Herr Pesendorfer legte sein Amt politisch an. Ist die Argumentation da kohärent?

Illustration: Felix Grütsch

Sieglinde Rosenberger hat zuletzt im STANDARD ihren Albtraum entfaltet: Die Regierung zentralisiere unsere Republik und statte sie personell rechts und rechtsextrem aus. Was sie als politische Mitte bezeichnet, also ihre Grundwerte, bliebe auf der Strecke, die Mitte ginge verloren und damit die Machtbalance im Lande ("Von der politischen Mitte zum rechten Rand"). Auf dem Weg in einen totalitären Staat – das sagt sie nicht, aber es klingt durch.

Törichte Äußerungen

Frau Rosenberger stellt die Schwächung der Sozialpartnerschaft in den Mittelpunkt, aus der sie auch ein Staatsprinzip des Proporzes bei Personalentscheidungen ableitet. Auf den Rechtsruck ins Extreme schließt sie aus Personalbesetzungen und törichten vereinzelten Äußerungen mancher freiheitlicher Politiker, die allesamt entweder missverstanden wurden oder ohne Folgen blieben.

Ein kleiner Faktencheck ist erhellend. Ja, es stimmt, im Gebälk der Sozialpartnerschaft hat es gekracht. Die Regierung Kurz/Strache hat einfach eine neue, flexiblere Arbeitszeitregelung beschlossen, ohne Sozialpartner-Einigung. Damit war Feuer am Dach des ÖGB: Alle Kräfte wurden in Bewegung gesetzt, es wurde demonstriert und ein heißer Herbst angedroht. Eine Analyse mit kühlem Kopf zeigte aber Bemerkenswertes: Schon die vorhergehende Regierung Kern-Mitterlehner hatte die Sozialpartner beauftragt, ein Paket zu schnüren: für die Erhöhung des Mindestlohns und die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Bis Sommer 2017 sollte eine Einigung vorliegen, sonst würde die Regierung eine Regelung ohne die Sozialpartner beschließen.

In dem von Christian Kern vorgelegten "Plan A" im Winter 2017 waren unter bestimmten Voraussetzungen eine tägliche Arbeitszeit von zwölf Stunden und eine Wochenarbeitszeit von 60 Stunden vorgeschlagen. Beim Mindestlohn gab es eine Einigung, bei der Arbeitszeit scheiterten Christoph Leitl (WKÖ) und Erich Foglar (ÖGB) am Einspruch gewerkschaftlicher Scharfmacher. Der Mindestlohn wurde dennoch beschlossen. Die Sozialpartnerschaft erhielt einen Dämpfer, Leitl und Foglar zogen sich zurück.

Schöner Herbst

Die neue Mehrheit im Nationalrat beschloss im Jahre 2018 ziemlich genau das, was Kern vorgeschlagen hatte. Der Herbst ist vorüber, es war ein schöner Herbst. Die Sozialpartnerschaft hat in einer Reihe von Kollektivvertragsabschlüssen gezeigt, dass ihre Zusammenarbeit nach wie vor funktioniert. Die neuen Präsidenten Wolfgang Katzian und Harald Mahrer raufen sich zusammen. Von einer institutionellen Schwächung der Sozialpartnerschaft kann nicht die Rede sein.

Wie steht es nun mit dem Proporz? Ob der Proporz wirklich so positiv und konstitutiv für die Republik ist, bezweifle ich. Ich halte es für eine Offenbarung, wenn Rosenberger darauf solchen Wert legt: Sie zeigt, worauf es ihr ankommt – auf Posten, auf Ämterpatronage. Die eigenen Leute in der staatlichen Verwaltung und in der staatsnahen Wirtschaft "unterbringen"! Gerade dieser Proporz war es, der den Zorn der Österreicherinnen und Österreicher beflügelte, denn viele schlechte Personalentscheidungen bestätigten, dass es dabei um "Freunderlwirtschaft" geht. Nun sind Personalentscheidungen wichtig. Konsens in der Republik ist, dass diese Entscheidungen in einem gesetzlich vorgesehenen Verfahren transparent ablaufen müssen und dass Parteizugehörigkeit weder ein positiver noch ein negativer Entscheidungsgrund sein darf. Die Beste / der Beste soll den Job bekommen.

Auch hier ein Beispiel aus der derzeitigen Diskussion. Es geht um die Statistik Austria. Der derzeitige Direktor war vor seiner Ernennung Wirtschaftsberater im Kabinett des Bundeskanzlers Werner Faymann. Ein hervorragend ausgebildeter Nationalökonom, kein Statistiker. Seine Berufung auf diesen wichtigen Posten war eine politische Ernennung. Sie wurde auch als solche in der öffentlichen Meinung verstanden und gegeißelt.

Politischer Pesendorfer

Konrad Pesendorfer legte sein Amt neu und politisch an. In der Wikipedia heißt es dazu: "Während sein Vorgänger Peter Hackl in der Statistik Austria nur selten öffentlich auftrat, bemüht sich Pesendorfer, möglichst vielen Menschen Daten und Fakten näherzubringen und ihnen deren gesellschaftspolitische Relevanz zu verdeutlichen (...). Er liefert nicht nur bloße Zahlen, sondern auch Argumentationshilfe für brisante Debatten. Er sieht sich selbst in der Tradition des Nationalökonomen Otto Neurath, der die Wiener Methode der Bildstatistik begründet hatte. Neurath galt als politischer Wissenschaftler, der ab 1918 die Errungenschaften des Roten Wiens mit statistischen Methoden propagierte."

Der Vertrag Pesendorfers läuft demnächst ab und wird neu ausgeschrieben. Pesendorfer möchte weiter politisch tätig sein. Bevor die Regierung irgendein Faktum setzte, wurde ihr von ihm schon unterstellt, die Statistik Austria personell und inhaltlich an die Kandare der Regierung legen zu wollen. Pikant: Selbst als politische Ernennung ins Amt gehievt, politisch agierend, wird ebensolches Vorgehen der Regierung zugesonnen. Man schaut eben nur hinter einen Busch, hinter dem man sich selber verstecken würde ...

Die Wähler richten

Zwei Beispiele, welche die Brüchigkeit der Argumentation von Rosenberger verdeutlichen. Worum es ihr wirklich geht, ist ihre Mitte, also die Anerkennung der Durchsetzung ihrer Werte. In der Demokratie ist allerdings das Volk, sind die Wähler die Werturteilsrichter. Sie bestimmen, wohin die Reise gehen soll, welche Grundwerte sie für die Politik wünschen. Hier hat sich in der Tat ein wirklicher Wandel gezeigt, nachgerade ein Traditionsbruch, eine Werte-Wende.

Paul Eiselsberg weist dies in seinem neuesten Buch ("Status Österreich", Edition A, 2019) nach, Herwig Hösele hat es in seinem Kommentar im STANDARD hervorgehoben. Die bürgerlichen Kräfte und ihre Werte erstarken wieder: Vertrauen in die Politik, Vertrauen in die Politiker, Begeisterung für die europäische Einigung, Anerkennung der Leistung für sich selbst und die Gesellschaft, ein zielgerichtetes und gerechtes Sozialsystem, Abbau des egalitären Hochsteuerstaats, umfassende Bearbeitung von Einwanderung und Integration!

Wenn man den insgesamt sehr anklagend-dramatisierenden Kommentar gelesen hat, muss man dem Urteil von Herwig Hösele zustimmen, der meinte, der Alarmismus von links würde immer dann ausgepackt, "wenn die SPÖ nicht den Bundeskanzler stellt und die ÖVP sich nicht ,brav' mit der zweiten Geige in der Regierung abfindet".

Mir kommt auch Rudolf Burger in den Sinn, der am 9. Jänner 2018 in der "Presse" meinte: "Der Faschismus bricht in Österreich dann aus, wenn die SPÖ nicht in der Regierung sitzt."(Andreas Khol, 23.2.2019)