Kurt Bauer hat seine Geschichte in einem Buch verarbeitet.

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Wien – Wenn Papst Franziskus am Sonntag vom Gott spricht, der durch Missbrauch in der Kirche verraten wurde, dann ist das für Kurt Bauer "keine geglückte Aussage". Für den 72-jährigen Salzburger müssten alle Missbrauchsfälle, die in der katholischen Kirche passieren, dem Staatsanwalt gemeldet werden. "Kindesmissbrauch ist ein Verbrechen. Punkt", sagt Bauer im STANDARD-Gespräch. Um diese Verbrechen müsste sich die staatliche Justiz kümmern, und sie dürfen nicht kirchenintern verfolgt werden.

Bauer wurde selbst Opfer. In den Jahren 1959 bis 1961 wurde er im Bubeninternat der Franziskaner im oberösterreichischen Steyr von einem Pater schwer körperlich misshandelt, von einem zweiten Priester sexuell missbraucht. Lange wusste er nicht, dass das, was ihm als Kind angetan wurde, ein Verbrechen war. Durch Therapien und "den richtigen Menschen" an seiner Seite überlebte Bauer allerdings – trotz Suizidgedanken. Im vergangenen Jahr verarbeitete er seine Geschichte im Buch Tatort Kirche: Den Qualen entronnen, das im Verlag Tredition erschienen ist.

"Ich war quasi Freiwild."

Als 2010 Kardinal Christoph Schönborn Missbrauchsopfer aufrief, sich bei der eingerichteten Opferschutzkommission zu melden, kamen in Bauer die Erinnerungen an Steyr wieder hoch. Er meldete sich zu einem sogenannten Clearing, um Anspruch auf Therapiestunden und Entschädigungszahlungen zu erhalten. Während der zehn Therapiestunden sprach er über sich selbst als ein "verhaltensauffälliges Kind", das mit elf Jahren von der Mutter ins Bubeninternat geschickt wurde. Seine Noten waren schlecht, seine Eltern wussten nicht, was sie mit ihm anfangen sollten. "Ich war sehr einsam", erzählt Bauer nun: "Ich war quasi Freiwild."

Der Missbrauch hat sich eingeschlichen. Pater Ägidius – wie er den Priester in seinem Buch nennt – stellte ein Naheverhältnis zu dem Buben her, machte ihn zu etwas Besonderem, indem er ihn in der katholischen Lehre ausbildete und ministrieren ließ. Und er missbrauchte ihn sexuell. "Ich bin dem Pater in allem gefolgt, seinem Diktat sehr lange unterlegen", erinnert sich Bauer.

Kinder sensibilisieren

Als in den Clearingstunden die Bilder des sexuellen Missbrauchs wieder hochkommen, erbricht er sich. Auch sein Körper reagiert auf die Erinnerungen. Doch dann setzte die Heilung ein, wie Bauer erzählt. Der heute 72-jährige ehemalige Religionslehrer und Lebensberater will nun seine Geschichte nutzen, um zu informieren und auch Eltern zu erzählen, wie sich Missbrauch einschleicht und wie man ihn erkennt. "Wichtig ist, den Taten Öffentlichkeit zu geben", sagt Bauer. Wenn es etwa zu komischen Berührungen des Kindes durch den Onkel kommt, dann sollte man den Onkel offen darauf ansprechen: "Ohne Wertigkeit aber mit Nachdruck." Oft würde das reichen, um den Täter zu stoppen.

Außerdem ist es für Bauer wichtig, dass Kinder sensibilisiert werden, um Missbrauch zu erkennen. Ebenso sollte darauf ein Hauptaugenmerk in der Priesterausbildung gelegt werden.

Die prinzipiell scharfen Worte des Papstes zum Missbrauch in der Kirche begrüßt der 72-Jährige. Es sei gut, dass es zum Thema gemacht werde. Doch egal, welche Richtlinien der Papst vorgebe, stünden ihm unzählige Geistliche gegenüber, die Täter decken würden. "Ob sich etwas ändert, kann nur die Zeit weisen", sagt Bauer. (Bianca Blei, 24.2.2019)