Der rumänische Außenminister spricht sich vehement gegen die Ziehung neuer, ethnisch definierter Grenzen in Europa aus.

Foto: Daniel MIHAILESCU / AFP

STANDARD: Griechenland und Mazedonien haben ein Namensabkommen umgesetzt. Werden Nordmazedonien und Albanien nun im Juni die EU-Beitrittsverhandlungen beginnen können?

Meleșcanu: Wir schätzen die Bemühungen der bulgarischen Präsidentschaft, die EU auf dem westlichen Balkan zu erweitern. Wir werden das fortsetzen. Für uns sind drei Punkte wichtig: Erstens soll die Eröffnung neuer Verhandlungskapitel in Serbien und Montenegro beschleunigt werden. Zweitens soll nach der historischen Unterzeichnung des Prespa-Abkommens die EU-Kommission zu positiven Schlussfolgerungen kommen, wenn es darum geht, die Verhandlungen in Nordmazedonien und in Albanien zu beginnen. Wir versuchen das so schnell wie möglich zu organisieren, um direkte Resultate zu bekommen. Drittens aber hoffen wir, dass Bosnien-Herzegowina in der Lage sein wird, seine internen Probleme zu lösen. Wir glauben, dass die EU auch Bosnien-Herzegowina eine ganz klare Perspektive geben sollte.

STANDARD: Das Problem ist nicht die EU-Kommission, sondern Frankreichs Widerstand dagegen, die EU-Verhandlungen zu beginnen. Welche Botschaft würde man auf den Balkan senden, wenn Nordmazedonien nicht mit den Verhandlungen beginnen kann?

Meleșcanu: Das hätte sehr negative Folgen. Der Beginn von Verhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien ist wichtig, weil es eine positive Botschaft senden würde. Während unserer Präsidentschaft wird das Vereinigte Königreich die EU verlassen. Wenn wir aber die Verhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien beginnen, wird das in gewisser Weise ausgleichend wirken, weil es bedeutet, dass es viele Staaten gibt, die der EU beitreten wollen, und dass die EU ein tragfähiges Projekt ist, das weitergehen sollte.

STANDARD: Kann es sein, dass nur Nordmazedonien die EU-Verhandlungen beginnen wird können?

Meleșcanu: Wir werden sehen, was die anderen Mitgliedsstaaten meinen.

STANDARD: Frankreich etwa. Sprechen Sie mit Vertretern Frankreichs darüber?

Meleșcanu: Das werden wir tun.

STANDARD: Mehrere EU-Politiker denken, dass es zu einem harten Brexit kommen wird. Was würde das für die EU bedeuten und für die etwa 400.000 Rumänen, die im Vereinigten Königreich leben und dann ihre Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen verlieren würden?

Meleșcanu: Wir unterstützen nach wie vor den Austrittsvertrag, der ausverhandelt wurde. Das Wichtigste ist nun zu sehen, was die Briten eigentlich wollen. Die müssen jetzt mit konkreten Vorschlägen kommen. Wir können sehen, ob wir diese Vorschläge dann anpassen können. Rumänien als das Land, das die EU-Präsidentschaft innehat, steht allen anderen Staaten zur Verfügung, um Diskussionen zu organisieren. Aber es ist ein bisschen schwierig, denn der Austrittsvertrag wurde vergangenen Dezember vom EU-Rat akzeptiert. Das kann Probleme schaffen. Uns geht es um die Bedingungen für die Rumänen im Vereinigten Königreich, und umgekehrt bieten wir den Briten in Rumänien dieselbe Behandlungsweise wie vor dem Brexit an.

STANDARD: Bis wann müssen die Briten nun Vorschläge machen?

Meleșcanu: Einen Monat, etwa einen Monat (das Interview wurde vor zwei Wochen geführt, Anm.). Ich glaube nicht, dass wir den Zeitraum dafür noch weiter verlängern können. Danach würde das große Probleme bereiten unter anderem für die EU-Wahl. Denn die Frage ist, ob die Briten dann noch daran teilnehmen oder nicht. Wir müssen von den Briten die rote Linie bekommen und das dann diskutieren und sehen, ob wir das akzeptieren können.

STANDARD: Welche Rolle kann Rumänien dabei spielen?

Meleșcanu: Wir können Treffen einberufen und klären, was die Mitgliedsstaaten denken.

STANDARD: Was wäre das Schlimmste, was den Rumänen, die im Vereinigten Königreich leben, passieren könnte?

Meleșcanu: Wenn ihre Dokumente in Ordnung sind, sollten sie gleich behandelt werden wie zuvor. Unter ihnen sind auch 10.000 Ärzte und Krankenschwestern. Nach dem Austritt Großbritanniens gibt es keine Personenfreizügigkeit für EU-Bürger mehr. Wir wollen aber, dass Großbritannien möglichst nahe an der EU bleibt, das ist für Rumänien wichtig. Denn es geht nicht nur um die Rumänen im Vereinigten Königreich, sondern auch um die Beteiligung am europäischen Sicherheits- und Verteidigungssystem und um die Außenbeziehungen Europas. Deswegen werden wir sehr darum kämpfen. Wir haben seit 2003 eine strategische Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich, und diese wollen wir weiter ausdehnen. Das ist unsere letzte Möglichkeit, Beziehungen auf bilateraler Ebene zu haben.

STANDARD: Beim EU-Gipfel in Sibiu im Mai wird nicht nur der Brexit eine Rolle spielen, sondern auch die schlechte ökonomische Situation in der EU: Italien ist in der Rezession, Deutschland wächst schwächer, und es wird mehr Verteilungskonflikte geben. Was kann die restliche EU in dieser Situation zusammenhalten?

Meleșcanu: Wenn wir uns auf den Zusammenhalt konzentrieren, können wir nach vorne gehen. Wir sollten uns auf zwei Politikbereiche konzentrieren, die sehr hilfreich waren: die Kohäsionsfonds und die gemeinsame Landwirtschaftspolitik. Wir sollten auch das Budget für die Sicherheitspolitik erhöhen, weil wir mehr europäische Sicherheitspolitik brauchen, und auch das Thema Migration behandeln. Während unserer Ratspräsidentschaft wollen wir Prioritäten herausfiltern, und das Budget wird dann unter der neuen Kommission beschlossen werden.

STANDARD: Für Rumänien ist es noch immer eine Priorität, Schengen beitreten zu können. Von den EU-Staaten gibt es aber nach wie vor kein grünes Licht.

Meleșcanu: Technisch erfüllen wir alle Voraussetzungen. Aber die Entscheidung ist eine politische. Wir versuchen zu unterstreichen, dass es ökonomisch sinnvoll ist, weil dann Vertreter europäischer Firmen gerne schnell über die Grenzen kommen. Zweitens aber kann Rumänien besser dazu beitragen, die illegale Migration zu stoppen. Es geht darum, ein neues System für die Dublin-Regelung zu finden, um Migranten in das erste EU-Eintrittsland zurückzuschicken. Unsere Grenzen sind sehr gut geschützt.

STANDARD: Die EU unterstützt einen Gebietsaustausch nach ethnischen Kriterien zwischen dem Kosovo und Serbien. Rumänien hat den Kosovo nicht anerkannt. Würde sich diese Position ändern, wenn es zu einem Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo kommt?

Meleșcanu: Ein Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo ist entscheidend. Was aber den Gebietstausch betrifft, haben wir große Vorbehalte. Denn die EU konzentriert sich darauf, dass man mit einem solchen Gebietstausch Probleme lösen könnte, aber es wird viel mehr Probleme und auch ganz andere Probleme schaffen, wenn wir das tun. Es ist sehr gefährlich, wenn wir versuchen, Grenzen entlang ethnischer Prinzipien gestalten. Es gibt viel bessere Lösungen, etwa lokale Autonomie. Wir sind also nicht für so einen Gebietstausch, im Gegenteil, die beiden Streitparteien sollten sich auf andere Lösungen konzentrieren.

STANDARD: Rumänien hat also noch weniger Grund, den Kosovo anzuerkennen, wenn Serbien und der Kosovo solche ethnisch definierten Grenzen ziehen?

Meleșcanu: Wenn der Gebietstausch in einem Abkommen inkludiert sein sollte, haben wir große Vorbehalte.

STANDARD: Ursprünglich war geplant, dass bis Ende März so ein Abkommen zustande kommen sollte. Ist das noch realistisch?

Meleșcanu: Der Abschluss eines Abkommens ist ein wichtiges Element, damit Serbien der EU beitreten kann und damit der Kosovo eine Anerkennung bekommt und mit den Verhandlungen in der Zukunft beginnen kann. Das Wichtigste ist eine gewisse Entwicklung in den Beziehungen. In Belgrad gibt es Demonstrationen dagegen, und der Kosovo hat zwei sehr unglückliche Maßnahmen ergriffen, nämlich 100-Prozent-Zölle eingeführt und beschlossen, die Sicherheitskräfte in eine Armee überzuführen. In diesem Moment denke ich, dass die Dinge nicht gut laufen. Deshalb braucht es einen politischen Willen in beiden Ländern, sich hinzusetzen und gemeinsam Lösungen zu finden. Denn die jetzige Atmosphäre ist Lösungen nicht zuträglich. Deshalb denke ich nicht, dass man das unter diesen Bedingungen so schnell lösen kann.

STANDARD: Ungarische Irredentisten akzeptieren auch die rumänischen Staatsgrenzen nicht, weil in Rumänien auch Ungarn leben. Würden solche völkischen Nationalisten einen Auftrieb in Europa bekommen, wenn es nun doch ethnisch definierte Grenzen auf dem Balkan geben sollte?

Meleșcanu: Ja, das hätte einen negativen Einfluss. Und ich verstehe ehrlich gestanden diese Ideen nicht. Denn zwischen den EU-Mitgliedsstaaten gibt es volle Güter-, Dienstleistungs- und Personenfreizügigkeit. Deshalb unterstützen wir die Dezentralisierung unserer Verwaltung, und in dieser Hinsicht gibt es viel bessere Lösungen, als Grenzen neu zu zeichnen. Denn das würde mehr Probleme schaffen, als es löst.

STANDARD: Die USA unter Donald Trump engagieren sich weniger auf dem Balkan. Was hat das für Auswirkungen?

Meleșcanu: Solange die USA andere Prioritäten haben, wie Nordkorea, den Nahen Osten oder den Iran, ist das eine einmalige Gelegenheit für die EU, sich auf dem Westbalkan mehr zu involvieren und die Demokratisierung zu unterstützen. Sie könnte auch in der Subsahara eine größere Rolle spielen. Die EU hat diese Chancen, und wir müssen sie nutzen, um zu zeigen, dass wir nicht nur eine ökonomische Union sind, sondern auch ein globaler Akteur.

STANDARD: Aber wird diese Chance erkannt?

Meleșcanu: Für unsere EU-Ratspräsidentschaft ist das eine Priorität. Wir brauchen eine bessere Kooperation mit den Vereinten Nationen, um die Entwicklung anderer Staaten zu fördern. Denn die EU ist international auf Platz eins, wenn es um Beiträge zur Entwicklungshilfe geht. Wir zahlen mehr als Kanada, die USA oder sonst irgendwer auf dieser Welt. Es geht nicht nur um Sicherheit, sondern um nachhaltige Entwicklung und Gerechtigkeit.

STANDARD: Sehen Sie wachsende Spannungen zwischen der EU und Russland, weil sich die Nato erweitert? Mazedonien tritt jetzt bald bei.

Meleșcanu: Da geht es einerseits um Sicherheitsfragen und andererseits um die Sanktionen der EU gegenüber Russland. Deshalb sind wir damit beschäftigt, wie wir den Dialog mit Russland machen können und in Zukunft wird es vielleicht Diskussionen um die Sanktionen geben. Zur Zeit ist das, das einzige Instrument, das wir in den Beziehungen zu Russland verwenden können. Aber die Nato-Erweiterung bietet Sicherheit und Wohlstand für die Staaten auf dem Balkan. Die Beziehungen zwischen Russland und Serbien werden aber bleiben. (Adelheid Wölfl aus Bukarest, 25.2.2019)