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Der Österreicher Thomas Wieser war von 2012 bis 2018 Vorsitzender der Eurogroup Working Group, einer Arbeitsgruppe der Eurogruppe. Küsse von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gehörten dazu.

AP

Sechs Jahre lang hat sich Thomas Wieser als Vorsitzender der Eurogruppe-Arbeitsgruppe mit den Problemen des Euro beschäftigt und Lösungen gesucht. Für das jetzige größte Sorgenkind der Eurozone, Italien, hat er allerdings keine. "Ich bin ratlos", sagt er im STANDARD-Gespräch auf die Frage, wie die drittgrößte Volkswirtschaft der Währungsunion wieder zu einer vernünftigen Wirtschaftspolitik und einem Wachstumskurs finden kann. "Dafür würde es eine Riesenkrise brauchen, ein sehr gut funktionierendes politisches System – oder ein Wunder."

Trifft dieses nicht ein, dann könnte Italien ein Fall für einen Staatsbankrott mit einer Schuldenrestrukturierung, also einem ausverhandelten Schuldenschnitt, werden. Doch genau dafür fehlten derzeit die notwendigen Regeln in der EU, sagt Wieser. "Man müsste sich dringend ein Staatsinsolvenzrecht überlegen."

Wieser nimmt am 5. März gemeinsam mit dem Ökonomen Christian Keuschnigg, Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer und der ehemaligen Direktorin der Europäischen Zentralbank, Gertrude Tumpel-Gugerell, an einer Podiumsdiskussion des Club 20 gemeinsam mit dem STANDARD über die Zukunft des Euro teil. Dort wird Italien ein zentrales Thema sein.

Höheres Defizit

Nachdem Italien erneut in eine Rezession geschlittert ist, dürfte das Defizit 2019 viel höher ausfallen, als der letzte Kompromiss der Regierung in Rom mit Brüssel vorsieht. Doch auch dann sieht Wieser keine Gefahr für die Währungsunion. Anders als auf dem Höhepunkt der Euroschuldenkrise 2011 und 2012 sei die Eurozone heute in einem guten Zustand.

"Italien kann die Eurozone nicht massiv destabilisieren, aber wenn es ordentlich wachsen würde, dann würde es allen besser gehen", sagt Wieser. "Italien ist ein Ballast für die Eurozone."

Die Politik der Regierung Conte werde, anders als die Koalitionsparteien Lega und Fünf-Sterne-Bewegung behaupten, keinen Wachstumsschub auslösen. "Die Pensionsreformen werden rückgängig gemacht, und sie investieren ihr politisches Kapital in populistische Projekte", kritisiert Wieser. Die Schuldenpolitik, auf der Rom gegen den Widerstand der EU-Kommission beharrt, werde nur ein "keynesianisches Strohfeuer bringen. Denn Italiens Problem sind nicht zu wenig ausgelastete Kapazitäten, sondern die niedrige Produktivität."

Dies sei das Kernproblem des Landes, und das seit drei Jahrzehnten. Seit Ende der 1980er-Jahre sei die Produktivität, der einzige nachhaltige Motor des Wachstums, kaum gestiegen, betont Wieser. Das liege einerseits an der Struktur der italienischen Industrie mit ihrer Ausrichtung auf Textilien, Leder und Möbel, die zuerst die Konkurrenz von China und ab 1989 von Osteuropa zu spüren bekommen habe. "Italien ist das beste Beispiel eines Globalisierungs- und Integrationsverlierers", sagt Wieser.

Finanzsanktionen nicht anwendbar

Und dann sei eine falsche Wirtschaftspolitik gefolgt, mit zu hohen Staatsausgaben für Pensionen und Verwaltung, viel zu wenig für Bildung, Forschung und Innovation. Weitere Faktoren seien eine Wirtschaftskultur, die ausländische Investoren vor allem im Rechtssystem benachteilige, und die Unfähigkeit, selbst schon beschlossene Strukturreformen tatsächlich umzusetzen.

Was kann die EU nun tun? Die finanziellen Sanktionen, die das Regelwerk der Eurozone bei Budgetverstößen vorsieht, seien im Falle Italiens nicht anwendbar, ist Wieser überzeugt. Eher müsse man "die Italiener ihrem Unglück überlassen. Wenn es sich auf den Kapitalmärkten nicht mehr finanzieren kann, dann muss es das selbst ausbaden. Und wenn es Hilfe von außen braucht, dann erhält es die nur unter der Bedingung, dass es die notwendigen Schritte endlich unternimmt. (Eric Frey, 27.2.2019)