Lukas Schlögl ist Universitätsassistent im Bereich Vergleichende Politikfeldanalyse am Institut für Politikwissenschaft.

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Barbara Prainsack ist Professorin für Vergleichende Politikfeldanalyse am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien.

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Sind die Zeiten vorbei, als Schuhe in Billiglohnländern produziert wurden?

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Wie werden wir morgen arbeiten? Eine immer häufiger zu hörende Antwort auf diese Frage lautet: Womöglich gar nicht mehr. Auch wenn sich diese Sorge sehr aktuell und neu anfühlt: Das Gespenst der technologiebedingten Arbeitslosigkeit begleitet die gesellschaftliche Debatte über den Wandel der Arbeitswelt seit vielen Jahrzehnten. So spekulierte der britische Ökonom J. M. Keynes bereits im Jahr 1930, im Zeitalter der Enkelkinder seiner Generation werde so wenig menschliche Arbeitskraft gebraucht, dass die Menschheit ein neues Problem lösen müsse: Wie soll mit dem Überschuss an Freizeit umgegangen werden? (Die meisten ökonomischen Probleme, wie auch die Frage des Lebensunterhaltes, so Keynes, würden bis dahin gelöst sein.)

Als Urenkel Keynes' sind wir heute von der Situation einer "Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist", wie es Hannah Arendt ausgedrückt hat, weit entfernt. In OECD-Ländern waren in den letzten 50 Jahren im Durchschnitt zwei Drittel der Bevölkerung im Erwerbsalter in Beschäftigung, und dieser Anteil ist auch in den letzten Jahren nicht gesunken. Paradoxerweise fürchtet man sich im öffentlichen Diskurs, gespeist von einer medialen Dauerpanik, vor den Verdrängungseffekten der jeweils jüngsten bahnbrechenden Innovation: vor Robotern, die staubsaugen, Kriege führen oder ältere Menschen pflegen, über Drohnen, die Pizza liefern, bis hin zu Algorithmen, die die Arbeit von Richterinnen und Richtern übernehmen werden. Tatsächlich verstellt das Phantasma der technologischen Arbeitslosigkeit aber den Blick auf die eigentlich wichtigen Fragen: Wie teilen wir vorhandene Güter und Ressourcen gerecht auf? Wie können breite Gesellschaftsschichten an den Früchten des technologischen Wandels teilhaben?

Von Bangladesch nach Bayern

Diese Frage stellt sich verschärft für Entwicklungsländer, die sich im Rahmen einer globalen Arbeitsteilung auf arbeitsintensive exportorientierte Produktion spezialisiert haben. Eine wachsende, junge und vergleichsweise schlecht ausgebildete Erwerbsbevölkerung blickt angesichts voranschreitender Automatisierung dem drohenden Zerfall globaler Wertschöpfungsketten ("Reshoring") und verfrühter Deindustrialisierung entgegen. Dies bedeutet, dass Produktionsstätten aus Entwicklungsländern wieder abgezogen werden und in reiche, politisch oft stabilere Länder zurückgebracht werden, weil man dort nun noch billiger produzieren kann. Der Sportartikelhersteller Adidas etwa beschäftigt derzeit einen Gutteil seiner 50.000 MitarbeiterInnen in Entwicklungsländern. Ziel des Unternehmens ist, bis zum nächsten Jahr mit zwei vor kurzem in Betrieb genommenen vollautomatischen "speed factories" eine Million Sportschuhe mittels 3D-Druck herzustellen. Standorte dieser Fabriken: Atlanta, USA und Ansbach, Bayern.

Expertinnen schätzen, dass bereits heute in vielen Entwicklungsländern etwa die Hälfte der menschlichen Arbeitskräfte durch bereits existierende Technologien ersetzbar wäre. Es scheint also nur eine Frage der Zeit zu sein, bis diese Arbeitsplätze verschwinden. Das bedeutet nicht, dass den Menschen die Arbeit ausgeht; vielmehr stellt sich die Frage, für welche Menschen es noch bezahlte Arbeit geben wird und wo diese Menschen eingesetzt werden. In den reichen Ländern des globalen Nordens werden Strategien wie lebenslanges Lernen, Programme zur beruflichen Neuorientierung oder die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens erwogen. Selbst wenn man diese Lösungsansätze befürwortet: Sie können nicht einfach auf den globalen Süden übertragen werden. Ersteres setzt eine hochentwickelte Bildungsinfrastruktur voraus, Letzteres die Möglichkeit des staatlichen Zugriffs auf Kapitalerträge – beides trifft auf viele Entwicklungsländer nicht zu.

Entkoppelung statt Entsolidarisierung

Ein Blick auf Entwicklungsländer zeigt mit großer Deutlichkeit auf, wie eng Fragen zur Zukunft der Arbeit mit Fragen der öffentlichen Infrastruktur und der Verteilungsgerechtigkeit verschränkt sind. Auch bei uns ist die Frage danach, wie wir in Zukunft arbeiten werden und wollen, mit Blick auf Entwicklungen wie das Auseinanderklaffen der Reallohn- und Produktivitätsentwicklung zu stellen. Laut aktuellen Schätzungen verdienen in den USA nur noch die Hälfte der Millennials mehr, als es ihre Eltern im selben Alter getan haben – in Großbritannien ist der Trend ähnlich. Zugleich steigen die Lebenshaltungskosten in zentralen Bereichen, insbesondere für Wohnen, Bildung und Gesundheit. Die voranschreitende Kommerzialisierung dieser Bereiche hat nicht durch mehr Wettbewerb zu steigender Qualität bei niedrigeren Preisen geführt, sondern die Kosten explodieren lassen und die Möglichkeiten der öffentlichen Gestaltung und Kontrolle ausgehöhlt.

Die Europäische Gruppe für Ethik der Naturwissenschaften und der neuen Technologien, die die Europäische Kommission berät, hat kürzlich eine Stellungnahme zur Zukunft der Arbeit verabschiedet, in der sie dafür plädiert, den Begriff der Arbeit weiter zu fassen als bisher und die soziale Absicherung stärker von bezahlter Arbeit zu entkoppeln. Dies ist auch deshalb notwendig, weil es sehr wahrscheinlich ist, dass es in Zukunft mehr Menschen geben wird, deren Fähigkeiten am Arbeitsmarkt keinen oder wenig Wert haben werden. Dies würde eine fortschreitende Entsolidarisierung der Gesellschaft und ein weiteres Anwachsen sozialer Ungleichheiten zur Folge haben.

Die Veränderung der Rolle der Arbeit in unserer Gesellschaft ist eine Herausforderung, den Arbeitsbegriff neu zu definieren und auch jene Tätigkeiten darin einzuschließen, die nicht vom Begriff der lohnabhängigen Erwerbsarbeit erfasst sind: Pflege- und Erziehungsarbeit und andere Tätigkeiten, die einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenleben leisten, müssen für volkswirtschaftliche Statistiken sichtbar, quantifizierbar gemacht und honoriert werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist eine, aber nicht die einzige Möglichkeit, dies zu tun; hier können wir von den Diskussionen im Vereinigten Königreich über den Ausbau öffentlicher und zum Zeitpunkt der Nutzung kostenloser Grundlagendienstleistungen wie Gesundheit, Bildung, Transport und Information lernen. Ein solcher Ausbau von Sachleistungen zur Befriedigung von Grundbedürfnissen wird dort als Alternative zu einem bedingungslosen Grundeinkommen diskutiert. Auch der Vorschlag einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist ernstzunehmen.

Jenseits der Weiterqualifizierung

Wie könnten politische Schritte aussehen, um den technologischen Wandel sozial tragfähig zu gestalten?

Erstens brauchen wir ein faires Steuersystem, das auf das Zeitalter der rapiden Automatisierung zugeschnitten ist. Die langfristige und OECD-weite Tendenz einer fallenden Lohnquote – dem Anteil der Arbeitnehmerentgelte am volkswirtschaftlichen Gesamteinkommen – schafft ein Ungleichgewicht, das sich durch den technologischen Wandel weiter zu verstärken droht. Steuervermeidung und -umgehung zu bekämpfen, die Erwerbsbevölkerung stärker an Kapitalgewinnen zu beteiligen und (auch höhere) Lohneinkommen durch höhere vermögensbezogene Steuern zu entlasten sind Aufgaben, die die Politik lösen kann und muss.

Zweitens müssen die Lebenshaltungskosten reduziert werden: Es muss möglich sein, dass Menschen von ihrer Arbeit gut leben können. Das US-amerikanische Szenario, in dem Politiker die hohe Beschäftigungsquote loben, während Vollzeit erwerbstätige Menschen in ihren Autos schlafen, kann und muss in Europa verhindert werden. Die Garantie von ausreichend und leistbarem Wohnraum sollte daher an der Spitze politischer Agenden stehen. Politikerinnen und Politiker, Expertinnen und Experten im Ausland blicken neidvoll auf Wien, das – noch – als weltweit letzte Bastion sozialen Wohnbaus gilt. Leistbares Wohnen hat positive Effekte für die physische und psychische Gesundheit und macht urbane Räume lebenswert.

Drittens brauchen wir eine Vertiefung globaler Institutionen. Eine Vielzahl drängender politischer Maßnahmen – von der Arbeits- bis zur Klimapolitik – bleibt ohne intensivere internationale Zusammenarbeit unerreichbar. Die in Entstehung befindliche EU-Arbeitsbehörde ist ein Schritt in diese Richtung. Institutionen, die globale Technologie- und Wissenstransfers fördern, Großbetriebe zu Wettbewerb und zum Steuerzahlen zwingen und, wo nötig, Kapitalverkehrskontrollen durchsetzen, gehören zum politischen Regelwerk der Zukunft. Diese Ziele sind notwendige Bedingung effektiven Regierens in einer globalisierten Welt.

Nicht "werden", sondern "wollen"

Prognosen über die Zukunft der Arbeit haben oftmals Züge von "technologischem Determinismus": der Vorstellung einer notwendigen, technikgetriebenen Gesellschaftsentwicklung. Die Frage, wie wir morgen arbeiten werden, ist allerdings untrennbar mit der Frage verbunden, wie wir uns die Rolle der Arbeit in unserer Gesellschaft wünschen.

Wie werden wir morgen arbeiten? Werden unsere Urenkel ein Zuviel an Freizeit beklagen, oder werden sie weiterhin materielle Verteilungskonflikte austragen? Werden sie den Trend zur Automatisierung gestoppt haben, weil zu wenige Menschen sich als Gewinner des technologischen Wandels fühlten? Werden sie die Globalisierung vertieft oder rückabgewickelt haben? Die Antwort auf diese Fragen hängt davon ab, wie wir die Zukunft der Arbeit in der Gegenwart politisch aushandeln – und damit ganz wesentlich davon, wie wir die Probleme beschreiben, die es zu lösen gilt. Die Bedrohung sind nicht Automaten und Roboter, die Menschen Jobs stehlen, sondern unsere eigene Unfähigkeit, die Ziele, Messwerte und Institutionen unserer Gesellschaft neu zu denken. (Lukas Schlögl, Barbara Prainsack, 5.3.2019)

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