Sind die Zeiten, in denen alle Mitarbeiter hinter dem Betrieb stehen, vorbei? Regine Dura und Hans-Werner Kroesinger spüren dem Mythos Voest im Linzer Landestheater nach

Foto: Norbert Artner

Das Regieduo Regine Dura und Hans-Werner Kroesinger wird gerne für heikle Themen nach Linz geholt. Vor zwei Jahren haben sie sich den Swap-Skandal der Stadt Linz vorgenommen. Durchleuchtete dieses Stück das undurchschaubare Spekulationsgeschäft der Stadt und seine Folgen, arbeitet ihr neues Werk am Linzer Landestheater die Geschichte eines der größten Unternehmen des Landes auf, den Mythos Voest. Was daran heikel ist?

Erstmal relativ wenig. Dura und Kroesinger sind in ihrer Recherche zu gründlich, um den Stoff zu einem Skandal zu schnitzen. Wenn es um die Gründung der Hermann-Göring-Werke geht, werden historische Dokumente zitiert. Wie in einer PR-Veranstaltung werden die Zuschauer durchs Betriebsgelände geführt. Aus dem aalglatten Marketingsprech saugen die fünf Schauspieler eine lebhafte Essenz heraus. Auch Erinnerungen (ehemaliger) Voest-Arbeiter werden vorgelesen. Die Erzählungen vom morgendlichen Schichtbus, in dem schon vor dem Frühstück Bier verkauft wird, macht die Dichte an Material lebendig. Man glaubt zu verstehen, woher der Mythos Voest eigentlich kommt.

Stolz, ein Voestler zu sein

Die Voest war nicht nur zentraler Protagonist im Wiederaufbau und bis zur Noricum-Affäre in den 1980er-Jahren der erfolgreiche Staatsbetrieb par excellence. Glaubt man der Unternehmenskultur, dann steht trotz harter Arbeitsbedingungen "der Mensch im Mittelpunkt". Der Kosmos Voest: Ein Betrieb, für den man nicht nur arbeitet, sondern auch im Sportverein spielt und im Fabriksgeschäft billiger einkaufen kann.

Der Stolz, ein Voestler zu sein, bröckelte erst mit der Pleite des Unternehmens. Der Mythos schlägt um und wird zur Erzählung über Neid und rote Betriebsräte, die vom schwarzen Mercedes abgeholt werden.

Grauer Stahl, graue Menschen

Die Stahlfabrik modernisiert sich und wird auf der Bühne zum Fernsehstudio. Der Vorstandsvorsitzende Wolfgang Eder (Sebastian Hufschmidt) verteidigt vor transparenten Spiegeln die Privatisierung. Seine Hornbrille sorgt allerdings für zu billige Lacher.

Still und heimlich färbt der graue Stahl auf die Personen ab, wenn die "smart factory" im Zeitalter von Industrie 4.0 gepriesen wird und gleichzeitig Leute entlassen werden. Da berührt das Dokumentarische und fragt, was vom alten Voest-Geist eigentlich noch übrig ist.

Nicht der erhobene Zeigefinger schwebt bei Dura und Kroesinger über der Bühne. Mythos Voest ist ein vielstimmiges Mosaik, das überzeugt. Das Dokumentartheater wird zum vielleicht modernsten (Betriebs-)Museum der Welt. Da ist Geschichte nicht in Ausstellungskästen zementiert, sondern wird ständig neu- und umgeschrieben. (Laurin Lorenz, 26.02.2019)