Transparent bis auf die Unterhose? Überhaupt kein Problem. Marie Kreutzer steckt schon drin in dem gepunkteten Kleid von Prada. Wäre sie eine von Heidi Klums Zöglingen, würde sie für ihre Professionalität gelobt werden. Die österreichische Regisseurin steht im großen Saal des Reaktor, des ehemaligen Etablissements Gschwandner in Wiens 17. Gemeindebezirk.

Marie Kreutzer wurde von Jork Weismann in einem Mantel von Dries van Noten, einer Hose von Gaimbattista Valli und Schuhen von Chanel Vintage fotografiert.
Foto: Jork Weismann

Einen Nachmittag lang wechselt sie für das RONDO von einem Outfit ins nächste. "Ich finde es gut, einmal auf der anderen Seite zu stehen", meint Kreutzer. Sie ist ein unkompliziertes Model. Als die Make-up-Artistin ihre Locken mit einem Haarband bändigen will, sitzt sie bereitwillig still, weder vor Overknee-Stiefeln noch vor hohen Stilettos hat sie Angst. Vielleicht auch, weil sie eine Vertraute ans Set mitgebracht hat: Leena Koppe, die Kamerafrau hat seit Kreutzers Erstlingsfilm Die Vaterlosen an allen ihren Filmen mitgearbeitet. Die Regisseurin: "Ich hatte ja keine Ahnung, was mich bei einem solchen Modeshooting erwartet. Das ist aufregender, als im Berlinale-Palast zu stehen."

Dort in Berlin am Potsdamer Platz lief die gebürtige Grazerin vor wenigen Wochen über den roten Teppich und gab Interviews, Seite an Seite mit den Schauspielerinnen Mavie Hörbiger, Pia Hierzegger und Valerie Pachner, den drei Hauptdarstellerinnen ihres neuen Films Der Boden unter den Füßen.

Kreutzers Arbeit, ein Film über zwei Schwestern, die erfolgreiche Unternehmensberaterin Lola und ihre schizophrene Schwester Conny, war in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen, der letzten des scheidenden deutschen Festivaldirektors Dieter Kosslick. Dort wurden diesmal die weiblichen Regisseurinnen gefeiert, sieben der 17 Wettbewerbsfilme sind von Frauen gedreht worden.

Pullover von Theory, Hose von Giorgio Armani.
Foto: Jork Weismann

Dass die "Frauenpower" der Berlinale von den Medien nicht als Selbstverständlichkeit behandelt wurde, sondern ein großen Thema war, hat Gründe. Trotz aller Debatten sind Regisseurinnen im Filmbusiness noch immer in der Minderheit, viele Festivals werden von Regisseuren dominiert.

Kleid, Schuhe und Hose von Prada.
Foto: Jork Weismann

Warum Kreutzer, Jahrgang 1977, Filmemacherin wurde? "Ich kann nicht sagen, dass mich das Werk einer Regisseurin besonders beeinflusst hat." Begeistert war sie von Pulp Fiction, Kusturicas Arizona Dream habe sie sieben- oder achtmal gesehen, ein Filmnerd sei sie als Jugendliche nie gewesen. Eigentlich hatte die Steirerin Schriftstellerin werden wollen, zum Film kam sie erst über das Schreiben.

Gleich zu Beginn des Studiums an der Filmakademie Wien, wo Marie Kreutzer Buch und Dramaturgie studiert hat, nahmen dann doch die Frauen eine Vorbildfunktion ein. "Da gab es eine weibliche Force, die mich in dem Wunsch bestärkt hat, Regie zu machen. Barbara Albert, Jessica Hausner, Mirjam Unger, Kathrin Resetarits und Ruth Mader waren damals im Abschlussjahrgang."

Frauenquote

Auf den Filmschulen sei das Geschlechterverhältnis noch einigermaßen ausgeglichen, "die Frauen gehen erst später irgendwie verloren", erklärt Kreutzer. Auch weil es ihnen nach dem Kinderkriegen schwerer gemacht werde, berufstätig zu bleiben, insbesondere in familienfeindlichen Berufen.

Bodysuit von Y Project.
Foto: Jork Weismann

Die Regisseurin sitzt im Café Amacord im vierten Wiener Gemeindebezirk über einem Milchkaffee, es sind einige Wochen seit dem Shooting vergangen. Derzeit gebe es nur eine Möglichkeit, dass sich in der Filmbranche etwas ändert, da ist sich die Regisseurin, die sich selbst als Feministin bezeichnet, sicher: "Die Quote ist nicht elegant, aber sie würde helfen, dass gezielter nach Frauen gesucht wird."

Die Grazerin, Mutter einer Tochter, hat in den letzten Jahren beruflich ein ordentliches Tempo hingelegt, vier Langspielfilme in den letzten acht Jahren. 2011 erzählte Kreutzer in ihrem ersten Film Die Vaterlosen von einer Familienzusammenführung nach dem Tod eines 68er-Patriarchen in der Steiermark, legte nach mit Gruber geht, der Verfilmung von Doris Knechts gleichnamigem Roman.

Ihr Publikumshit Was hat uns bloß so ruiniert? setzte sich mit den Problemen junger Bobo-Eltern auseinander, das Drehbuch entstand in einer Zeit, in der sie mit ihrer kleinen Tochter viel Zeit auf Wiener Spielplätzen verbrachte.


Kleid Neith Nyer, Handtasche Giorgio Armani, Overkneeboots D&G, Ohrringe Celine.
Foto: Jork Weismann

Nur zwei Jahre später nun ein Film, der so ganz anders ist. Ernster und strenger. Valerie Pachner stellt die Unternehmensberaterin Lola dar, die sich in Arbeits-, Sex- und Fitnesssessions irgendwo zwischen Wien und Rostock verliert und nebenbei ihre psychisch kranke Schwester auffangen will. Die Kritik zog Parallelen zu Maren Ades Erfolgsfilm Toni Erdmann, auch er ist im Milieu der Unternehmensberatungen angesiedelt.

Kurzzeitig sei sie frustriert gewesen, als sie das erste Mal von Ades Filmthema gehört habe, erzählt Kreutzer: Seit 2011 hatte sie an ihrem Drehbuch geschrieben und mit ehemaligen Unternehmensberatern an den Dialogen gearbeitet. "Ich dachte, jetzt bin ich zu spät. Andererseits gibt es ja auch Arztserien en masse."

Spätestens seit der Präsentation von Der Boden unter den Füßen auf der Berlinale weiß Marie Kreutzer: "Der Film polarisiert, das kannte ich von den Filmen davor nicht." Die Regisseurin scheint mit ihrer neuen Kompromisslosigkeit im Reinen: "Irgendwie war das Gefühl, dass der Film nicht bei allen gut ankommen wird, eine Befreiung." Was sich nicht geändert hat: Wie in den Filmen zuvor steckt in einer ihrer Frauenrollen ein wenig Marie Kreutzer.

Bemerkt hat die Regisseurin das in ihrem aktuellen Film erst in der Schnittversion: "Die Lola, das bin ich. Die ganze Zeit renne ich, um alles perfekt zu machen, aber eine Kleinigkeit reicht, um mich umzuwehen und mit Selbstzweifeln zu konfrontieren."

Hose und Top von Jil Sander, Schuhe von Prada.
Foto: Jork Weismann

Da verwundert nicht, dass Kreutzer zwar sagt, dass sie nicht in dem Tempo der letzten Jahre weiterarbeiten könne, aber im nächsten Atemzug erzählt, dass sie schon wieder an neuen Projekten dran ist. Gleich vieren, um genau zu sein. Sonst würde es der Steirerin womöglich langweilig.

In einem der Projekte geht es wieder um eine Frau um die vierzig: Sisi im Kampf mit dem Alter. Wieso denn ausgerechnet Sisi? "Jeder Filmemacher will auch einmal etwas Historisches drehen. Gerade gibt es im deutschsprachigen Raum mehrere Sisi-Projekte, wir werden sehen, wer zuerst dran ist." (Anne Feldkamp, RONDO, 7.3.2019)

Kleid von Loewe, Schuhe von Giorgio Armani.
Foto: Jork Weismann