Donald Trump nach der Landung in Hanoi.

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Mittwochmittag europäischer Zeit, wenn sich Donald Trump und Kim Jong-un in Hanoi zum Dinner treffen, wird es wohl das geben, was Amerikaner einen Split-Screen-Effekt nennen: den Effekt des geteilten Bildschirms. Auf der einen Seite wird man die Bilder aus Vietnam sehen, lächelnde Staatschefs bei vermutlich ausdauerndem Händeschütteln, auf der anderen Michael Cohen, den ehemaligen Anwalt des Präsidenten, der in einer öffentlichen Anhörung vor dem Kongress Interna aus dem Geschäftsleben Trumps ausplaudert. Dort der Gipfelsturm in der asiatischen Ferne, hier die Niederungen, die Hürden amerikanischer Innenpolitik. Der Kontrast könnte kaum schärfer ausfallen.

Nur: Das mit dem Gipfelsturm hat sich inzwischen relativiert. Die Euphorie, wie sie Trump nach der ersten Begegnung mit Kim schürte, ist vorsichtigeren Tönen gewichen – wenn man so will, dem Normalzustand der Diplomatie, dem Bohren dicker Bretter. Auch Trump, der sonst so gern den Superlativ bemüht, trug mit überraschend leisen Sätzen dazu bei, die Latte niedriger zu legen. Er habe es nicht eilig, sagte er vorige Woche, "und ich will niemanden zur Eile treiben". Solange Pjöngjang weder Bomben noch Raketen teste, sei er zufrieden. "Ich möchte die nukleare Abrüstung Nordkoreas sehen – und die werden wir am Ende sehen."

Vor gut acht Monaten in Singapur hatte das noch anders geklungen. Da sprach der US-Präsident großspurig von einem Problem, das er mehr oder weniger gelöst habe, da von Nordkorea nun keine nukleare Gefahr mehr ausgehe.

Die vage Erklärung des Treffens mit Kim feierte er als historischen Durchbruch. Offen blieb, was es konkret bedeuten sollte, wenn sich beide Seiten zur Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel verpflichteten.

Was bedeutet Denuklearisierung?

Washington verstand darunter die vollständige Vernichtung der nordkoreanischen Atomwaffen, für Pjöngjang war es geknüpft an den Abzug amerikanischer Truppen aus Südkorea. Seither bemühen sich Trumps Außenminister Mike Pompeo und Stephen Biegun, der Sondergesandte für Nordkorea, darum, Kim eine Art Fahrplan abzuringen. Dass es länger dauert, haben beide inzwischen eingeräumt.

Vor allem ist es Biegun, einst außenpolitischer Berater George W. Bushs und John McCains, der in letzterer Funktion einst auch Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin in die Außenpolitik einführen durfte. Er zeichnet das Szenario eines diplomatischen Marathons. An der Universität Stanford sprach er neulich von den "carrots", die man Kim anbieten müsse, statt ihm nur mit "sticks" zu drohen.

Stephen Biegun, US-Sondergesandter für Nordkorea, trat jüngst für sanfte Annäherung an Nordkorea ein.
U.S. Department of State

Karotten und Knüppel, die Metapher steht für das Wechselspiel von Anreiz und Druck. Wenn man das Verhältnis zu Nordkorea schrittweise normalisiere, sagte Biegun, werde man auch bei der Abrüstung vorankommen. Und in dem Maße, wie man bei der Abrüstung vorankomme, könne man sich vorstellen, ein "dauerhaftes Friedensregime" auf der Koreanischen Halbinsel zu schaffen.

Unbeendeter Krieg

In Hanoi also könnten Trump und Kim in einer symbolischen Geste den Koreakrieg für beendet erklären, statt es beim 1953 vereinbarten Waffenstillstand zu belassen. In einem nächsten Schritt, Fortschritte bei der Verschrottung atomarer Anlagen vorausgesetzt, könnten sie einen Friedensvertrag ansteuern, den auch China, seinerzeit Kriegspartei, unterschreiben müsste. Im Moment scheint Trump der Stufenstrategie Bieguns zu folgen.

Das kann sich noch ändern, denn im Hintergrund lauern die Hardliner auf ihre Chance, allen voran der Nationale Sicherheitsberater John Bolton, der maximalem Druck das Wort redet, um Kim zum Einlenken zu zwingen. Zumindest für eine Übergangsphase jedoch scheint Trump zu akzeptieren, dass Nordkorea dem Klub der Atommächte beigetreten ist und er daran zunächst nichts ändern kann. Mit anderen Worten, er akzeptiert die Fakten, nachdem er in seinem ersten Amtsjahr noch gedroht hatte, das ostasiatische Land mit Feuer und Zorn zu überziehen.

Nach Schätzungen von Wissenschaftern der Universität Stanford hat Pjöngjang allein im Jahr 2018 waffenfähiges Material für fünf bis sieben Atomsprengköpfe hergestellt. Insgesamt verfüge es damit wahrscheinlich über 35 bis 37 Sprengköpfe, heißt es in einer Studie. Andere Schätzungen gehen sogar von bis zu 60 aus.

Man solle nicht erwarten, dass Kim eine vollständige Liste seines nuklearen Arsenals vorlege, dämpft einer der Autoren, der Nuklearphysiker Siegfried Hecker, dem das Regime vor Jahren Zutritt zum Nuklearreaktor Yongbyon gewährt hat (DER STANDARD berichtete), die Erwartungen. In den Augen Kims grenze schon eine solche Auflistung an Kapitulation, und der Mann denke nicht ans Kapitulieren, schrieb Hecker schon im November in einem Beitrag für "38 North", der Webseite eines auf Nordkorea spezialisierten Forschungsprojekts. Erfolg verspreche allein ein Ansatz, der langsam Vertrauen wachsen lasse. 15 Jahre, orakelt der Physiker, könnte es noch dauern, bis die Koreanische Halbinsel atomwaffenfrei ist. (Frank Herrmann aus Washington, 27.2.2019)