbeth; in einer anderen Szene spielt der Schauspieler Alfred Molina einen Kellner, der Cheney und Konsorten im Restaurant eine Speisekarte vorliest, in der nur Foltermethoden aufgeführt sind – "Wir nehmen sie alle", antwortet der Vize.

Trumps Mitermöglicher

Die Ideendichte von Vice ist geradezu schwindelerregend. Auch wenn diese Regieeinfälle die Schauspieler in den Hintergrund zu drängen drohen und oftmals alles andere als subtil sind – sie sorgen dafür, dass McKays Film eine der lebendigsten Politsatiren der letzten Jahre ist.

Ob Vice wirklich die historische Wahrheit trifft, ist eine ganz andere Frage: Überschätzt McKay den Einfluss Cheneys auf den Gang der Weltgeschichte? Die Andeutung, er habe den Aufstieg Trumps mitbefördert, scheint zunächst etwa weit hergeholt.

Beide Männer könnten auch kaum unterschiedlicher sein: der eine der Meister der bürokratischen Kontrolle, der Machtausübung hinter den Kulissen; der andere der Herrscher über das Chaos, der große Zampano der direkten Wähleransprache. Doch vielleicht hat McKay recht: Cheney machte den Weg frei für einen Zynismus der Macht, der erst unter Trump zur vollen öffentlichen Blüte gelangte. (Sven von Reden, 21.2.2019)