Am Brenner haben die Lkw bei jeder Witterung Hochkonjunktur.

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Vor 25 Jahren machte sich die Schweiz auf den Weg in eine neue Verkehrspolitik. Mit dem überraschenden Ja zur Alpen-Initiative wurde beschlossen, den Gütertransit von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Heute steht die Schweiz besser da als die Nachbarländer.

"Die Weichen sind umgestellt", titelte die Neue Luzerner Zeitung im Februar 1994 und kommentierte: "Das Schweizervolk wünscht sich ein Umdenken und konkretes Handeln in Sachen Verkehrspolitik. Das Alpengebiet muss vor der Transitlawine geschützt werden." Mit 52 Prozent hatte das Schweizer Volk gegen den Willen von Regierung und Parlament dem Alpenschutz zum Durchbruch verholfen. Im Alpenkanton Uri stimmten gar 87 Prozent für die Initiative.

EU-Binnenmarkt als Treiber

Kein Wunder. Mit der Eröffnung des Gotthard-Straßentunnels 1980 war es vorbei mit der Ruhe in Uri und im Tessin: Schon im ersten Jahr nutzten 170.000 Lastwagen die kürzeste Verbindung zwischen Italien und Westdeutschland (und Beneluxländern); später waren es bis zu 1,4 Millionen Lkws pro Jahr, die die Dörfer entlang der Autobahn mit Lärm und Abgasen belasteten. Wichtiger Treiber dieser Entwicklung: der EU-Binnenmarkt.

"Wie kann man nur auf die Idee kommen, Schweizer Rahm nach Belgien und Italien zu fahren, um ihn dort als Schlagrahm in Dosen abzufüllen und wieder hierherzukarren?", argumentierte Alf Arnold damals, einer der Aktivisten hinter der Alpen-Initiative. Stattdessen sah die Alpen-Initiative vor, unnötige Transporte zu vermeiden und den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern.

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Am St. Gotthard ist der Lkw-Transit deutlich geringer als am Brenner.
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Ziel nicht ganz erreicht

Dies gelang freilich nur zum Teil; das Verlagerungsziel von maximal 650.000 Fahrten pro Jahr wurde nicht erreicht, doch heute benützen wieder deutlich weniger als eine Million Lastwagen jährlich die Gotthard-Route, und die Zahl sinkt weiter. Möglich machte dies eine Schwerverkehrsabgabe, die die Schweizer gegen den Widerstand der EU durchsetzten, sowie der Bau der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale mit Tunnels durch Lötschberg und Gotthard. Heute hat die Schiene einen Marktanteil von rund 70 Prozent im alpenquerenden Güterverkehr in der Schweiz. Das ist deutlich mehr als in Österreich oder zwischen Frankreich und Italien.

Da dem EU-Mitglied Österreich die Festsetzung einer prohibitiv hohen Straßenbenutzungsabgabe verwehrt ist, erfolgte die Verlagerung geografisch, also weg von der Schweiz. Das spüren insbesondere die Tiroler entlang der Inntal- und Brennerautobahn (A12, A13), unter Inkaufnahme längerer Wegstrecken geht die Verdrängung zulasten Österreichs weiter.

Magnet für Transit

Mit 2,006 Millionen Transitfahrten über den Brenner verzeichnete Österreich 2017 mit Abstand die meisten Transitfahrten im gesamten Alpenbogen von Ventimiglia an der italienisch-französischen Grenze bis zu Semmering und Wechsel in Niederösterreich und Steiermark.

2016 wurden im alpenquerenden Straßengüterverkehr (alle drei Staaten) insgesamt 10,438 Millionen Lkw-Fahrten gezählt. Davon gingen 6,68 Millionen oder 64 Prozent über österreichische Alpenübergänge wie Brenner, Schoberpass, Tauern und Wechsel. Die Schweiz hingegen ist mit 975.000 Fahrten, verteilt auf Gotthard (700.700), San Bernardino (148.000) und Simplon (89.000), abgeschlagen. Frankreich weist 2,78 Millionen Fahrten aus, die zur Hälfte über Mont Blanc und Mont Fréjus (574.000 bzw. 703.900) sowie Ventimiglia (1,45 Mio.) gefahren werden.

Auch gemessen am Frachtaufkommen sind die Verlagerungseffekte hin zur Schiene überschaubar, die Bahn rangiert im Wesentlichen auf dem Niveau von vor zehn Jahren. Insgesamt wurden 2016 im Straßengüterverkehr über die Alpen rund 139 Millionen Tonnen Waren und Güter befördert – mit der Bahn waren es 70,7 Millionen, also halb so viel. Von diesen 70 brachte Österreich 38,7 Millionen Tonnen auf die Waage, also mehr als die Hälfte, gefolgt von der Schweiz mit knapp 29 Millionen Tonnen (von denen wiederum die Hälfte auf der Gotthard-Achse transportiert werden). Eine vernachlässigbare Größe ist die Grande Nation im Schienentransitverkehr: Während auf der Straße knapp 40 Millionen Tonnen Güter über die französischen Alpen gekarrt wurden, waren es auf der Schiene nicht einmal vier.

Relativer Anstieg

Von der Hochkonjunktur profitiert hat, das zeigt die Statistik des Verkehrsministeriums in Wien, hauptsächlich der Straßengüterverkehr: In Lkw wurden allein auf der Brennerachse 36,3 Millionen Tonnen transportiert – das ist mehr als 2007 (35 Mio. Tonnen). Die deutliche Delle aus Wirtschaftskrisenzeiten wurde also mehr als egalisiert, während der Bahnverkehr nach Italien Potenzial hat: Das Frachtaufkommen auf der Brennerbahn stieg von 13,3 auf 14,7 Millionen Tonnen, jenes über Tarvis wird gar nicht mehr ausgewiesen.

Der relative Erfolg der Eidgenossen ist teuer erkauft: Die Eisenbahntunnel kosteten weit über 20 Milliarden Franken (rund 17 Mrd. Euro). Da kann Österreich mit Korsalm-, Semmering- und Brennerbasistunnel mithalten. (Klaus Bonanomi, Luise Ungerboeck, 26.2.2019)