Die Liebe führte den Briten James Patton nach Wien. Dort hat er nun sein erstes kommerziell erfolgreiches Spiel "Spinnortality" entwickelt.

Foto: Rainer Sigl

"Ich kann mir gut vorstellen, für immer in Wien zu bleiben", sagt James Patton in feinstem British English und grinst. Eigentlich, so erzählt er, wollte er Mathematiker oder Schriftsteller werden; drei Jahre studierte der aus einem kleinen Ort südlich von London stammende Engländer in Cambridge Literatur. Zumindest in Sachen Garderobe sieht der schlaksige 28-Jährige mit Hemd, Pullunder und blauem Sakko auch heute noch aus wie ein Student der britischen Elite-Universität. Statt irgendwo in England an einem Roman zu brüten, feiert Patton heute allerdings den erfolgreichen Launch seines ersten kommerziellen Spiels – in Wien. "Spinnortality" heißt die "Cyberpunk-Management-Sim", in der man als Kopf eines skrupellosen Megakonzerns an der Weltherrschaft und letztendlich der Unsterblichkeit für die milliardenschweren Aufsichtsratsmitglieder arbeitet.

James Patton

Die Liebe führte Patton nach Wien

James Patton ist nicht der durchschnittliche Spieleentwickler. Als Autodidakt hat er sich schon in Jugendtagen das Programmieren beigebracht und an sein Literaturstudium einen Master in Interactive Media in London angehängt. Nach Wien hat ihn vor fünf Jahren die Liebe geführt, gemeinsam mit seiner Verlobten, die er – wie passend – in einem Videospielforum kennengelernt hat. Dass sein Background nicht in der Technik oder gar der IT liegt, sieht er als Vorteil: "Wie soll man ein Spiel machen, das es wert ist, gespielt zu werden, wenn man nicht seinen Kopf zuvor mit interessanten Dingen angefüllt hat? Videospiele sind gerade in einer wahnsinnig interessanten Phase – es ist eine Aufbruchszeit, in der Raum für Experimente ist, ein wenig so, wie zur Zeit Shakespeares in der Literatur", sagt Patton. "In Videospielen bieten sich im Moment unendlich viel mehr interessante Möglichkeiten als in der Literatur. Damit ist auch viel mehr Platz für mich, etwas auszuprobieren."

Erfolgreiche Kickstarter-Kampagne

Mit "Spinnortality" ist dieses Experiment gelungen: Was auf den ersten Blick nach trockener Simulation aussieht, zeigt sich nach kurzer Spielzeit als Sandbox dystopischer Cyberpunk-Ideen. Der Weg zur Veröffentlichung war allerdings lang. "Zuerst habe ich in Wien ab 2013 Business English unterrichtet, um die Miete zu zahlen, und daneben nur zum Spaß viel kleinere Spiele entwickelt. Bis eines Tages diese riesige Stromrechnung kam und ich mir dachte: Hm, um die zu bezahlen, müsste ich in einem Monat ein Spiel entwickeln und verkaufen. Das schaff ich!", erzählt Patton und lacht über seine damalige Naivität. Die Rechnung haben freundlicherweise die Schwiegereltern übernommen, zwei Jahre später, 2017, gab es dann zumindest einen spielbaren Prototyp. Eine Kickstarter-Kampagne brachte beachtliche 13.000 Euro ein, Freunde aus der Wiener Entwicklerszene halfen Patton dabei, beim Austria Wirtschaftsservice um Förderung anzusuchen – die dann auch in der Höhe von 20.000 Euro gewährt wurde.

Auf Crunch-Time verzichtet

Mit dem so lukrierten Kapital konnte sich Patton die letzten zwei Jahre ganz auf die Fertigentwicklung von "Spinnortality" konzentrieren. "Ich habe mir einen strengen Arbeitsplan gemacht, täglich von neun bis fünf", erzählt er. Zum berüchtigten Crunch, den in der Branche üblichen, extrem arbeitsintensiven letzten Wochen der Entwicklung, ließ er es dabei nicht kommen. "Als Einmannstudio hat man gewisse Vorteile. Ich habe niedrige Fixkosten und muss auch nicht Unsummen von investiertem Geld wieder hereinspielen." Umso schöner, dass "Spinnortality" ein kleiner Indie-Erfolg geworden ist: 7.000 Exemplare wurden allein in der ersten Woche auf Steam verkauft, so viele, wie Patton sich für das erste Jahr erhofft hatte. Das Weitermachen als Indie-Entwickler ist damit für die nächsten paar Jahre gesichert.

James Patton

"Habe immer einen Plan B"

Wie erklärt sich James Patton diesen auch für ihn überraschenden Erfolg? "Hexerei", grinst der Brite und zeigt auf seinen Pentagramm-Anhänger. "Im Ernst: Ich hatte 800 Kickstarter-Unterstützer, die beim Launch für mich die Trommel gerührt haben, und es war mein Glück, dass Alexis Kennedy, Gründer des erfolgreichen britischen Indie-Studios Failbetter, mich unterstützt und das Spiel auf Twitter erwähnt hat." Apropos Unterstützung: Auch für die Wiener Entwicklerszene hat Patton nur lobende Worte: "Es ist wirklich wie eine Familie. Jeder macht sein Ding, aber man hilft sich gegenseitig und wünscht den anderen den Erfolg." Und der ist in Zeiten des Spiele-Überflusses heute ungewisser als je zuvor: "Mein zweitwichtigster Tipp für Entwickler wäre: Mach ein spannendes Spiel, das etwas Interessantes kann", sagt Patton. "Mein wichtigster Tipp allerdings wäre: Hab immer einen Plan B, wenn es danebengeht." (Rainer Sigl, 23.2.2019)