Ihm werden noch immer neue Denkmäler errichtet: Stalin (Wladimir Koschewoj) und sein Double.

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Dreißig Jahre nach kritischen Enthüllungen zum Stalinismus in der späten Perestroika-Zeit wächst in Putins Russland erneut das Interesse an Josef Stalin, den laut Umfragen die russische Bevölkerung seit März 2014 wieder als eher positive Figur sieht. Nach langer Pause kehrt Stalin nun aber auch ins russische Theater zurück. In Konstantin Bogomolows Neuinszenierung des 1936 uraufgeführten Stücks Ruhm im Petersburger BDT vergangenes Jahr spielte er eine Nebenrolle, und bereits 2017 hatte Andrej Stadnikow in Heimat im Moskauer Meyerhold-Zentrum eine Stalin-Rede ausführlich rezitieren lassen. In beiden Produktionen provozierten die Regisseure und spielten mit den Emotionen des Publikums, das jeweils zum Stalinismus Position beziehen musste.

Bei Waleri Fokin ist dies nun anders. Der prominente Theater direktor widmet dem sowjetischen Diktator eine sehr konventionelle Inszenierung, die am Freitag in Fokins Alexandrinski-Theater in St. Petersburg Premiere feierte. Die Rede ist vom renommierten ältesten Staatstheater Russlands, das derzeit seine 263. Spielzeit begeht.

Minenfeld der Geschichte

Geschichte sei in die Vergangenheit projizierte Politik, erklärte der sowjetische Historiker Michail Pokrowski, und sie bleibt in Russland ein Minenfeld. Gerade Fokin versteht dies ausgezeichnet: Der 1946 geborene Theaterregisseur, der Mitte der 1980er-Jahre am Moskauer Jermolowa-Theater für Furore sorgte und seit damals als herausragender Vertreter des offiziösen Theaterbetriebs gilt, kennt die Spielregeln in seiner Heimat. Wiederholt brachte er seine Unterstützung für Präsident Wladimir Putin zum Ausdruck.

Auch in Stalins Geburt geht Fokin auf Nummer sicher. In der szenischen Komposition, die unter anderem Fragmente von Fjodor Dostojewskis Die Dämonen (1872) und Michail Bulgakows Stalin-Stück Batum (1939) beinhaltet, spart er die in Russland weiterhin umstrittenen "Errungenschaften" des späten Stalin weitgehend aus. Indessen konzentriert er sich auf die unproblematischere Frage, wie aus dem Georgier Josef "Sosso" Dschugaschwili, gespielt vom eher unscheinbaren TV-Seriendarsteller Wladimir Koschewoj, der "Stählerne" werden konnte. Der alte Tyrann selbst betritt erst kurz vor dem Ende des Stücks die Bühne: Im Sterben lässt er seine Jugend noch einmal Revue passieren, trifft auf sein junges Alter Ego und beobachtet, wie sich ein überdimensionales Stalin-Denkmal ein scheinbar letztes Mal aufrichtet, um gleich wieder unter der Bühne zu verschwinden.

Rücksichtsloser Jüngling

In erster Linie erzählt der Regisseur, der keine Sympathien für seinen Hauptprotagonisten zeigt, aber die Geschichte eines russischen Baader-Meinhof-Komplexes: Sosso erweist sich von Anfang an, auch während seines Studiums am orthodoxen Priesterseminar, als völlig rücksichtslos. Während er dabei auch das Leben seiner Genossen nicht verschont, zieht er es vor, selbst im Hintergrund die Fäden zu ziehen. Um Geld für die Revolutionskassen zu beschaffen, konzipiert er etwa einen spektakulären Bombenanschlag auf einen Geldtransport in Tiflis, der 1907 nicht nur zahlreiche Tote forderte, sondern damals auch weltweit Schlagzeilen schrieb.

In einer Traumsequenz mit stumm tanzenden Mitstreitern im Hintergrund, einem der wenigen starken Momente des Stücks, begründet Sosso dabei die Gewaltanwendung mit religiösen Motiven. Fokin verweist hier sichtlich auf die zuletzt auch von Putin übernommene These des Religionsphilosophen Nikolaj Berdjajew (1874–1948), der den Kommunismus in Russland als Fortsetzung russischer Religiosität interpretierte.

Gefährliche Parallelen

Während sich Fokins Inszenierung insgesamt als unspektakulär erweist und lediglich einige Gags für Auflockerung sorgen, darunter in georgischer Sprache brüllende Zeitungsjungen oder als Terroristen verkleidete Bühnenarbeiter, unterstreicht er freilich seinen Status als offiziöser Altmeister gerade auf der so heiklen inhaltlichen Ebene.

Denn obwohl der junge Stalin wiederholt der Zusammenarbeit mit der zaristischen Geheimpolizei Ochrana verdächtigt wurde, die gerade im revolutionären Milieu über Lockspitzel verfügte, blendet der Regisseur diesen Aspekt praktisch völlig aus.

Derartiges würde automatisch auf den nunmehrigen Geheimdienst FSB bezogen werden, der damit keine Freude hätte: Als eine Journalistin im westrussischen Pskow den kürzlichen Selbstmordanschlag eines linksradikalen Studenten auf eine FSB-Filiale mit den Aktivitäten revolutionärer Aktivisten des späten 19. Jahrhunderts verglich und von einer Mitverantwortung des Staates sprach, wurde Anfang Februar gegen sie prompt ein Strafverfahren wegen "Rechtfertigung von Terrorismus" eingeleitet. (Herwig G. Höller, 25.2.2019)