Drama und viel Slapstick: Peter Pertusini, Daniel Wagner und Sören Kneidl sind als Ermittler auf den Fersen von Katharina Blum (Jennifer Frank).

Foto: Alexander Gotter

Soziale Hängematte", "NGO-Wahnsinn", "Asylbusiness", "Fake-News" und Familien, in denen die Kinder die Einzigen sind, die in der Früh aufstehen – im Wiener Werk X hagelt es derzeit politischen Neusprech. Intendant Harald Posch hat Heinrich Bölls Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1974) auserkoren, um uns einen Spiegel vorzuhalten. Er will beleuchten, wie die Wahrheit in der "Post-Truth-Ära" zwischen Hysterisierung und Feindbildern unter die Räder gerät, weil sie "weder in den Medien noch in der Politik ernsthafte Verteidiger hat", heißt es im Programm.

Bölls Erzählung handelt von einer bisher unbescholtenen Frau, die wegen der Freundschaft zu einem mutmaßlichen Räuber und Mörder zum Opfer einer Hetzjagd des Boulevards wird. Was einst übel war, muss im Zeitalter tobender Shitstorms in sozialen Medien noch schlimmer geworden sein, so die Annahme zum Abend.

"NGO-Wahnsinn" und Slapstick

Außerdem seien die Bürger nach Schockmomenten wie 9/11, der Finanzkrise sowie voranschreitender "Demokratieentleerung" verunsicherter denn je. Vorurteile sind der feste Grund, auf dem viele ihr Weltbild bauen. Doch schnell ist Schluss mit dem schlagworthaften zeitgenössischen Hintergrundrauschen von der Ökonomisierung des Sozialen bis hin zu Eliten, das Posch Bölls Text vorangedichtet hat. Das Ensemble prescht derart gehetzt durch, dass man nur wenig davon auch wirklich mitdenken kann.

Kostüme und Bühne hält Daniel Sommergruber ganz im Stil von 1970. Oben thront Katharina Blums (Jennifer Frank) Badezimmer, auf Mittelhöhe der Verhörraum der Ermittler, und im Erdgeschoß sichert ein Lattenzaun das Haus des Staatsanwalts (Peter Pertusini). Bölls Erzählung selbst zeichnet Posch ebenfalls ziemlich getreu nach. Facebook und Konsorten? Gibt's noch nicht. Stattdessen spickt der Werk-X-Intendant den Abend mit Slapstick: durch eine Tür fallen, mit dem Fuß in einem Eimer feststecken. Beim Verhör Blums rutschen alle ständig einen Sessel reihum weiter.

Warum das so sein muss, kann die Inszenierung nicht aus eigener Kraft erklären, denn unfähig sind die Ermittler nämlich keineswegs. Das Programm schlägt vor: weil modernes Volkstheater, für welches das Werk X bekannt sei, eben Groteske, sarkastischen Humor und hohes Tempo brauche. Tatsächlich erntet der Klamauk einiges Gelächter.

Politiker als Pappmasken

Später macht er oberflächlicher Provokation mit Pappmasken Platz. Dann geht Sebastian Kurz vor Wolfgang Fellner auf die Knie, um ihm einen zu blasen, oder stolziert ein Darsteller zum Song It's a Man's World mit Herbert-Kickl-Maske in Dessous, hochhackigen Schuhen und Seidenbademantel herum.

Müder Applaus quittiert nach eineinhalb Stunden den mehr hektischen denn rasanten Abend, der sich mutig findet, weil er lautstark auf den Putz haut. Als zuguterletzt noch Fotos von Wolfgang Fellner, Eva Dichand und Michael Jeannée mit Fadenkreuzen über dem Gesicht auf der Bühne aufgestellt werden und das Ensemble dem Publikum Waffen anbietet, um auf sie zu schießen, greift keiner zu. Vielleicht fand der eine oder andere die Aktion ja geschmacklos. (Michael wurmitzer, 26.2.2019)