Seit Dienstag haben es die 27 EU-Partner schwarz auf weiß: Nicht nur Labour, die größte Oppositionspartei in Großbritannien, möchte nun unter ihrem EU-skeptischen Chef Jeremy Corbyn eine Verschiebung des EU-Austritts. Dieser ist seit zwei Jahren für 29. März geplant. Auch die konservative Premierministerin Theresa May hat sich nun im Unterhaus dazu – im Prinzip – bereiterklärt.

Zwar will sie nur einen "kleinen, limitierten Aufschub", sollten ihre Gespräche über Nachbesserungen zu den offenen Grenzen in Irland (Backstop) nicht rechtzeitig fertig werden. An der Umsetzung des Referendums von Juni 2016 will May festhalten. Es ginge darum, katastrophale Folgen eines ungeregelten EU-Austritts abzuwenden. Ein Trick.

Auch Corbyn betont: Der No-Deal-Brexit sei unbedingt zu verhindern, genauso wie ein "zerstörerischer Tory-Brexit", wie er das nennt. Der Labour-Chef wäre bereit zu einem neuen "Volksentscheid". Im Rest Europas nährte das bei Optimisten die Hoffnung, der programmierte Abschied der Briten ließe sich doch noch irgendwie verhindern; und alles werde irgendwie wieder gut. Nett gedacht. Es gibt mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker erste Spitzenpolitiker, die solchen Aufschub für "vernünftig" und "denkbar" erklärten.

Winkelzüge

Davor kann nicht genug gewarnt werden. Die EU-27 haben nach fast zwei Jahren der Verhandlungen über den im November einstimmig verabschiedeten Brexit-Vertrag keinen Grund, sich auf solch ein Abenteuer einzulassen. Die jüngsten Vorstöße aus London sind nichts anderes als Winkelzüge, um die EU zu spalten, alle bekannt seit langem.

Beispiel Corbyn: Er ließ völlig offen, welches Brexit-Referendum er wolle und wann. Sein Ziel ist ein (weicherer) "Corbyn-Brexit" nach dem Sturz von May durch Verhinderung des "Tory-Brexits". Noch doppelbödiger sind die Tories und ihre Hardcore-Brexiteers. Wenn sie nun auch auf Verschiebung des Austrittstermins drängen, brechen sie eine weitere frühere Zusage. Bereits 2017 wurde im EU-Rat einstimmig beschlossen, dass zuerst der Brexit erledigt wird und erst danach über die künftigen Beziehungen des Drittlandes Großbritanniens zur EU konkret verhandelt wird. May wollte das schon vor einem Jahr umdrehen. Es wurde von den EU-27 abgewiesen. Jetzt wieder damit zu kommen ist unredlich.

Die 27 EU-Partner müssen diese Manöver cool abblocken und eventuell beim Backstop nachbessern. Sonst laufen sie Gefahr, selber voll ins britische Politchaos hineingezogen zu werden. Das wäre bei einer echten Brexit-Verschiebung fast sicher. Großbritannien würde dann an EU-Wahlen im Mai als vollberechtigtes Mitglied teilnehmen, neue EU-Abgeordnete stellen. Die Briten würden über Programm und Zusammensetzung der neuen EU-Kommission (nach Juncker) mitentscheiden, auch über den Budgetrahmen der EU bis 2027, aus der sie austreten wollen – mit Vetorecht. Das wäre für die Union der GAU. Sie wäre nach Belieben erpressbar. May könnte in Brüssel Katz und Maus spielen. (Thomas Mayer, 26.2.2019)