Wenn Forscher das Verhalten von Schwärmen simulieren und studieren wollen, legen sie vorab Regeln für das Verhalten der einzelnen Schwarm-Mitglieder fest. Innsbrucker Wissenschafter schlagen nun im Fachjournal "PlosOne" einen neuen Ansatz vor, der aus dem Bereich Maschinelles Lernen kommt. Dabei werden keine Regeln vorgegeben, vielmehr sind die Individuen lernfähig und passen ihr Verhalten an.

Bei der Beobachtung großer Schwärme – seien es Vögel, Fische oder Heuschrecken – stellt sich die Frage, wie eine große Anzahl unabhängiger Individuen ein scheinbar perfekt abgestimmtes Ganzes bilden kann. Beim Versuch, diese Frage zu beantworten, wurden die Schwarmmitglieder bisher auf charakterlose Teilchen reduziert, die nach vorab festgelegten Regeln wechselwirken. Dieser Ansatz habe zwar nützliche Erkenntnisse geliefert, könne aber nicht garantieren, dass das angenommene Verhalten auf individueller Ebene korrekt ist und kläre auch nicht die Frage, warum Individuen auf die eine oder andere Weise reagieren, schreiben die Innsbrucker Forscher in der Arbeit.

Kreatives Verhalten

Hans Briegel vom Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck hat vor einigen Jahren mit Kollegen ein theoretisches Konzept für Künstliche Intelligenz (KI) ausgearbeitet. Bei diesem Modell nimmt ein Agent – also ein Programm, das zu einem gewissen autonomen Verhalten fähig ist – Eindrücke aus der Umwelt auf, verarbeitet diese in einem künstlichen Gedächtnis und spielt verschiedene Handlungsoptionen durch. Ursprüngliches Ziel war, Maschinen rudimentär kreatives Verhalten zu ermöglichen oder nach optimierten Quantenexperimenten zu suchen.

Nun haben Briegel und seine Kollegin Katja Ried mit deutschen Kollegen dieses Konzept zur Modellierung kollektiver Bewegungen von Wanderheuschrecken angewendet. Die einzelnen Tiere werden dabei als lernende Agenten modelliert, die nicht einfach nach vorprogrammierten Regeln auf ein Ereignis reagieren. Vielmehr passen sie ihr Verhalten im Laufe der Zeit individuell an, indem sie Erfahrungen sammeln. "Stellt sich eine Entscheidung im Nachhinein als richtig heraus, wird der Agent belohnt und ist beim nächsten Mal geneigt, in der gleichen Situation diese Entscheidung noch einmal zu treffen", so Ried in einer Aussendung der Uni.

Simulation

Ein Schwarm von Wanderheuschrecken kann aus mehr als einer Milliarde Tiere bestehen, die gemeinsam große Distanzen überwinden, um neues Futter zu finden. "Diese kollektive Bewegung haben wir mit unseren Algorithmen simuliert", so die Physikerin, die hofft, auf diese Weise etwas über das Verhalten der einzelnen Heuschrecken zu lernen. Zunächst konnten sie zeigen, dass die Ergebnisse des Modells mit jenen von experimentellen Studien mit Heuschrecken übereinstimmen.

In einem nächsten Schritt wollen die Physiker gemeinsam mit Biologen grundlegende Fragen nach den Ursachen dieses Verhaltens sowie dem individuellen Verhalten von Heuschrecken im Labor erforschen. Damit soll das theoretische Modell weiter verfeinert werden. Die Forscher wollen das neue Modell aber auch mit Erkenntnissen aus der Biologie und Ökologie kombinieren, um kollektive Bewegungen in komplexen Umgebungen weiter zu untersuchen.

Das Modell ließe sich nach Angaben der Wissenschafter leicht auch auf Roboter umlegen. So könnte das Verhalten eines Roboterschwarms am Computer simuliert und trainiert werden, anstatt es aufwendig vorzuprogrammieren.