Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi (Die Grünen) fordert mehr Mut zu strikten Klimaschutzregeln im Wohnbau. Niederösterreichs Wohnbaulandesrat Martin Eichtinger (ÖVP) verteidigt im Gespräch mit Eric Frey positive Anreize.

STANDARD: Welche Note geben Sie der Politik für Maßnahmen, mit denen die Klimaziele im Gebäudebereich erreicht werden sollen?

Willi: Einen Einser für die sensationell schönen Papiere. Einen Vierer bis Fünfer dafür, was alles erst legistisch passieren müsste, um das Geschriebene umzusetzen. Positives verdanken wir momentan den Pionieren. Sie beweisen, dass es geht. In dem Tempo kommen wir aber nicht voran. Wir bräuchten eine radikale CO2-neutrale Strategie, um bis 2050 ohne fossile Energieträger auszukommen. Das haben wir feierlich unterschrieben. Wir müssen aufs Gas drücken, um runter vom Gas zu kommen.

STANDARD: Herr Eichtinger, ist die von Ihrer Partei mitgestaltete Klimapolitik zu wenig radikal?

Eichtinger: In der Ökologie ist NÖ ein absoluter Vorreiter. Seit 1990 haben wir insgesamt 31 Prozent an CO2-Reduktion im Bau von Wohnungen und Eigenheimen. Laut dem Global-2000-Wohnbaucheck 2018 sind wir mit Salzburg und Vorarlberg bei nachhaltigem Bauen an der Spitze, speziell bei der Initiative "Raus aus Gas und Öl". Seit 1. Jänner 2019 ist Öl bei Neubauten verboten. Wir sind bei über 50 Prozent an erneuerbaren Energien im Wohnbau. Es kann aber immer noch schneller gehen.

"Wenn die Raumordnung versagt, verpuffen viele Anstrengungen", sagt Georg Willi (Die Grünen) (li.). "Wir wollen mit positiven Anreizen arbeiten und motivieren", sagt Martin Eichtinger (ÖVP).
Foto: Robert Newald

STANDARD: Sie sagen, Klimaschutz ist bei Ihnen normal. Aber noch einmal: Braucht es radikalere Schritte?

Eichtinger: Wir wollen die Balance zwischen Leistbarkeit und Nachhaltigkeit halten. Die Frage ist vielmehr, wie diese nachhaltigen Standards in Zukunft aussehen sollen. Bei den Önormen sollte es etwa eine klare Hierarchie geben: Was ist in der Bauordnung Vorschrift für den privaten und was für den geförderten Bereich?

STANDARD: Was müsste passieren, damit die Klimapolitik bessere Noten bekommt?

Willi: Beim Thema Verdichtung muss sie den Mut haben, Regeln vorzugeben, Betteln ist zu wenig, es braucht mehr Druck! Ein Kompliment gebe ich an NÖ, wo man ganz simpel gesagt hat: keine neue Heizung mit Öl. Auch bei der Raumordnung müsste etwas passieren. Wenn sie versagt, verpuffen viele Anstrengungen. Das tollste Passivhaus mit langen Wegen zum Arbeitsplatz ist sinnlos, weil die Klimabilanz der Mobilität alles wieder auffrisst. Wissend, dass ich mir unter den eigenen Parteikollegen keine Freunde mache, bin ich deswegen für eine Landesraumordnung, weg von den Gemeinden.

STANDARD: Warum wäre das sinnvoll?

Willi: Steht man in Tirol auf einem Berg, werden alle Raumordnungssünden seit 1970 sichtbar. Zum Vergleich: Bayern hat viel kompaktere Dörfer, weil die deutsche Raumordnung sich auf die Kreise bezieht und viel größer denkt. Wir haben in Tirol zwar ein Konzept für eine überörtliche Raumordnung. Es blieb aber nur ein tolles Papier, das nie umgesetzt wurde.

STANDARD: Was haben die Grünen gegen eine Änderung der Raumordnungskompetenz?

Willi: Es gilt das Credo: "Wir sind wir und wissen am besten, was für unseren Ort gut ist." Leider sind die Bürgermeister so stark. Früher haben die Bauern dort gebaut, wo schlechte Böden waren. Heute stellen wir aber die am meisten Fläche fressenden Betriebe auf die besten Böden, obwohl Tirol nur zwölf Prozent besiedelbare Fläche hat. Das ist Raubbau an Ressourcen.

STANDARD: Zersiedelung, Versiegelung, Land der Häuslbauer: Auch in NÖ sieht man die Sünden der Raumordnung. Herr Eichtinger, was halten Sie von Willis Forderung?

Eichtinger: Die Raumordnung setzt schon wichtige Grenzen und Regeln. Wir zerbrechen uns aber auch den Kopf über die Versiegelung. Nächsten Monat werde ich daher eine neue Wohnbaustrategie vorstellen, in der es massiv um die Ortskernbelebung geht. Bei Sanierungen gibt es dort zu große Hindernisse. Ein Beispiel: das Altlastensanierungsgesetz mit seinen enormen Recyclingvorschriften. Bei Abrisskosten von bis zu 70.000 Euro ist die Motivation niedrig. Die Infrastruktur muss aber zurück in die Ortszentren anstatt in Neubau und Versiegelung am Rand.

STANDARD: Das erfordert ein Ändern der Bundesgesetzgebung. Eine Botschaft an die Regierung?

Eichtinger: Abbruch und Neubau sollen auf Länderebene unterstützt werden. Genau das haben wir vor, denn es ist auch das größte Anliegen der Bürgermeister. Betroffen ist sowohl der ländliche Raum als auch die Umgebung von Wien, mit vielen leerstehenden Objekten in den Orten.

STANDARD: Herr Willi, sollen auch die Tiroler Bürgermeister umdenken und nicht mehr ganz so großzügig mit Bauland umgehen?

Willi: Aufgrund der Bodenknappheit sind wir bei den Ortskernen weiter: Bei uns fördert das Land seit Jahren die Revitalisierung der Ortszentren. Der flächenfressende Supermarkt am Ortsrand ist nicht mehr möglich. In den Koalitionsabkommen auf Landes- und Stadtebene steht Folgendes: Wohnen und Arbeiten über dem Supermarkt wird gefördert, so kann viel leere Fläche genutzt werden. Dazu sind einige interessante Projekte in der Pipeline.

STANDARD: Im Neubau ist Österreich schon recht weit im Klimaschutz. Das Problem sind der Altbestand und die geringen Sanierungsraten in den Städten.

Willi: Wir haben in Tirol den Vorteil, dass der Druck zu Sanierungen aufgrund der hohen Bodenpreise hoch ist. Trotzdem passiert zu wenig, wir müssen viel radikaler und innovativer sein. Wir sollten heute schon eine Quote von drei Prozent pro Jahr erreichen, damit wir das Ziel bis 2050 schaffen. Das Stadtklima müssen wir dabei mitbedenken, denn die Stadt überhitzt sich immer mehr. Wir unterstützen das über die Wohnbauförderung: Aus dem Budget des Landes Tirol für 2018 standen für die Sanierungen 43 Millionen zur Verfügung, dazu kommt die einkommensunabhängige Sanierungsoffensive mit noch einmal 14 Millionen.

STANDARD: Herr Eichtinger, Ihre Parteikollegin, Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger, betont immer, dass positive Anreize wichtig sind. Geht es sich aus, nicht mit höheren Steuern oder Strafen zu arbeiten?

Eichtinger: Wir bemühen uns, mit Anreizen zu arbeiten, etwa mit der Sanierungsschiene in unserem Wohnbauförderungsprogramm. Wir wollen nicht nur Heizkesseltausch forcieren, sondern Menschen im Zuge der Sanierung eines Energiesystems auch zu einer Generalsanierung des Hauses motivieren.

Willi: Strafen könnten aber durchaus die bessere Strategie sein, denn der Mensch ist träge bei Verhaltensänderungen. Man muss nur gut erklären, dass es einem höheren Zweck dient. Gute gesetzliche Rahmenbedingungen sind dafür nötig. Je radikaler sie sind, desto mehr Vorbereitungszeit muss man zusichern. (Protokoll: Marietta Adenberger, 27.2.2019)