Die Benützung der Hoch- und Niederalmen, also die Almwirtschaft, ist ein tragendes Fundament tirolischer Viehzucht.

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Die Alpenweiden werden ab dem Frühjahr je nach Witterungslage dem Vieh als Weide zugewiesen. Die Benützung der Hoch- und Niederalmen, also die Almwirtschaft, ist ein tragendes Fundament tirolischer Viehzucht. Schon der Mitarbeiter des Tiroler Guberniums Johann Jakob Staffler hat in seiner Landesbeschreibung von Tirol und Vorarlberg 1839 festgestellt, dass der tirolische Viehbestand "nur durch die Benützung der Alpenweiden möglich" ist. "Die besten Alpen werden", so Staffler, "den Milchkühen, insbesondere den Kalben, den mit dem ersten Kalb trächtigen Kühen, vorbehalten. Die steilen und minder guten Alpen werden den Pferden, Ochsen und den alten Kühen, die höchstgelegenen den Schafen angewiesen." Staffler hat festgestellt, dass Gemeindealpen oft in einem vernachlässigten Zustand seien, bedingt durch das unterschiedliche Interesse von Gemeinden. Unter der Obsorge einzelner Eigentümer würde die Almwirtschaft fast immer gut funktionieren, aber in einigen Gegenden würde die Almwirtschaft "auch bei gemeinschaftlicher Benützung im guten, selbst im vortrefflichen Zustande sich befinden".

Besonderes Almrecht

Die Forschungen der US-Wissenschafterin Elinor Ostrom, die 2009 als erste und bisher einzige Frau den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten hat, haben sich auf das gemeinschaftliche Eigentum von Nutzerorganisationen konzentriert. Ihren Ausgangspunkt hat Ostrom Anfang der 1970er-Jahre mit einer Studie über die Alpweiden der kleinen schweizerischen Berggemeinde Törbel genommen, deren Weiden, Wälder und Bewässerungsanlagen seit dem frühen Mittelalter im genossenschaftlichen Besitz waren. Sie weist nach, dass die Selbstorganisation unter den extremen Bedingungen ganz gut funktioniert hat.

Ostrom hätte an die heute in der österreichischen Juristenausbildung vergessenen Forschungen der Almrechtsforscher Hermann Wopfer und Nikolaus Grass oder des Rechtshistorikers Louis Carlen anknüpfen können. Vor allem Grass hat seit den 1940er-Jahren anhand der überlieferten Tiroler Weistümer das Almrecht grundlegend erforscht. Seinen Schülern und Mitarbeitern wird das heute wohl nur noch als Fremdwort bekannte "Schneefluchtrecht" in Erinnerung sein. Bei überraschendem Wintereinbruch im Herbst oder nach dem Alpauftrieb im Frühjahr konnte das Almvieh in tiefer gelegene Almen oder schützende Waldgebiete getrieben werden. Das barg allerdings auch sehr viel Konfliktpotenzial.

Lösungen solcher Probleme hängen von zahlreichen Risikofaktoren ab, die sich aus dem Zusammenhang von objektiven und subjektiven Faktoren ergeben, von der Größe der betroffenen Bauernbetriebe und der Menge des abgetriebenen Viehs, von den Kommunikationsformen und ganz allgemein von Eigenart und Struktur der Wertbeziehungen.

Kollektive Lösungen

Österreichische und schweizerische Almforscher haben immer wieder regional so wie dann Ostrom weltweit festgestellt, dass nicht überall das Interesse am heiligen Privateigentum funktionieren kann, sondern da und dort nach kollektiven Lösungen gesucht werden muss.

Jetzt wird über ein Gerichtsurteil diskutiert, das einen Bauern als Eigentümer einer Kuh auf einer ihm gehörigen Tiroler Alm schuldiggesprochen hat, weil er diese nicht angemessen eingezäunt habe und deshalb für den Tod einer niedergetrampelten Touristin verantwortlich sei.

Hat dieses Urteil die besonderen und historisch gewachsenen konkreten gesellschaftlichen Bewegungsgesetze der Almbewirtschaftung analysiert? Das Urteil will Angehörigen recht und "Wiedergutmachung" geben. Unbeachtet blieb dabei: Die Almwirtschaft wird von der Tourismuswirtschaft als Konsumregal für den Konsumismus gesehen und angeboten. Juristen sprechen oft ein Recht, das nicht den Interessen der Menschen entsprechen und keinen Ausweg aus der ökonomischen Ungleichheit bieten kann. (Gerhard Oberkofler, 26.2.2019)