Angehörige von Opfern protestieren im Vatikanstaat gegen das Vorgehen der Kirche.

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Vatikanstadt/Wien – Am zweiten Tag der Kinderschutz-Konferenz im Vatikan hat der Erzbischof von Chicago, Kardinal Blase J. Cupich, die "Blindheit" der Kirche vor dem Ausmaß und den Schäden von Kindesmissbrauch durch Geistliche beklagt. Die Kirche müsse die "klerikale Kultur" ablehnen, die so oft Missbrauch begünstigt habe, so Cupich in seiner Ansprache vor den Kongressteilnehmern.

"Wir müssen ohne zu zögern Laien ausführlich in alle Anstrengungen zur Bildung und zum Aufbau von Strukturen der Rechenschaft einbeziehen", sagte der Erzbischof, der zu den Mitgliedern des Organisationskomitees des Kongresses gehört. Nur gemeinsam, in bischöflicher Kollegialität, könne man die Verantwortlichkeit und Rechenschaft sicher stellen. Die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte zeige, dass die Perspektive von Missbrauchsopfern kein Angriff auf die Kirche sei, sondern eine Hilfe beim Erkennen der Tragödie und beim Aufbau von neuen Strukturen.

Cupich sprach sich für die Einrichtung von Online-Portalen oder Hotlines aus, wo Opfer Missbrauchsfälle melden können. Das Augenmerk solle stets auf die Opfer gerichtet sein. Die Kirche müsse klare Verfahren und Kriterien schaffen, um Fälle von nicht erfüllter Sorgfaltspflicht zu identifizieren.

"Jeder von uns ist verantwortlich"

Zuvor stand die Rede des indischen Kardinals Oswald Gracias auf dem Programm. "Kein Bischof kann behaupten, das Problem des Kindesmissbrauchs in der Kirche betreffe ihn nicht. Jeder von uns ist für die ganze Kirche verantwortlich", so Gracias.

Auch wenn die Missbrauchskrise besonders einige Teile der Weltkirche zu betreffen scheine, sei sie kein begrenztes Phänomen. Die gesamte Kirche müsse sich dem zuwenden und entschieden handeln, sagte Gracias in seinem Beitrag. Der indische Kirchenmann ist Mitglied des Kardinalsrat, der den Papst bei der Kurienreform unterstützt.

Alleine könne kein Bischof das Problem lösen. Die Verantwortung gehöre allen Bischöfen gemeinsam, Kollegialität sei der Kontext, in dem mit Missbrauch umgegangen werden müsse. Umgekehrt gelte auch, dass kein Bischof sagen könne, dass ihn das Problem nichts angehe, weil er in einem anderen Teil der Welt lebe. "Die Rechenschaft und Verantwortung gehört uns gemeinsam", so Gracias.

Luxemburger Bischof will Anzeigepflicht

Der Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen in der EU, der Luxemburger Erzbischof Jean-Claude Hollerich, ist der Ansicht, dass es zu einer Anzeigepflicht für Bischöfe bei Kindesmissbrauch kommen wird. "Wenn es Übel in der Kirche gibt, muss man die zuständigen Justizbehörden informieren", so Hollerich im Gespräch mit Journalisten am Rande des Kindesmissbrauchgipfels im Vatikan.

Die Kirche dürfe Missbrauchsfälle nicht mehr verheimlichen. Er lobte die Arbeit der Medien bei der Entlarvung von Kindesmissbrauch. "Einige Bischöfe behaupten, dass die Medien die Kirche angreifen. Das stimmt nicht. Wenn man davon spricht, ist es für die Kirche nur gut", so der Luxemburger.

Auch der Papst habe sich angesichts der Zeugnisse der Missbrauchsopfer am Donnerstag bewegt gezeigt. "Es ist eine Gnade, diese Zeugnisse hören zu können", sagte Hollerich.

UN-Dossier verteilt

Allen Konferenzteilnehmern wurden in mehreren Sprachen Material von UNO und UNICEF zum Thema Kindesmissbrauch zur Verfügung gestellt. "Es ist ein Wunsch des Papstes, dass dieses UNO-Dossier an die Teilnehmer verteilt wird", sagte der Moderator der Konferenz, der Jesuitenpater Federico Lombardi.

Am viertägigen Anti-Missbrauchsgipfel, der am Donnerstag im Vatikan begonnen hat und bis Sonntag läuft, beteiligen sich 190 offizielle Teilnehmer. Österreich wird durch Kardinal Christoph Schönborn in Rom vertreten. Abstimmungen oder Beschlüsse über Papiere sind nicht vorgesehen. Papst Franziskus wird am Sonntagvormittag zum Abschluss der Messe eine zusammenfassende Ansprache halten. (APA, 22.2.2019)