Gedacht waren sie nur für Führungskräfte, inzwischen kommen sie auch bei klassischen Arbeitnehmern vor: All-in-Verträge. Bei diesen Vereinbarungen sind prinzipiell alle Mehrleistungen, die ein Arbeitnehmer zusätzlich zu seiner Normalarbeitszeit erbringt, pauschal abgegolten. Dazu zählen etwa Überstunden, aber auch Sonn- und Feiertagsarbeit.

Die Gewerkschaft kritisiert regelmäßig, dass mehr und mehr Arbeitnehmer All-in-Verträge haben, weil laut ÖGB in vielen Fällen Überstunden nicht adäquat abgegolten worden sein sollen. Wie viele All-in-Verträge gibt es im Land, in welchen Branchen sind sie üblich, wie haben sich die Zahlen über die Jahre verändert?

In letzter Minute abgedreht

Die Statistik Austria hätte exakt zu diesen Fragen 2019 eine umfassende Erhebung durchführen sollen. Doch STANDARD-Informationen zufolge hat das Arbeits- und Sozialministerium unter Ministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) die geplante Erhebung in letzter Minute abgedreht. Bemerkenswert ist das Ganze umso mehr, weil auch geplant gewesen war, zu erfragen, wie zufrieden die Österreicher mit ihrer Arbeitszeit sind.

Im vergangenen Jahr erst hat die türkis-blaue Koalition das Arbeitszeitgesetz umgestaltet: Seither ist es gesetzlich einfacher möglich, Arbeitnehmer auch bis zu zwölf Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche arbeiten zu lassen. Der Zwölfstundentag hat heftige Proteste ausgelöst. Da drängt sich die Frage auf, warum Hartinger-Klein im Jahr eins nach der Gesetzesänderung eine Befragung zum Thema streichen lässt.

Wie zufrieden sind die Österreicher mit ihrer Arbeitszeit? Geplant war, dazu etwa 50.000 Personen zu befragen.

50.000 Menschen werden befragt

Zur Vorgeschichte: Die wichtigste statistische Befragung in Österreich ist der regelmäßig stattfindende Mikrozensus. Dabei fragt die Statistik Austria jedes Quartal etwa 50.000 Menschen persönlich nach ihren Lebensumständen, ihrer Wohnsituation und ihrem Arbeitsleben. Die Befragungen laufen in der EU nach einem einheitlichen Muster ab. Die Fragen sind vorgegeben. Dabei gibt es alle Jahre einen anderen Schwerpunkt, der einmal beim Zensus mit abgefragt wird. Auch dabei sind die Themen vorgegeben. Für 2019 lautet die europäische Vorgabe, dass es um Arbeitszeit und Arbeitsorganisation gehen müsse. Abgefragt wird dabei etwa, ob sich Arbeitnehmer kurzfristig mal freinehmen können, wie oft Überstunden anfallen, wie die Arbeitszeitaufzeichnungen aussehen.

Dabei haben Länder die Möglichkeit, Zusatzfragen zu stellen. Wie DER STANDARD erfahren hat, war zwischen Sozialministerium und Statistik Austria im vergangenen Jahr vereinbart worden, fünf solcher Zusatzfragen zu stellen. Eine davon lautete: "Besteht in Ihrem Arbeitsvertrag eine Vereinbarung, dass Überstunden pauschal abgegolten werden, wie z. B. ein All-in-Vertrag oder eine Überstundenpauschale?"

Fünf Fragen fehlen dieses Mal

Eine andere war: "Passt Ihre Arbeitszeitgestaltung im Allgemeinen sehr gut, ziemlich gut, weniger gut oder gar nicht gut zu Ihren persönlichen Lebensumständen?" Auch Fragen zur Teilzeit und dazu, wie lange Dienstpläne im Vorhinein bekannt sind, waren bereits im fertig erstellten Fragebogen enthalten.

Die Führung des Sozialministeriums hat sich im letzten Augenblick dazu entschlossen, die Fragen doch nicht stellen zu lassen. Bundesministerin Beate Hartinger-Klein hat Ende Jänner eine Verordnung herausgegeben, die für die Durchführung der Befragung notwendig ist. Die erwähnten Zusatzfragen sind nicht inkludiert.

Vergleichbarkeit nicht mehr gegeben

Bereits 2015 hatte das Sozialministerium, als es zuletzt einen Schwerpunkt im Zensus zum Thema Arbeit gab, genau diese Sachverhalte zusätzlich abfragen lassen. Durch eine neue Erhebung wäre also eine mehrjährige Vergleichbarkeit der Daten möglich gewesen. 2015 war das Ministerium SPÖ-geführt. Weshalb also entschied sich das Arbeits- und Sozialministerium nun dagegen?

DER STANDARD fragte nach und wollte wissen, ob es andere, gleichwertige Befragungen in Österreich gebe und daher hier in Wahrheit etwas doppelt erhoben worden sei. Oder ob man etwa vorhabe, ein privates Institut zu beauftragen, das Befragungen günstiger durchführen kann. Auf beide Fragen ging das Sozialministerium nicht ein. Die Stellungnahme lautete: "Bei der erwähnten Umfrage handelt es sich um Meinungen, aber nicht um notwendige Fakten für das Ministerium zum Thema Zufriedenheit mit Arbeitszeit. Daher und aus dem Grundsatz sparsamer Mittelverwendung wurde von einer Teilnahme abgesehen."

Was Wissenschafter sagen

Was sagen Wissenschafter zur Causa? Im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich wird regelmäßig ein Arbeitsklimaindex erhoben. Dabei befragt das Meinungsforschungsinstitut Ifes 1000 Arbeitnehmer im Quartal persönlich über ihre Zufriedenheit mit dem Job, die Arbeitszeit, den Führungsstil im Betrieb. Das Wiener Sora-Institut wertet die Ergebnisse aus. Wie also sieht man das Thema bei Sora?

Eine Erhebung zu All-in-Verträgen habe es beim Arbeitsklimaindex zuletzt nicht gegeben, sagt der zuständige Sozialforscher Daniel Schönherr. "Es gibt sehr wohl andere Studien neben dem Mikrozensus, in denen Arbeitszeit intensiv abgefragt wird. Was aber Stichprobenumfang und Qualität der Daten anbelangt, ist es ein Verlust, wenn diese Fragen gestrichen werden", denn da gebe es nichts in ähnlichem Umfang.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein: Gibt es gleichwertige Untersuchungen zu All-in-Verträgen und zur Zufriedenheit mit der Arbeitszeit in Österreich? Das Ministerium nennt auf Nachfrage keine.
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Der Ökonom Helmut Mahringer vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo meint: "Der Mikrozensus der Statistik Austria ist eine ganz wichtige Quelle für die Arbeitsmarktforschung." Dieser ermögliche Auswertungen zu Subgruppen, etwa dazu, wie die Entwicklung in einzelnen Branchen oder Bundesländern ist.

Der Soziologe Franz Astleithner vom Forschungsinstitut Forba sagt: "Die Fragen zu All-in-Verträgen und zur Zufriedenheit mit der Arbeitszeitgestaltung sind aus wissenschaftlicher Sicht sehr relevant." In dem Umfang und in der Qualität, wie das von der Statistik Austria erhoben worden wäre, "gibt es im Moment nichts Vergleichbares. Das ist unstrittig."

Der Preis der Fragen

In der vergangenen Woche war eine Diskussion rund um die Statistik Austria losgebrochen, nachdem DER STANDARD über eine geplante Neuorganisation berichtete, unter anderem in der Presseabteilung. Neos, Liste Jetzt und SPÖ sahen die Unabhängigkeit der Statistik in Gefahr, die dem Bundeskanzleramt unterstellt ist. Im Kanzleramt betonte man dagegen, dass an einer unabhängigen Statistik nicht gerüttelt werde. 20 Jahre nach einer Ausgliederung sei eine Evaluierung der Effizienz notwendig, und das geschehe nun.

Die zusätzlichen fünf Fragen stellen zu lassen hätte das Sozialministerium dem Vernehmen nach 40.000 bis 50.000 Euro gekostet. In der Branche gilt das als eher günstig. Der Grund: Die umfassende Befragung im Rahmen des Zensus findet sowieso statt. Da die Vorbereitungsarbeiten beendet waren, soll ein Teil der Kosten ohnehin angefallen sein. (András Szigetvari, 22.2.2019)