Im Rathaus von Palm Springs gehen Palmen und die Queer-Quote durch die Decke.

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In Palm Springs gilt vielerorts: lieber "hedo" als hetero.

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Auch die Villa des 1987 verstorbenen Entertainers Liberace lädt zum Hinschauen ein.

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Bei 350 Sonnentagen, davon vier Monate brutalste Hitze, der einzige Platz, wo es sich aushalten lässt: der Pool – ...

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... und davon gibt es einige in Palm Springs.

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Von den San Jacinto Mountains leuchtet der Schnee herab.

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In diesem Idyll fehlt allerdings etwas: junge Leute. Tatsächlich kommen sie nur zu Besuch, wenn im März die lesbische Dinah-Shaw-Party und im April die schwule White Party anstehen.

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Der Infusion Beach Club heißt seine Gäste willkommen.

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Morgens um sechs hat Palm Springs noch Konturen. Die kahlen Berge ragen in den blauen Himmel und zeichnen sich mit scharfen Umrissen ab, die Palmen wehen grün im Tal. Leuchtende Farben, klare Linien, ein Bild wie von Kalifornien-Fan David Hockney gemalt. Das will Bob Gross sehen, in natura, so oft es geht: am besten bei Sonnenaufgang.

Am Rande der kalifornischen Wüste leben Männer wie Gross in einem Idyll. Ältere weiße Schwule, die ihr Berufsleben hinter sich gelassen, sich in der Gegend ein Haus gekauft und sich selbst unter dem Himmelsblau noch einmal neu erfunden haben. In Palm Springs können sie die Freiheit leben, die ihnen viele Jahrzehnte lang vorenthalten wurde: Hand in Hand mit dem Partner über die Straße gehen, ihn spontan umarmen, ohne Beleidigungen oder gar Handgreiflichkeiten zu riskieren.

Gay Tour

Palm Springs ist schwul, sehr schwul, offiziell sogar richtig schwul. Die 45.000 Einwohner zählende Gemeinde hat seit einem Jahr den weltweit ersten Stadtrat, der nur aus Mitgliedern der LGBT-Community besteht. Einen schwulen Bürgermeister, drei schwule Abgeordnete, eine bisexuelle und eine Transgender-Frau.

"Etwa 40 Prozent aller Einwohner sind Teil der LGBT-Community", sagt der 66-Jährige, der für Besucher eine Gay Tour durch Palm Springs anbietet und mit seinem roten Jeep nun den Indian Canyon Drive nach Norden fährt. Gross ist groß, sonnengebräunt und trägt ein Basecap. Er hat früher für eine Telefongesellschaft Callcenter im gesamten Land koordiniert, heute ist seine offizielle Bezeichnung Tourguide, seine inoffizielle "Silver Daddy". Sportlich, graumeliert, unternehmungslustig.

Sehr beliebt

Von diesen Männern gibt es viele in und um Palm Springs. Morgens führen sie ihre Hunde im Design-Distrikt Gassi, nachmittags trinken sie Frappuccino in einem der Cafés und witzeln über das ganztägige Frühstück im "Pinocchio In The Desert", wo man Champagner zum Flatratepreis (4,95 Dollar pro Kopf) bekommt. Abends treffen sich diese Männer im Kaiser Grille, um ein feines Steak zu verzehren. Und vor dem Lokal ruft ein Obdachloser mit enger Paillettenhose und schulterlanger Disco-Bandana: "Mein Hubschrauber hat keinen Parkplatz gefunden."

Bob Gross fährt durch das Viertel Warm Sands, in dem es ein Clothing Optional Resort neben dem nächsten gibt, Hotelanlagen mit der Möglichkeit, jedes Kleidungsstück im Koffer zu lassen. Bei schwulen Touristen sind diese Übernachtungsmöglichkeiten sehr beliebt. Allein zur jährlichen Pride-Woche Anfang November erwartet die Stadt 60.000 Zuschauer. Sie wohnen und feiern auch in Warm Sands, hinter mannshohen Mauern und verschnörkelten Eingangstoren. Abends fahren einsame Männer in Autos an den Resorts vorbei, um nach anderen einsamen Männern am Straßenrand Ausschau halten. Kennenlernen wie in einem Drive-in.

Nudistenbrücke

Gross lenkt den Wagen hinauf nach Las Palmas, eine Kolonie von exklusiven Residenzen. Vorbei an der Nudistenbrücke, einer unspektakulären Konstruktion mit blickdichtem Geländer, die zwei Nackedeiresorts miteinander verbindet. Der Guide stoppt den Wagen, vor ihm eine schattige Auffahrt mit einem kleinen Klavier als Briefkasten. "Der Grund, warum Palm Springs schon früh für Schwule interessant war", sagt er und zeigt auf die hohen Hecken mit den dahinterliegenden Anwesen, "ist Hollywood." Ab den 1920er-Jahren banden die Filmstudios ihre Schauspieler mit Verträgen an sich, in jedem stand die sogenannte Zwei-Stunden-Klausel. Kein Darsteller durfte weiter weg als zwei Stunden von Los Angeles wohnen. Palm Springs erfüllte diese Voraussetzung ganz knapp.

In der Abgeschiedenheit des Coachella Valley, zwischen den 3.000 Metern hohen San Jacinto Mountains, konnten die Stars tun, was sie wollten, hetero- wie homosexuelle. Rock Hudson hatte ein Anwesen nahe Palm Springs, wo er mit seinem Partner lebte. Greta Garbo entspannte hier, von ihr munkelte man, dass sie Frauen genauso mochte wie Männer. Cary Grant lebte mit seinen fünf Ehefrauen hier – und um die Ecke sein Busenfreund Randolph Scott, von dem niemand genau wusste, ob er vielleicht auch ein Mann für gewisse Stunden war. "Das war eine Zeit vor TMZ", sagt Gross und bezieht sich auf die im heutigen Hollywood gefürchtete Klatschwebsite.

Rosarote Plastikflamingos

Der Ruf zog auch jenen Herrn an, der seinen Postkasten originell mit einem Piano gestaltete: den Entertainer Liberace. Für sein Haus bestellte er außerdem weiße Löwenstatuen, griechischen Skulpturen und einen riesigen rosaroten Plastikflamingo. Nicht gerade eine Einladung zum Wegschauen. Der Pianist mit Show in Las Vegas war ab den 1950er-Jahren für seinen Pomp bekannt, seine extravaganten Kostüme, ondulierten Haare und die öffentliche Verneinung seiner sexuellen Ausrichtung. Im Scheinwerferlicht grüßte er die weiblichen Fans, für den heimischen Swimmingpool ließ er junge Männer aus Frankreich einfliegen. 1987 starb er in Palm Springs an den Folgen der Immunschwächekrankheit Aids.

Gross biegt mit dem Jeep in den Camino del Norte ein, fährt noch an den früheren Villen von Elvis Presley, Marylin Monroe und Elizabeth Taylor vorbei, an dem Haus, in dem John F. Kennedy einige Monate verbracht hat, und an dem modernistischen Anwesen, das Leonardo DiCaprio gekauft hat. Alles nicht schwul genug, bloß weg hier.

In die Wüste geschickt

Zurück zur Arenas Road in Downtown, zehn Minuten mit dem Auto, wo an einem Block eine queere Bar neben der anderen eröffnet hat. Dazwischen gibt es einen Gay-Mart, in dem schwule Überlebensmittel gehandelt werden: Gleitcreme, Glückwunschkarten, Regenbogenbadehosen. Für schwule Touristen spielt sich hier das Nachtleben ab. Erst Happy Hour mit Martini-Cocktails, dann ein Schnitzel um die Ecke bei Johannes, dem Tiroler Gastronomen, der allerdings, Schönheitsfehler, hetero ist.

In den vergangenen Jahren zogen viele Homosexuelle aus San Francisco nach Palm Springs. Nicht nur der Ruhestand, auch der Boom der Tech-Branche mit den damit einhergehenden Mietsteigerungen hatte sie in die Wüste geschickt. San Francisco zählt zu den teuersten Städten des Landes, Palm Springs ist für die Mittelschicht noch bezahlbar.

Verwischte Konturen

Doch auch im Homoparadies bestimmen zunehmend Debatten über günstigen Wohnraum den öffentlichen Diskurs. Lisa Middleton ist sozialer Wohnungsbau ein Anliegen. Mit diesem Thema hat sie im vergangenen November die Stadtratswahlen gewonnen – als erste Transgender-Frau der USA, die in ein solches politisches Amt gewählt wurde. Und zwar nicht nur mithilfe liberaler Kräfte. Die zwei größten finanziellen Unterstützer der 66-Jährigen waren Republikaner. "Two straight white men", betont sie. Wenn es noch einen Beweis gebraucht hätte, dass Palm Springs eine Stadt verwischter Konturen ist, hätten ihn die Rhinos geliefert. So bezeichnet man einen Wähler, der "Republican in name only" (kurz: Rino oder Rhino) ist, also nur dem Namen nach als der konservativen Partei zugehörig gilt, in seinem Handeln jedoch den Demokraten nähersteht.

In diesem Idyll fehlt allerdings etwas: junge Leute. Tatsächlich kommen sie nur zu Besuch, wenn im März die lesbische Dinah-Shaw-Party und im April die schwule White Party anstehen. Zehntausende Besucher steigen dann in den Hotels der Umgebung ab. Manche Jüngere schauen auch an Wochenenden vorbei, um Los Angeles zu entfliehen, tagsüber in den Bergen zu wandern und abends Dragqueens im "Toucans" zu sehen. Der Altersdurchschnitt, das gibt auch Lisa Middleton zu, könnte ruhig etwas jünger werden. Andererseits redet deshalb keiner von Gentrifizierung, von Hipstern, die ganze Viertel umkrempeln. Wenn es ein Thema gibt, das die Bewohner von Palm Springs spaltet, ist es höchstens die Frage: "Hast du Katzen oder Hunde?"

Brutaler Sonnenschein

Es ist also friedlich in Palm Springs – und irre sonnig. 350 Sonnentage zählt man pro Jahr. Und an den restlichen 15 Tagen? "Leiden wir etwas", sagt Lisa Middleton. Bob Gross meint, als er sich mit seinem Jeep verabschiedet: "In Palm Springs haben wir zwei Jahreszeiten. Himmel und Hölle." Acht Monate angenehm warmes Wetter und vier Monate brutalen Sonnenschein mit 40 Grad im Schatten.

Die Konturen verschwinden an solchen Morgen sehr schnell. Und man kann sich eigentlich nur an einen jener Orte begeben, den auch der Maler David Hockney in ikonischen Gemälden festgehalten hat: an einen Swimmingpool. (Ulf Lippitz, RONDO, 1.3.2019)

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